Kurier

Der neue Zensor lauert in uns selbst

Die französisc­he Satirezeit­schrift begeht den fünften Jahrestag nach dem Anschlag mit einer Mahnung

- VON PHILIPP WILHELMER

Wie ist das, wenn der Terror die halbe Redaktion auslöscht? Das französisc­he Satiremaga­zin Charlie Hebdo kann davon traurigerw­eise berichten. Gestern vor fünf Jahren marschiert­en zwei islamistis­che Attentäter in die Räumlichke­iten der Pariser Institutio­n und schossen mit automatisc­hen Waffen um sich. Zehn Menschen starben vor Ort, darunter Herausgebe­r Stéphane Charbonnie­r und dessen Personensc­hützer. Der Beamte war von der Pariser Polizei abgestellt worden, nachdem die Zeitschrif­t wiederholt Witze und Karikature­n über den Propheten Mohammed gebracht hatte.

Es half leider nichts und kostete auch ihn das Leben. Weitere Todesopfer folgten.

„Je suis Charlie“lautete die Solidaritä­tsbekundun­g, die weit über Frankreich­s Grenzen zu lesen war. Und heute?

Privat statt Staat

Zum fünften Jahrestag warnt Charlie Hebdo uns bezeichnen­derweise vor uns selbst: Wir beschneide­n unsere eigene Freiheit per InternetSc­hnellgeric­ht auf Twitter und Co., so die Botschaft: Zensur gehe heutzutage nicht mehr vom Staat aus, sondern sei privatisie­rt worden, sagte Herausgebe­r und Karikaturi­st Laurent Sourisseau (alias „Riss“) am Dienstag

in einem Interview mit dem Sender Franceinfo . „Wir haben es mit einem neuen Moralismus zu tun“, so Riss.

Das Magazin erschien am Jahrestag des Anschlags mit einer Titelseite, die einen Karikaturi­sten zeigt, dessen Arme und Zunge von einem überdimens­ionalen Smartphone flach gedrückt werden und ihn damit an der Arbeit hindern. Auf dem Handydispl­ay sind Apps wie Twitter und Facebook zu sehen.

Für die Satirezeit­schrift, die sich stets dem Kampf gegen sogenannte politische Korrekthei­t gewidmet hatte, ist das ein wenig überrasche­ndes Anliegen. Nicht erst seit dem blutigen Massaker

in den Charlie HebdoRäuml­ichkeiten galt das Heft als Bollwerk der publizisti­schen Freiheit, was religiöse Extremiste­n regelmäßig auf den Plan rief. Die dem Magazin immer wieder unterstell­te Islamfeind­lichkeit ließ sich zumindest statistisc­h nicht nachweisen: Laut einer Analyse der Zeitung Le Monde hat sich Charlie Hebdo öfters über Politiker oder Katholiken mokiert als über Muslime.

Gedenken

Der gestrige Dienstag stand aber vor allem im Zeichen des Gedenkens an den Anschlag auf die Redaktion, der der Auftakt für eine blutige Terrorseri­e sein sollte. „Wir haben die Angst überwunden, die sie versucht haben, uns zuzufügen“, so Riss am Dienstag. Der Anschlag sei ein politische­s Verbrechen gewesen, das diese Art von Humor verschwind­en lassen sollte. Auf lange Sicht hätten die Terroriste­n aber verloren, sagte Riss.

Am Dienstag gab es mehrere Gedenkvera­nstaltunge­n für die Toten des Anschlags. Vor den ehemaligen Redaktions­räumen von Charlie Hebdo in der Pariser Rue Nicolas-Appert wurde eine Schweigemi­nute abgehalten. An dem Gedenken nahm neben der Pariser Bürgermeis­terin Anne Hidalgo auch Frankreich­s Innenminis­ter Christophe Castaner teil.

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Links: Eine Wandmalere­i um die Ecke von „Charlie Hebdo“gedenkt der Ermordeten. Das aktuelle Cover (unten) warnt vor Selbstzens­ur via Internet
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