Umverteilungsdebatte als Wallace-Krimi
Kritik. Dominic Oley begeistert im Bronski & Grünberg mit „Die roten Augen von London“
Ein echt tiefer Witz ist in der Regel seicht. Ein Krimi, inszeniert als Boulevardkomödie, kann aber echt Tiefgang haben. Noch dazu in einem Theater, dem das Wasser nicht nur bildlich bis zum Hals steht. Für die freie Edgar-Wallace-Adaption „Die roten Augen von London“wurde der Saal des Bronski & Grünberg zur Gänze in Blautönen ausgemalt. Hinten, neben der Tribüne, steht in roten Lettern „seicht“, vorne, neben der Bühne, „tief “.
Schließlich wurden aus der Themse mehrere tote Millionäre gefischt. Gemeinsam sind ihnen nicht nur die mit Chlor verätzten Augen, sondern auch das Versicherungsunternehmen und der fehlende Name der Begünstigten. Scotland Yard tappt natürlich im Dunklen: Der Inspector versucht die Morde als „Einzelfälle“darzustellen. Hinter der Mordserie steckt allerdings nicht, wie bei Wallace, eine Verbrecherbande blinder Hausierer (eben die toten Augen von London), sondern ein Idealist.
Existenzminimum
Dem Glatzkopf auf die Spur kommen – unabhängig voneinander – eine suspendierte Superagentin namens Anita Colt, die ihren Sexualtrieb auslebt wie James Bond, und zwei liebenswerte Narren. Sie betreiben am West End ein ambitioniertes Theater und wollen sich nur für die Zuwendungen bedanken, die sie Monat für Monat im Postfach finden. Sie geraten in ein Horror-Blindenheim, in der eine Schwester Oberin das Sagen hat, die sich die Beine rasiert, weil ansonsten die Kutte scheuern würde.
Die Narren werden von Daniela Golpashin und Florian Carove gespielt – stellvertretend für Julia Edtmeier und Alexander Pschill, die Gründer des Bronski & Grünberg. Gefesselt von der Nonne, stellen sie bibbernd fest, dass sie als Künstler am Existenzminimum leben. Was die Frage zur Folge hat: „Das nennt Ihr ‚leben‘?“Der Glatzkopf fühlt sich in seiner Umverteilungsaktion bestätigt.
Das Thema wird in den irr- und aberwitzigen 80 Minuten (Fassung und Regie von Dominic Oley) noch ein zweites Mal aufgenommen: Der über Gerechtigkeit philosophierende Barbier setzt dem Inspector als Vertreter des Establishments das Messer an. Elias Krischke imponiert auch in weiteren Rollen. Und Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, die den Vereinigten Bühnen Wien 40,2 Millionen zubilligt, dem Bronski & Grünberg in der Müllnergasse aber keinen Heller, darf sich angesprochen fühlen.
KURIER-Wertung: ★★★★⯪