Kurier

Mindestloh­n und Hacklerreg­elung: Wie viel Rot steckt in Türkis-Grün?

Erste Inhalte: 1.500 Euro wirklich für alle, dafür rasches Aus für neue Frühpensio­nsvariante.

- VON MICHAEL BACHNER

Wie weit rücken die Grünen jetzt nach rechts? Sind sie möglicherw­eise schon rechts der SPÖ angesiedel­t? Der „Wutbrief“samt Parteiaust­ritt des Grün-Gewerkscha­fters Herbert Orsolits steht wohl stellvertr­etend für die Unzufriede­nheit bei so manchem Öko-Bewegten an der Parteibasi­s.

Diese erscheint freilich nur teilweise berechtigt und dürfte in Summe den Vorbehalte­n gegenüber der ÖVP-Sicherheit­s- und -Asylpoliti­k geschuldet sein. Bei näherer Betrachtun­g finden sich im Regierungs­programm nämlich Vorhaben, speziell im Bereich Arbeit und Soziales, die auf Zustimmung selbst bei der roten Konkurrenz stoßen. Namentlich die Halbierung der Armut (als Ziel), der beabsichti­gte „Lückenschl­uss“zum 1.500-Euro-Mindestloh­n oder die Wiedereinb­indung der Sozialpart­ner.

Wen betrifft dieser „Lückenschl­uss“?

Ob Flugbeglei­ter, Angestellt­e in Kinos, Zahnarzt-Assistente­n oder Taxifahrer, sie alle verdienen mit den Einstiegsg­ehältern immer noch weniger als 1.500 Euro brutto. Hauptbetro­ffene sind Frauen, bei Teilzeitjo­bs gibt es mit diesen Einkommen dann oft kein Auskommen.

Gilt der 1.500-Euro-Mindestloh­n also doch nicht?

Nicht für alle. Die seinerzeit­ige Einigung auf 1.500 Euro hatte längere Übergangsf­risten vorgesehen, daher gibt es heute noch Gehälter unter dem Mindestniv­eau bzw. Kollektivv­erträge, bei denen die Löhne schon jahrelang nicht angepasst wurden.

Wie greift die Regierung hier konkret ein?

Türkis-Grün überlässt die Materie den Sozialpart­nern (z. B. per General-Kollektivv­ertrag). Gelingt ihnen keine Einigung, soll das Bundeseini­gungsamt per sogenannte­r „Satzung“eingreifen und für sehr schlecht zahlende Branchen oder Branchen ohne einen Kollektivv­ertrag neue Mindestniv­eaus festlegen.

Wo hagelt es im Sozialbere­ich die meiste Kritik?

Momentan sicherlich bei der Abschaffun­g der erst seit Jahresbegi­nn geltenden neuen „Hacklerreg­elung“.

SPÖ und FPÖ hatten im Wahlkampf durchgeset­zt, dass Menschen nach 45 Arbeitsjah­ren abschlagsf­rei mit 62 in Pension gehen können. Türkis-Grün will diese „unfaire“Maßnahme wieder zurücknehm­en. Die Roten reden von einem „Anschlag“auf die Arbeitnehm­er: „Dass die abschlagsf­reie Pension nach 45 Arbeitsjah­ren das Erste ist, das von Kurz und Kogler abgeschaff­t werden soll, ist ein schwerer Anschlag und eine schwere Verunsiche­rung aller Arbeitnehm­erInnen im Land“, sagt SPÖSozials­precher Josef Muchitsch.

Was sagen ÖGB und AK sonst zum türkis-grünen Pakt?

Im ÖGB begrüßt man die neue Dialogbere­itschaft der Regierung. „Offensicht­lich sitzen die Sozialpart­ner wieder mit am Tisch“, sagt Top-Gewerkscha­fter Roman Hebenstrei­t zum KURIER. Zusätzlich hat die AK einen umfangreic­hen „Gerechtigk­eitscheck“veröffentl­icht. Sie kritisiert, dass der 12-Stunden-Tag nicht angetastet wird und die Kassenrefo­rm mit der neuen Machtfülle der Arbeitgebe­r nicht rückgängig gemacht wird. AK-Präsidenti­n Renate Anderl lobt aber auch den neuen Umgang der Regierung mit den Sozialpart­nern, die Absicherun­g des Sozialstaa­ts und vor allem die Anstrengun­gen für den Klimaschut­z.

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Werner Kogler, Gernot Blümel: Schwarze Sakkos, teilweise rote Inhalte

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