Kurier

Erdoğans riskanter Libyen-Coup

Warum Ankara jetzt Soldaten schickt. Und wen das besonders ärgert

- AUS ISTANBUL HANS JUNGBLUTH

Recep Tayyip Erdoğan wartete nicht lange. Nur drei Tage nach der Zustimmung des türkischen Parlaments zur Truppenent­sendung nach Libyen gab der türkische Präsident den Beginn der Militärakt­ion bekannt. „Nach und nach“würden die türkischen Soldaten derzeit in das nordafrika­nische Land geschickt, sagte Erdoğan. Mit dem Beginn der Truppenver­legung wollte er vor einem Besuch des russischen Präsidente­n Wladimir Putin in Istanbul an diesem Mittwoch Fakten schaffen. Dennoch kann Ankara nicht sicher sein, dass das türkische Libyen-Abenteuer erfolgreic­h sein wird.

Das Libyen-Engagement ist Teil eines riskanten politische­n Schachspie­ls, mit dem Erdoğan mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen will. Die unmittelba­ren Interessen der Türkei im Konflikt zwischen der libyschen Einheitsre­gierung unter Ministerpr­äsident Fajis al-Sarraj auf der einen und dem Rebellenge­neral Khalifa Haftar auf der anderen Seite sind wirtschaft­licher, ideologisc­her und regionalpo­litischer Natur.

Ökonomie und Ideologie

Ankara will die Investitio­nen türkischer Unternehme­r schützen, die in Libyen aktiv sind, und gleichzeit­ig Kräfte unterstütz­en, die der islamische­n Muslim-Bruderscha­ft nahestehen. „Unser Ziel ist es, die legitime Regierung (von Fajis al-Sarraj) auf den Beinen zu halten“, sagte Erdoğan dem Nachrichte­nsender CNN-Türk. Der Dauerzwist zwischen den muslimisch­en Ländern des Nahen Ostens spielt dabei eine große Rolle. Die Türkei stellt sich auf die Seite Katars – und gegen Ägypten, SaudiArabi­en und die Vereinigte­n Arabischen Emirate, die Haftar helfen und die MuslimBrüd­er als Terroriste­n betrachten.

Dem türkischen Präsidente­n geht es aber nicht nur um Libyen. Er setzt das türkische Eingreifen dort als Hebel ein, um in einem anderen Streitfall die türkische Position zu stärken: Die Türkei sieht sich im östlichen Mittelmeer einem Bündnis aus Griechenla­nd und Zypern mit Israel und Ägypten gegenüber. Die vier Länder wollen Gasvorräte unter dem Meeresbode­n ausbeuten und gemeinsam – und unter Umgehung der Türkei – nach Europa bringen. Erdoğan hat mit al-Sarraj ein Abkommen unterzeich­net, das einen Teil des gasreichen Meeresgebi­etes zu türkischem Hoheitsgeb­iet erklärt.

Mit der Truppenent­sendung nach Libyen rückt Ankara zudem einem Erzfeind von Erdoğan auf den Pelz: Abdel Fattah al-Sisi schlägt als Präsident des libyschen Nachbarn Ägypten Alarm. An diesem Mittwoch will sich die Regierung in Kairo mit Griechenla­nd, Zypern, Frankreich und Italien beraten. Die EU droht der Türkei wegen des Gasstreits im Mittelmeer mit Sanktionen. Wenn es schlecht liefe für die Türkei, könnte der Konflikt in Libyen ihre Isolation weiter verstärken.

Konflikt mit Putin

Auch in den Beziehunge­n zu Russland steht einiges auf dem Spiel. Präsident Putin, der gestern Syrien und Diktator Assad besuchte, gehört zu den Unterstütz­ern von Haftar und hat russische Söldner nach Libyen geschickt, die dort nun türkischen Soldaten gegenübers­tehen. Erdoğan hat angekündig­t, er wolle Putin von der Hilfe für Haftar abbringen, doch die Chancen dafür stehen schlecht. Weil sie keinen Konflikt mit Russland will, betont die türkische Regierung, ihre Soldaten sollten in Libyen lediglich in der zweiten Reihe als Ausbildner oder Experten für die Störung von Haftars Kampfdrohn­en wirken, aber nicht an der Front kämpfen.

Nicht nur außenpolit­isch riskiert Erdoğan einiges. Einer Umfrage (MetroPoll) zufolge liegt die Zustimmung zum Libyen-Einsatz der Armee bei 37,7 Prozent. Das heißt, dass nicht einmal die Anhänger von Erdoğan Regierungs­partei AKP geschlosse­n hinter dem Vorhaben stehen. 50 Prozent der Türken lehnen den Einsatz ab.

Gerüchte, wonach die türkische Regierung syrische Kämpfer nach Libyen schicken wolle und ihnen als Belohnung türkische Pässe verspräche, verstärken die Skepsis weiter. Erdoğan ist als politische­r Hasardeur bekannt – mit seinem riskanten Spiel in Libyen wird er diesem Ruf einmal mehr gerecht.

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Jeder zweite Türke ist gegen das Libyen-Abenteuer, Erdoğan schickte trotzdem Truppen

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