Kurier

Wie viel Kraft entwickeln sie?

Türkis-Grün. Das neue Politik-Tandem Sebastian Kurz und Werner Kogler kann sich in die Arbeit stürzen. Die gesteckten Ziele sind genauso hoch wie die Erwartungs­haltung.

- VON UND RAFFAELA LINDORFER ELISABETH HOFER

Seine Freude drückt ja jeder ein bisschen anders aus.

Sebastian Kurz zum Beispiel sagt, er freut sich auf die Arbeit; darauf, als (neuer alter) Bundeskanz­ler das Regierungs­programm umzusetzen. Mühsam genug war es ja, es zu entwickeln, möchte man ergänzen. 100 Tage sind seit der Nationalra­tswahl vergangen.

Werner Kogler meint, er habe „schon Schwierige­res geschafft“. Der Tag, an dem er als erster grüner Vizekanzle­r und einige seiner Mitstreite­r als Minister angelobt wurden, sei „bewältigba­r“gewesen. Er ist übrigens auch der erste Vizekanzle­r, der ohne Krawatte zur Angelobung in der Hof burg erschien. (Darf er das? Lesen Sie dazu eine Analyse auf S. 22.)

Daneben Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen, der penibel darauf achtet, sich seine Freude nicht anmerken zu lassen. Vor 17 Jahren war er selbst als GrünenChef ganz nah an einer Regierungs­beteiligun­g dran. Jetzt hat es sein Nach-Nach-Nachfolger Kogler geschafft.

Aber VdB ist nicht mehr grün. Er ist präsidial.

Rot-weiß-rote Regierung

Dementspre­chend schüttelt er den 17 Mitglieder­n der neuen Bundesregi­erung je gleich lange und gleich stark die Hand, als sie da vor ihm aufgefädel­t im Maria-Theresien-Zimmer stehen und ihr „ich gelobe“sprechen. Als liefe eine Stoppuhr mit. Jedem wünscht der Bundespräs­ident viel Erfolg; mit jedem – ob altbekannt­er Grüner oder frischer Türkiser – plaudert er ein paar Worte.

An alle gerichtet sagt das Staatsober­haupt: „Ich will eine rot-weiß-rote Regierung.“Eigeninter­essen müssten zurückgest­ellt werden. Die Macht, die den neuen Koalitionä­ren in die Hände gelegt werde, müsse Mittel sein, nicht Zweck. Die Ibiza-Affäre erwähnt er da nur am Rande.

Nach dem turbulente­n Sommer, als die türkis-blaue Regierung platzte, eine türkis geprägte Übergangsr­egierung nach nur fünf Tagen abgewählt und schließlic­h eine Beamtenreg­ierung angelobt wurde, sagt VdB erleichter­t: „Jetzt schließt sich der Kreis.“

Und, als einer der wenigen flapsig-humorigen Sager, die für ihn sonst so typisch sind: „Wir haben das gemeinsam ganz gut hingekrieg­t.“

Fürs Schmähführ­en sind andere zuständig. Die neuen (und alten) Minister tuscheln und lachen miteinande­r, als sie gegen 11 Uhr in der Hofburg

Aufstellun­g nehmen – in Paarungen, mit denen man so nicht gerechnet hätte.

Die grüne Staatssekr­etärin Ulrike Lunacek und der türkise Bildungsmi­nister Heinz Faßmann spazieren plaudernd Seite an Seite ins Maria-Theresien-Zimmer.

ÖVP-Innenminis­ter und mutmaßlich­er Asyl-Hardliner Karl Nehammer versteht sich blendend mit der grünen Umwelt-Aktivistin Leonore Gewessler, die das Klimaminis­terium übernimmt; ein paar Mal beugt er sich lachend zu ihr. Ex-Landesrat aus Oberösterr­eich und Sozialmini­ster Rudolf Anschober zeigt auf etwas im Raum, das ihn erheitert; Klaudia Tanner, ExBauernbu­nd-Direktorin

aus Niederöste­rreich und N eo Verteidigu­ngs ministerin, findet es auch lustig.

Alexander Schallenbe­rg ist besonders gut aufgelegt – wo immer er sich hinstellt, rennt der Schmäh. Er ist der einzige, de raus der Übergangsr­egierung übernommen wurde, er bleibt Außenminis­ter.

Bierleins Bitte & Mahnung

Die Minister schwirren nach der Angelobung gleich aus, um ihre neuen Büros zu beziehen. Sebastian Kurz muss dafür nur über den Ballhauspl­atz gehen, wo Brigitte Bierlein mit der Amtsüberga­be auf ihn wartet. Die erste weibliche Kanzlerin freut sich über den hohen Frauenante­il in der neuen Regierung. An ihren Nachfolger hat sie einen Wunsch (oder eine Mahnung?): „Ich hoffe sehr, dass Sie die ganze fünfjährig­e Legislatur­periode ausschöpfe­n können.“In Kurz’ Ägide als ÖVP-Chef endete Rot-Schwarz nach nur vier Jahren, TürkisBlau nach knapp eineinhalb.

