Ein Nitsch im Kanzlerzimmer: Wie Kunst die Politik einfärbt
Die Symbolik in Repräsentationsräumen der Republik verändert sich
Mit der neuen Regierung ändert sich auch der Wandschmuck: Kanzler Sebastian Kurz hat in seinem Büro nun ein Gemälde von Hermann Nitsch platziert, das in der Farbkombination Türkis-Schwarz gehalten ist. Das Werk aus dem Jahr 2009 ist eine Leihgabe aus dem Belvedere, das es als Schenkung des Künstlers erhielt. Am Markt erzielen vergleichbare Nitsch-Werke 40.000 bis 50.000 Euro. Die künstlerische Ausstattung von Repräsentationsräumen ist stets eine symbolisch aufgeladene Angelegenheit. Der KURIER erkundet, wie sich Vorlieben in jüngster Zeit verändert haben, welche Botschaften Politiker und Politikerinnen mit Kunst bewusst und unabsichtlich aussenden – und wie es Kunstschaffenden damit geht, wenn ihr Werk plötzlich Polit-Kulisse ist.
Wenn Kunstwerke Spione wären, könnten sie viel erzählen. Insbesondere dann, wenn sie es in die Räume der Republik schaffen, in denen die Spitzen der Regierung arbeiten und Gäste empfangen.
Sind die Bilder an den Wänden stumme Teilnehmer dieser Vorgänge, oder ist es auch möglich, sie als Akteure zu verstehen? Kunst wird jedenfalls aktiv gebraucht: Als Eisbrecher und Gesprächsschmierstoff, als Ausdruck von Geschmacksvorlieben, als Statussymbol. Politische Amtsräume sind symbolgeladenes Territorium – mit Kunst lässt sich diese Aufladung gezielt steuern.
Im Büro von Bundeskanzler Sebastian Kurz hängt seit Kurzem ein Werk von Hermann Nitsch: abstrakt, doch nicht blutrot, sondern türkisschwarz. Das 2009 entstandene Werk (Acryl auf Jute, 200 mal 300 cm) ist eine Leihgabe aus dem Belvedere; dorthin kam es 2013 als Schenkung des Künstlers.
Das Bild löst das Werk „Pendeln 064“von Olaf Osten ab, das Kurz bereits in seiner Funktion als Außenminister im Büro hängen hatte: Der Künstler hatte eine Ansicht des Wiener MuseumsQuartiers über eine am Kopf stehende Europakarte aus einem Taschenkalender gezeichnet und das Bild großformatig auf Leinwand reproduziert.
Unbehagen mit Kultur
Die Bundes-ÖVP erwarb das von Kurz geschätzte Werk 2013. Während der türkisblauen Regierungszeit tat der Künstler dann aber sein Unbehagen kund: „Es hieß, dass mein Bild Kurz’ Weltoffenheit, Europa-Offenheit und Kulturaffinität zeigen soll. Ich habe gesagt, dass ich das in seiner Politik nicht sehe“, erklärt Osten dem KURIER.
Grundsätzlich könne er freilich nicht bestimmen, was mit einem verkauften Bild geschehe: „Es war eine Nutzung, die etwas kurios, aber irgendwie auch eine Ehre war. Das hat sich immer ambivalent angefühlt für mich“, sagt Osten, der sein Werk als deutungsoffen versteht: „Es verfolgt keine Absicht, außer dass man fragen kann, ob politische Strukturen wie Nationalstaaten unbedingt so sein müssen, wie sie sind.“Wenn unter seinen Bildern diskutiert werde, sei das gut: „Ich fand’s selber mutig, dass Kurz etwas von mir hatte, das Fragen aufgeworfen hat, die nicht bequem waren.“
„Mutig“war auch die Wahl eines vergleichsweise unbekannten Künstlers. „Politiker und Politikerinnen umgeben sich gern mit Werken von zeitgenössischen Kunstschaffenden, die bereits eine internationale Reputation haben oder Österreich repräsentativ im Ausland vertreten haben“, weiß Stephan Pumberger, der als Leiter der Abteilung Sammlungs- und Ausstellungsmanagement am Belvedere auch für die Artothek des Bundes (siehe unten) zuständig ist. „Nach Auftritten bei der Biennale oder großen Ausstellungen im Ausland wird nach den jeweiligen Künstlern und Künstlerinnen verstärkt nachgefragt. Dies ist seit einigen Jahrzehnten zu beobachten. Man denke an das Werk ‚Der große Weg‘ von Friedensreich Hundertwasser, das jahrelang in Kreiskys Büro hing, dort wo jetzt das Werk von Nitsch zu sehen ist.“
Scheibchen vom Genie
Mit der Wahl eines Nitsch-Gemäldes geht Kurz nun eigentlich einen Schritt zurück. Gestisch-abstrakte Malerei war vor 60 Jahren revolutionär, ist aber heute arriviert. Die Idee, sich mittels eines Bilds ein Stück der Genialität und Spontaneität abzuschneiden, die die Künstler für sich beanspruchten, machte abstrakte Bilder lange zur präferierten Ausstattung von Politikerbüros und Vorstandsetagen. Davon profitierten u. a. Josef Mikl (im Bundeskanzleramt und der Hofburg), Wolfgang Hollegha (in Räumlichkeiten von Alt-BP Heinz Fischer) oder Max Weiler (im Büro von AltKanzler Wolfgang Schüssel). Über die formale Freiheit hinaus sind derlei Bilder unverbindlich, das Nitsch-Werk im Kanzleramt ist vor allem türkis, wobei das Türkis das Schwarz übertüncht.
Das Vokabular politischer Repräsentation hat sich indes ebenso weiterentwickelt wie die Kunst selbst: Als die Kuratorin Notburga Coronabless vergangenen Herbst eine
Auswahl für das Kanzleramt traf, war es etwa ein Anliegen, zur Amtszeit der ersten Bundeskanzlerin der Republik ausschließlich Werke von Künstlerinnen zu zeigen. Ulrike Lienbacher, Elisabeth von Samsonow oder Brigitte Kowanz sind einige der Namen, die nun im BKA eine Verschiebung der Geschlechterverhältnisse signalisieren.
Verfänglich
Doch je konkreter Kunstwerke in ihren Inhalten sind, desto verfänglicher werden sie auch: Als sich etwa Alt-Kanzler Alfred Gusenbauer eine Fotografie von Andreas Gursky, die Arbeiter in einer vietnamesischen Korbflechterei zeigte, aus dem mumok ausborgte, waren manche irritiert: Ging es denn nicht um die Anklage ungerechter Arbeitsbedingungen? Waren die Arbeitermassen gar nur Ornament?
Die Frage, wen oder was Kunstwerke repräsentieren, spiegelt sich nicht zuletzt in Eigentums- und Besitzverhältnissen: Anders als bei Privatleuten, die ihren eigenen Reichtum demonstrieren, ist Kunst in Räumen der Republik formell das Eigentum aller Bürger, sofern sie aus den Bundessammlungen stammt. Der Transfer in Privat- oder Parteiräume ist dann untersagt, wie SP-Geschäftsführer Thomas Drozda feststellen musste, als er nach seiner Zeit als Minister ein Gemälde Kurt Kocherscheidts in die SPZentrale überstellte.
Belvedere-Sammlungsmanager Pumberger beantwortet derzeit gerade Anfragen der neuen Amtsträger. Wie er sagt, greifen Politikerinnen und Politiker oft auch auf privates Eigentum zurück. Doch was auch immer sie tun: „Neutral“ist die Kunst an den Wänden nie.