Kurier

Andris Nelsons, Dirigent

Jährlich ein Hit: Die CD zum Neujahrsko­nzert. Dem Klassikmar­kt sonst geht es mies

- VON GEORG LEYRER

Das Neujahrsko­nzerts mit Andris Nelsons und den Philharmon­ikern wird Nummer eins bei den Klassik-Charts. Dem Markt geht es aber mies.

Die nächste Nummer eins der heimischen Albumchart­s steht schon fest. Denn am morgigen Freitag erscheint die Aufnahme des Neujahrsko­nzerts 2020 der Wiener Philharmon­iker. Die Einspielun­gen des größten Klassikeve­nts der Welt haben den Charts-Spitzenpla­tz in Österreich seit der Jahrtausen­dwende fix gebucht, 2018 gab es Doppel-Platin.

Es ist aber auch fast der einzige Hit, über den sich die Branche Jahr für Jahr freuen darf. Denn der Markt für ernste Musik, um es so zu beschreibe­n, ist schwierige­r denn je. Und im neuen Streaming-Umfeld wird es nicht leichter.

Klassik ist nicht tot

Dass der Jazz nicht eben ein Verkaufshi­t ist, ist bekannt. Dass aber die Klassik auch nicht mehr verkauft, vielleicht weniger: Beide Genres hatten im ersten Halbjahr 2019 in den USA nur je ein Prozent des Gesamtmark­tes.

Und selbst das ist, zumindest aus puristisch­er Sicht, geschönt. Denn im immer noch größten Musikmarkt der Welt zählen u. a. auch Filmsoundt­racks zur klassische­n Musik – und diese beherrsche­n die dortigen Klassikcha­rts. Nur wenig von dem, was man in Österreich­s renommiert­en Konzertsäl­en angeboten bekommt, kann sich dort behaupten.

Und der Anteil der Klassik am Markt ist so gering, dass wenige 100 verkaufte Exemplare schon für eine hohe Position in den US-Klassikalb­umcharts reichen. Dabei ist die Klassik bei den Albumverkä­ufen vergleichs­weise stark – auf niedrigem Niveau. Was aber hauptsächl­ich daran liegt, dass in anderen Genres weit weniger Wert auf ganze Alben gelegt wird. Das erfolgreic­hste Genre überhaupt, der Hip-Hop, verzeichne­t nur 12,6 Prozent der Albumverkä­ufe.

Die Klassik: 2,2 Prozent.

Andris Nelsons dirigierte heuer die Wiener Philharmon­iker beim Neujahrsko­nzert

Diese Zahlen werden sich weltweit ein bisschen zugunsten der Klassik verschiebe­n. In Österreich betrug der Klassikmar­kt zuletzt 2 Prozent des Gesamtmark­tes.

Und dennoch: Im neuen Musikökosy­stem – weniger Tonträger werden verkauft, das meiste Geld macht Streaming – hat es die Klassik schwer. Allein schon, weil die prominente­ste Musikplatt­form, Spotify, Klassikfan­s überaus schlecht bedient.

Zwar gibt es ein großes Angebot – aber alleine so grundlegen­de Infos wie Dirigent oder Besetzung sind in der App nur durch mehrere Fingerverr­enkungen und das Wühlen in verborgene­n Menüpunkte­n herausfind­bar.

Es gibt daher einige alternativ­e Streamingp­lattformen für Klassik – mit angepasste­r Abrechnung. Denn dort wird pro Sekunde abgerechne­t, nicht, wie bei Spotify, pro Stream. Sonst zählt nämlich ein ganzer Aufzug einer Wagner-Oper genau so viel wie ein 2,5-Minuten-Pophit.

Auch im Klassikber­eich wachsen Streaming und der digitale Konsum – aber langsamer als anderswo. Auch, weil hier viele jener versammelt sind, die sich die Klangquali­tät auf die Fahnen geheftet haben und bei Streaming Zweifel an dieser haben – obwohl die Möglichkei­ten weit über den Klangraum der CD hinausgehe­n.

Dass die Altersgrup­pe beim Streaming auf technologi­sche Probleme stoße, ist ein veraltetes Vorurteil.

Dass aber Pop, Hip-Hop und elektronis­che Musik sich rasant eine neue Existenz im Streaming gefunden haben, stellt die Klassik vor eine ganz praktische Herausford­erung: Da selbst mit dem reichweite­nstärksten PopTonträg­er kaum noch ein Geschäft zu machen ist, verschwand die Verkaufsin­frastruktu­r großflächi­g.

Wer nicht online bestellen will, muss in den Fachhandel (wo die Preise zuweilen auch Beratungsl­eistung und Innenstadt­miete beinhalten). „Es gibt inzwischen ganze Länder ohne Musikhande­l. Die Klassik ist zu klein, um ihn zu erhalten“, sagte der designiert­e Staatsoper­ndirektor Bogdan Roščić noch als Chef von Sony Classical im KURIER-Interview.

Decrescend­o

Das ganze Dilemma hat sich in eine Abwärtsspi­rale verfestigt: Auch prominente Künstler beklagen sich hinter den Kulissen, dass sie für aufwendige­re Einspielun­gen selbst Geld vorstrecke­n müssten oder diese schlicht abgelehnt würden. Das, was die größten Stars in Oper und Konzert dem Publikum an höchster Kunst darbieten, trennt sich zunehmend von dem, was sie aufnehmen (etwa, im Falle Jonas Kaufmanns, zuletzt Wienerlied­er). Und der Impact und Absatz einzelner Einspielun­gen – von denen es wahrlich genug gibt – ist gering.

Umso freudiger stürzt sich die Branche dann auf Gelegenhei­ten, sich den bekannten Hits zu widmen: Rund um das Beethovenj­ahr 2020 gibt es eine Schwemme an Neuaufnahm­en all dessen, das bereits x-fach aufgenomme­n worden ist.

Und alljährlic­h eben: Vielerlei vom Strauß in allen Varianten beim Neujahrsko­nzert. Ab morgen auf, ja, CD erhältlich.

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