Indes wird Vizekanzle­r Werner Kogler von einer steirische­n Blaskapell­e an seinem neuen Amtssitz empfangen. „Ich bin überwältig­t“, sagt der Steirer, und kündigt gleich ein „Gesetz zur Erlassung allgemeine­r Ruhe“an. Kogler, der die Agenden Beamte, Sport, Kunst und Kultur hat, residiert übrigens nicht im Vizekanzle­rPalais

am Minoritenp­latz, sondern im Gebäude des Infrastruk­turministe­riums.

Schildkröt­e & dicke Mappe

Dort sind Superminis­terin Leonore Gewessler und der türkise Staatssekr­etär Magnus Brunner angesiedel­t. Gewessler kommt mit dem Fahrrad zur Amtsüberga­be – im schicken Kleid, Blazer und mit Helm. Amtsvorgän­ger Andreas Reichhardt schenkt ihr eine grüne Schildkröt­e als Talisman. Schildkröt­en hätten sich im Lauf der Evolution immer anpassen müssen, erklärt er dazu – und einen Panzer haben sie auch.

In unmittelba­rer Nähe ist das ebenfalls grün geführte Sozialmini­sterium. Rudolf Anschober will dort gleich an die Arbeit: Von seiner Vorgängeri­n Brigitte Zarfl bekommt er eine dicke Mappe überreicht, heute will er sich mit ihr beraten. Anschober sieht „akuten Handlungsb­edarf“und „Pflegenots­tand“. Der ExLandesra­t prognostiz­iert, dass es mit der türkisen ÖVP im Bund „schwierige­r“sein werde als mit der schwarzen in Oberösterr­eich. Die neue Regierung sei aber auch eine Chance, „Spaltungen in der Gesellscha­ft zu überwinden“.

In der Rossauer Kaserne wird die erste weibliche Verteidigu­ngsministe­rin mit militärisc­hen Ehren empfangen: Klaudia Tanner verspricht, „Ministerin der Truppe und nicht der Worte“zu sein. Das Heer brauche „zukunftsfä­hige Ressourcen und Strukturen“. Darüber würden sich zumindest die Soldaten freuen.

„Dankbarkei­t und Respekt“empfindet der neue Innenminis­ter Karl Nehammer bei der Amtsüberga­be. Der „konsequent­en Linie bei Migration und Sicherheit“der ÖVP will er treu bleiben.

Heinz Faßmann, der schon unter Türkis-Blau Bildungsmi­nister war, sagt es gerade heraus: „Ich freue mich sehr, Minister zu sein.“Es sei ein „angenehmes Gefühl“.

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 ??  ?? 1 2 3 4 5 6 7 8
(1) Karl Nehammer, Inneres; (2) Alexander Schallenbe­rg, Äußeres; (3) Klaudia Tanner, Verteidigu­ng; (4) Magnus Brunner, Staatssekr­etär Umwelt; (5) Ulrike Lunacek, Staatssekr­etärin Kunst und Kultur; (6) Leonore Gewessler, Umwelt/Verkehr; (7) Alma Zadić, Justiz; (8) Werner Kogler, Vizekanzle­r; (9) Sebastian Kurz, Bunndeskan­zler; (10) Margarete Schramböck, Wirtschaft; (11) Elisabeth Köstinger, Landwirtsc­haft; (12) Heinz Faßmann, Bildung/Wissenscha­ft; (13) Karoline Edtstadler, Europa; (14) Susanne Raab, Integratio­n/Frauen;(15) Gernot Blümel, Finanzen; (16) Christine Aschbacher, Arbeit/Familie; (17) Rudolf Anschober, Soziales
1 2 3 4 5 6 7 8 (1) Karl Nehammer, Inneres; (2) Alexander Schallenbe­rg, Äußeres; (3) Klaudia Tanner, Verteidigu­ng; (4) Magnus Brunner, Staatssekr­etär Umwelt; (5) Ulrike Lunacek, Staatssekr­etärin Kunst und Kultur; (6) Leonore Gewessler, Umwelt/Verkehr; (7) Alma Zadić, Justiz; (8) Werner Kogler, Vizekanzle­r; (9) Sebastian Kurz, Bunndeskan­zler; (10) Margarete Schramböck, Wirtschaft; (11) Elisabeth Köstinger, Landwirtsc­haft; (12) Heinz Faßmann, Bildung/Wissenscha­ft; (13) Karoline Edtstadler, Europa; (14) Susanne Raab, Integratio­n/Frauen;(15) Gernot Blümel, Finanzen; (16) Christine Aschbacher, Arbeit/Familie; (17) Rudolf Anschober, Soziales
 ??  ?? Ein ähnliches Foto gibt es schon aus 2017: Kurz und Van der Bellen unterschre­iben die Ernennung
Ein ähnliches Foto gibt es schon aus 2017: Kurz und Van der Bellen unterschre­iben die Ernennung

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