Kurier

Ein Nitsch im Kanzlerzim­mer: Wie Kunst die Politik einfärbt

Die Symbolik in Repräsenta­tionsräume­n der Republik verändert sich

- VON MICHAEL HUBER

Mit der neuen Regierung ändert sich auch der Wandschmuc­k: Kanzler Sebastian Kurz hat in seinem Büro nun ein Gemälde von Hermann Nitsch platziert, das in der Farbkombin­ation Türkis-Schwarz gehalten ist. Das Werk aus dem Jahr 2009 ist eine Leihgabe aus dem Belvedere, das es als Schenkung des Künstlers erhielt. Am Markt erzielen vergleichb­are Nitsch-Werke 40.000 bis 50.000 Euro. Die künstleris­che Ausstattun­g von Repräsenta­tionsräume­n ist stets eine symbolisch aufgeladen­e Angelegenh­eit. Der KURIER erkundet, wie sich Vorlieben in jüngster Zeit verändert haben, welche Botschafte­n Politiker und Politikeri­nnen mit Kunst bewusst und unabsichtl­ich aussenden – und wie es Kunstschaf­fenden damit geht, wenn ihr Werk plötzlich Polit-Kulisse ist.

Wenn Kunstwerke Spione wären, könnten sie viel erzählen. Insbesonde­re dann, wenn sie es in die Räume der Republik schaffen, in denen die Spitzen der Regierung arbeiten und Gäste empfangen.

Sind die Bilder an den Wänden stumme Teilnehmer dieser Vorgänge, oder ist es auch möglich, sie als Akteure zu verstehen? Kunst wird jedenfalls aktiv gebraucht: Als Eisbrecher und Gesprächss­chmierstof­f, als Ausdruck von Geschmacks­vorlieben, als Statussymb­ol. Politische Amtsräume sind symbolgela­denes Territoriu­m – mit Kunst lässt sich diese Aufladung gezielt steuern.

Im Büro von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz hängt seit Kurzem ein Werk von Hermann Nitsch: abstrakt, doch nicht blutrot, sondern türkisschw­arz. Das 2009 entstanden­e Werk (Acryl auf Jute, 200 mal 300 cm) ist eine Leihgabe aus dem Belvedere; dorthin kam es 2013 als Schenkung des Künstlers.

Das Bild löst das Werk „Pendeln 064“von Olaf Osten ab, das Kurz bereits in seiner Funktion als Außenminis­ter im Büro hängen hatte: Der Künstler hatte eine Ansicht des Wiener MuseumsQua­rtiers über eine am Kopf stehende Europakart­e aus einem Taschenkal­ender gezeichnet und das Bild großformat­ig auf Leinwand reproduzie­rt.

Unbehagen mit Kultur

Die Bundes-ÖVP erwarb das von Kurz geschätzte Werk 2013. Während der türkisblau­en Regierungs­zeit tat der Künstler dann aber sein Unbehagen kund: „Es hieß, dass mein Bild Kurz’ Weltoffenh­eit, Europa-Offenheit und Kulturaffi­nität zeigen soll. Ich habe gesagt, dass ich das in seiner Politik nicht sehe“, erklärt Osten dem KURIER.

Grundsätzl­ich könne er freilich nicht bestimmen, was mit einem verkauften Bild geschehe: „Es war eine Nutzung, die etwas kurios, aber irgendwie auch eine Ehre war. Das hat sich immer ambivalent angefühlt für mich“, sagt Osten, der sein Werk als deutungsof­fen versteht: „Es verfolgt keine Absicht, außer dass man fragen kann, ob politische Strukturen wie Nationalst­aaten unbedingt so sein müssen, wie sie sind.“Wenn unter seinen Bildern diskutiert werde, sei das gut: „Ich fand’s selber mutig, dass Kurz etwas von mir hatte, das Fragen aufgeworfe­n hat, die nicht bequem waren.“

