Wissenschafterin des Jahres
Mit dem Beistrich stehen die meisten Schreibenden auf Kriegsfuß. Dabei will er ihnen helfen, wird in Spezialseminaren betont.
Das Kommando Ich komme, nicht töten! lässt auf ein unblutiges Ende hoffen. Fatal nur, wenn der Absender den Beistrich falsch setzt. Ich komme nicht, töten! könnte genau das Gegenteil bewirken.
Pamela Obermaier weiß, was so ein Beistrichfehler nach sich ziehen kann. Die Germanistin hält in ihrer Agentur und für eine Medienakademie Beistrich-Seminare (siehe Info-Kasten). Gebucht wird sie von Menschen, die beruflich viel mit Texten zu tun haben. Dazu kommen immer mehr junge Leute, die sich in den sozialen Medien keine Blöße geben wollen.
Benötigt wird Obermaiers Expertise vom Gros der Österreicher: „Wer kann von sich behaupten, dass er in der Beistrichsetzung sattelfest ist?“
Das kollektive Unwissen ist nicht im Sinne der Erfinder: Ursprünglich wurde der Beistrich als Helferlein für Schreibende ersonnen, um ihre Sätze zu strukturieren: „Damit sie gut lesbar, schnell erfassbar und unmissverständlich werden“, sagt die Fachfrau für Sprachwirkung.
„Schon in der Antike haben sich Heraklith und Aristoteles Gedanken über die bessere Lesbarkeit gemacht“, weiß auch die Germanistin und Sprachwissenschafterin Christiane Pabst.
Martin Luther hat später in seiner Bibel-Übersetzung die „Virgel“eingeführt, den Schrägstrich. „Auch er wollte mithilfe von Unterbrechern den Lesefluss erleichtern“, so Christiane Pabst, die Österreich als Chefredakteurin des Österreichischen Wörterbuchs im Rat für deutsche Rechtschreibung vertritt. Dieser wollte mit der Rechtschreibreform auch das BeistrichRegulativ vereinfachen und besser auf den Punkt bringen.
Das Problem für die Reformer ist nur: Während leicht und verständlich geregelt werden kann, wann wir s, ss oder ß schreiben, ist es für den Beistrich fast unmöglich, allgemein gültige Regeln zu formulieren. „Weil er von der Rhetorik abhängt, und die ist nun einmal komplizierter als die s-Regel“, gibt Christiane Pabst zu bedenken.
Der Beistrich (in Deutschland und in der Schweiz nicht nur bei Zahlen „Komma“genannt) wird auch nach der Reform zu oft, zu selten oder grundsätzlich gar nicht gesetzt. Das ist auch der Wörterbuch-Macherin nicht entgangen. Aus aktuellen Studien liest sie heraus, dass die meisten Oberstufengymnasiasten gröbere Probleme mit dem schrägen Satz-Zeichen haben.
Trainerin Pamela Obermaier sagt es ohne Wenn und Aber: „Der Versuch, mit der Rechtschreibreform alle Stolpersteine aus dem Weg zu räumen, ist leider völlig misslungen.
Wissenschaftsjournalisten wählten Historikerin Stelzl-Marx. Ich höre in meinen Kursen oft, dass es wesentlich komplizierter ist als früher.“
Immerhin ist zu vernehmen, dass sich die Rechtschreibräte die Interpunktion noch einmal zur Brust nehmen wollen. Bis dahin geben die beiden Expertinnen den KURIER-Lesern drei Tipps, mit denen sie häufig gemachte Fehler vermeiden können:
· Bezugswort: Wenn es in der Infinitivgruppe ein Bezugswort gibt, muss der Beistrich gesetzt werden: Er wartet darauf, die Straße zu überqueren. · Beifügung: Das Attribut (vulgo Beifügung) fordert Beistriche: Ein Erwachsener, der klug ist, bleibt im Herzen ein Kind.
· Adjektive: Wer zwei gleichrangige Adjektive aneinanderreiht, muss einen Beistrich setzen: eine interessante, herausfordernde Aufgabe. Allerdings: eine angenehm sympathische Erscheinung.
Das Vergessen eines Beistrichs hat eine österreichische Versicherung 1,8 Millionen Schilling gekostet, erzählt Pamela Obermaier oft. Herzinfarkt ist als Unfallursache nicht aber als Unfallfolge versichert. Ein Verunfallter klagte – und bekam recht.
Kollegin Christiane Pabst rät mit einem verschmitzten Lächeln dazu, den Beistrich im Schlusssatz dieses Artikels zu setzen. Man könnte andernfalls als Kannibale missverstanden werden: Ich mag Kinder, kochen und basteln.