Mindestlohn und Hacklerregelung: Wie viel Rot steckt in Türkis-Grün?
Erste Inhalte: 1.500 Euro wirklich für alle, dafür rasches Aus für neue Frühpensionsvariante.
Wie weit rücken die Grünen jetzt nach rechts? Sind sie möglicherweise schon rechts der SPÖ angesiedelt? Der „Wutbrief“samt Parteiaustritt des Grün-Gewerkschafters Herbert Orsolits steht wohl stellvertretend für die Unzufriedenheit bei so manchem Öko-Bewegten an der Parteibasis.
Diese erscheint freilich nur teilweise berechtigt und dürfte in Summe den Vorbehalten gegenüber der ÖVP-Sicherheits- und -Asylpolitik geschuldet sein. Bei näherer Betrachtung finden sich im Regierungsprogramm nämlich Vorhaben, speziell im Bereich Arbeit und Soziales, die auf Zustimmung selbst bei der roten Konkurrenz stoßen. Namentlich die Halbierung der Armut (als Ziel), der beabsichtigte „Lückenschluss“zum 1.500-Euro-Mindestlohn oder die Wiedereinbindung der Sozialpartner.
Wen betrifft dieser „Lückenschluss“?
Ob Flugbegleiter, Angestellte in Kinos, Zahnarzt-Assistenten oder Taxifahrer, sie alle verdienen mit den Einstiegsgehältern immer noch weniger als 1.500 Euro brutto. Hauptbetroffene sind Frauen, bei Teilzeitjobs gibt es mit diesen Einkommen dann oft kein Auskommen.
Gilt der 1.500-Euro-Mindestlohn also doch nicht?
Nicht für alle. Die seinerzeitige Einigung auf 1.500 Euro hatte längere Übergangsfristen vorgesehen, daher gibt es heute noch Gehälter unter dem Mindestniveau bzw. Kollektivverträge, bei denen die Löhne schon jahrelang nicht angepasst wurden.
Wie greift die Regierung hier konkret ein?
Türkis-Grün überlässt die Materie den Sozialpartnern (z. B. per General-Kollektivvertrag). Gelingt ihnen keine Einigung, soll das Bundeseinigungsamt per sogenannter „Satzung“eingreifen und für sehr schlecht zahlende Branchen oder Branchen ohne einen Kollektivvertrag neue Mindestniveaus festlegen.
Wo hagelt es im Sozialbereich die meiste Kritik?
Momentan sicherlich bei der Abschaffung der erst seit Jahresbeginn geltenden neuen „Hacklerregelung“.
SPÖ und FPÖ hatten im Wahlkampf durchgesetzt, dass Menschen nach 45 Arbeitsjahren abschlagsfrei mit 62 in Pension gehen können. Türkis-Grün will diese „unfaire“Maßnahme wieder zurücknehmen. Die Roten reden von einem „Anschlag“auf die Arbeitnehmer: „Dass die abschlagsfreie Pension nach 45 Arbeitsjahren das Erste ist, das von Kurz und Kogler abgeschafft werden soll, ist ein schwerer Anschlag und eine schwere Verunsicherung aller ArbeitnehmerInnen im Land“, sagt SPÖSozialsprecher Josef Muchitsch.
Was sagen ÖGB und AK sonst zum türkis-grünen Pakt?
Im ÖGB begrüßt man die neue Dialogbereitschaft der Regierung. „Offensichtlich sitzen die Sozialpartner wieder mit am Tisch“, sagt Top-Gewerkschafter Roman Hebenstreit zum KURIER. Zusätzlich hat die AK einen umfangreichen „Gerechtigkeitscheck“veröffentlicht. Sie kritisiert, dass der 12-Stunden-Tag nicht angetastet wird und die Kassenreform mit der neuen Machtfülle der Arbeitgeber nicht rückgängig gemacht wird. AK-Präsidentin Renate Anderl lobt aber auch den neuen Umgang der Regierung mit den Sozialpartnern, die Absicherung des Sozialstaats und vor allem die Anstrengungen für den Klimaschutz.