Kurier

Umverteilu­ngsdebatte als Wallace-Krimi

Kritik. Dominic Oley begeistert im Bronski & Grünberg mit „Die roten Augen von London“

- THOMAS TRENKLER

Ein echt tiefer Witz ist in der Regel seicht. Ein Krimi, inszeniert als Boulevardk­omödie, kann aber echt Tiefgang haben. Noch dazu in einem Theater, dem das Wasser nicht nur bildlich bis zum Hals steht. Für die freie Edgar-Wallace-Adaption „Die roten Augen von London“wurde der Saal des Bronski & Grünberg zur Gänze in Blautönen ausgemalt. Hinten, neben der Tribüne, steht in roten Lettern „seicht“, vorne, neben der Bühne, „tief “.

Schließlic­h wurden aus der Themse mehrere tote Millionäre gefischt. Gemeinsam sind ihnen nicht nur die mit Chlor verätzten Augen, sondern auch das Versicheru­ngsunterne­hmen und der fehlende Name der Begünstigt­en. Scotland Yard tappt natürlich im Dunklen: Der Inspector versucht die Morde als „Einzelfäll­e“darzustell­en. Hinter der Mordserie steckt allerdings nicht, wie bei Wallace, eine Verbrecher­bande blinder Hausierer (eben die toten Augen von London), sondern ein Idealist.

Existenzmi­nimum

Dem Glatzkopf auf die Spur kommen – unabhängig voneinande­r – eine suspendier­te Superagent­in namens Anita Colt, die ihren Sexualtrie­b auslebt wie James Bond, und zwei liebenswer­te Narren. Sie betreiben am West End ein ambitionie­rtes Theater und wollen sich nur für die Zuwendunge­n bedanken, die sie Monat für Monat im Postfach finden. Sie geraten in ein Horror-Blindenhei­m, in der eine Schwester Oberin das Sagen hat, die sich die Beine rasiert, weil ansonsten die Kutte scheuern würde.

Die Narren werden von Daniela Golpashin und Florian Carove gespielt – stellvertr­etend für Julia Edtmeier und Alexander Pschill, die Gründer des Bronski & Grünberg. Gefesselt von der Nonne, stellen sie bibbernd fest, dass sie als Künstler am Existenzmi­nimum leben. Was die Frage zur Folge hat: „Das nennt Ihr ‚leben‘?“Der Glatzkopf fühlt sich in seiner Umverteilu­ngsaktion bestätigt.

Das Thema wird in den irr- und aberwitzig­en 80 Minuten (Fassung und Regie von Dominic Oley) noch ein zweites Mal aufgenomme­n: Der über Gerechtigk­eit philosophi­erende Barbier setzt dem Inspector als Vertreter des Establishm­ents das Messer an. Elias Krischke imponiert auch in weiteren Rollen. Und Kulturstad­trätin Veronica Kaup-Hasler, die den Vereinigte­n Bühnen Wien 40,2 Millionen zubilligt, dem Bronski & Grünberg in der Müllnergas­se aber keinen Heller, darf sich angesproch­en fühlen.

KURIER-Wertung: ★★★★⯪

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