Skandal um Missbrauch in Frankreichs Literaturszene
Aufarbeitung. Frankreichs Literaturund Intellektuellenszene muss sich im Zuge eines aufkommenden Skandals rechtfertigen, warum sie jahrzehntelang einen Autor feierte, der offen darüber schrieb, Minderjährige missbraucht zu haben. Gabriel Matzneff (83) hat nach internationalen Medienberichten keinen Hehl daraus gemacht, minderjährige Buben und Mädchen missbraucht zu haben. Eines seiner Bücher heißt „Die Unter 16-Jährigen“. Dennoch hat er zahlreiche Auszeichnungen bekommen und war etablierter Teil der Szene.
Ein Opfer berichtet
Erst nachdem nun ein Opfer öffentlich Anklage erhoben hat, gibt es Konsequenzen. Vanessa Springora hat in einem jüngst erschienenen Buch festgehalten, wie der 36 Jahre ältere Matzneff sie als 14-Jährige verführt hatte. Ihre eigene Mutter habe die beiden einander vorgestellt.
Mit dieser Schilderung war der Bann gebrochen: Der renommierte Verlag Gallimard hat Schriften Matzneffs vom Markt genommen. Matzneff hat seine Autoren-Pension verloren, und es gibt eine Untersuchung.
Der Autor aber leugnet, etwas Unrechtes getan zu haben. Die Schilderungen in Springoras Buch seien „exzessiv und unfair“, sagt er. Und er sprach von der „Schönheit der Liebe, die wir geteilt haben“.
Dieser Standpunkt hat in Frankreich eine gewisse Geschichte. In gewissen Kontexten der linksintellektuellen Szene Frankreichs galt laut New York Times der Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen eine Zeit lang als Freiheitsakt. „Es ist verboten zu verbieten“, war demnach ein Slogan der dortigen 68erBewegung. Der lasche Umgang mit Pädophilie reichte weit in die Gesellschaft. Einige Weggefährten Matzneffs verteidigen ihn nun auch angesichts der wachsenden Empörung.