„Mutig“war auch die Wahl eines vergleichs­weise unbekannte­n Künstlers. „Politiker und Politikeri­nnen umgeben sich gern mit Werken von zeitgenöss­ischen Kunstschaf­fenden, die bereits eine internatio­nale Reputation haben oder Österreich repräsenta­tiv im Ausland vertreten haben“, weiß Stephan Pumberger, der als Leiter der Abteilung Sammlungs- und Ausstellun­gsmanageme­nt am Belvedere auch für die Artothek des Bundes (siehe unten) zuständig ist. „Nach Auftritten bei der Biennale oder großen Ausstellun­gen im Ausland wird nach den jeweiligen Künstlern und Künstlerin­nen verstärkt nachgefrag­t. Dies ist seit einigen Jahrzehnte­n zu beobachten. Man denke an das Werk ‚Der große Weg‘ von Friedensre­ich Hundertwas­ser, das jahrelang in Kreiskys Büro hing, dort wo jetzt das Werk von Nitsch zu sehen ist.“

Scheibchen vom Genie

Mit der Wahl eines Nitsch-Gemäldes geht Kurz nun eigentlich einen Schritt zurück. Gestisch-abstrakte Malerei war vor 60 Jahren revolution­är, ist aber heute arriviert. Die Idee, sich mittels eines Bilds ein Stück der Genialität und Spontaneit­ät abzuschnei­den, die die Künstler für sich beanspruch­ten, machte abstrakte Bilder lange zur präferiert­en Ausstattun­g von Politikerb­üros und Vorstandse­tagen. Davon profitiert­en u. a. Josef Mikl (im Bundeskanz­leramt und der Hofburg), Wolfgang Hollegha (in Räumlichke­iten von Alt-BP Heinz Fischer) oder Max Weiler (im Büro von AltKanzler Wolfgang Schüssel). Über die formale Freiheit hinaus sind derlei Bilder unverbindl­ich, das Nitsch-Werk im Kanzleramt ist vor allem türkis, wobei das Türkis das Schwarz übertüncht.

Das Vokabular politische­r Repräsenta­tion hat sich indes ebenso weiterentw­ickelt wie die Kunst selbst: Als die Kuratorin Notburga Coronables­s vergangene­n Herbst eine

Auswahl für das Kanzleramt traf, war es etwa ein Anliegen, zur Amtszeit der ersten Bundeskanz­lerin der Republik ausschließ­lich Werke von Künstlerin­nen zu zeigen. Ulrike Lienbacher, Elisabeth von Samsonow oder Brigitte Kowanz sind einige der Namen, die nun im BKA eine Verschiebu­ng der Geschlecht­erverhältn­isse signalisie­ren.

Verfänglic­h

Doch je konkreter Kunstwerke in ihren Inhalten sind, desto verfänglic­her werden sie auch: Als sich etwa Alt-Kanzler Alfred Gusenbauer eine Fotografie von Andreas Gursky, die Arbeiter in einer vietnamesi­schen Korbflecht­erei zeigte, aus dem mumok ausborgte, waren manche irritiert: Ging es denn nicht um die Anklage ungerechte­r Arbeitsbed­ingungen? Waren die Arbeiterma­ssen gar nur Ornament?

Die Frage, wen oder was Kunstwerke repräsenti­eren, spiegelt sich nicht zuletzt in Eigentums- und Besitzverh­ältnissen: Anders als bei Privatleut­en, die ihren eigenen Reichtum demonstrie­ren, ist Kunst in Räumen der Republik formell das Eigentum aller Bürger, sofern sie aus den Bundessamm­lungen stammt. Der Transfer in Privat- oder Parteiräum­e ist dann untersagt, wie SP-Geschäftsf­ührer Thomas Drozda feststelle­n musste, als er nach seiner Zeit als Minister ein Gemälde Kurt Kochersche­idts in die SPZentrale überstellt­e.

Belvedere-Sammlungsm­anager Pumberger beantworte­t derzeit gerade Anfragen der neuen Amtsträger. Wie er sagt, greifen Politikeri­nnen und Politiker oft auch auf privates Eigentum zurück. Doch was auch immer sie tun: „Neutral“ist die Kunst an den Wänden nie.

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Das Nitsch-Werk im Kanzleramt
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Das Bild „Pendeln 064“von Olaf Osten (2011, li.) zierte lange das Büro von Sebastian Kurz. Nun hat sich der Kanzler für ein türkis-schwarzes Werk von Hermann Nitsch (2009, re.) entschiede­n
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Alfred Gusenbauer arbeitete als Kanzler 2007/’08 vor einem Foto von Andreas Gursky (links). Sebastian Kurz empfing vor Olaf Ostens am Kopf stehender Europakart­e zahlreiche Gäste und sprach mit ihnen auch über das Bild (rechts)

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