Darf man in die Arbeit gehen, wenn man kränkelt?
„Hatschi!“, tönt es vom Schreibtisch der Kollegin links, wo sich die Taschentücher bereits türmen. Der Kollege rechts kommt wiederum seit Tagen aus dem Hüsteln nicht heraus. Wie jedes Jahr um diese Zeit schleppen sich aktuell wieder besonders viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angeschlagen ins Büro. Präsentismus – so heißt das Phänomen, wenn Menschen ins Büro kommen, obwohl sie krank sind. Und das sorgt mitunter für ordentlichen Zwist. „Fürs Arbeitsklima ist es nicht gerade förderlich, wenn man das Gefühl hat, sich jeden Moment anstecken zu können. Das kann schon mal zu kollektivem Ärger führen“, weiß
Arbeitspsychologin Claudia Altmann. Hinzu komme, dass sich andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Druck gesetzt fühlen, ebenfalls in der Arbeit aufzutauchen, obwohl sie sich nicht fit fühlen. Vor allem dann, wenn in der Führungsetage des Öfteren geschnupft und gehustet wird.
Angst und Pflichtgefühl
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Krankheitstag am Arbeitsplatz verbracht wird, liegt laut einer Studie der Arbeiterkammer (2019) in Österreich bei 52,2 Prozent. Jeder Zweite nimmt zumindest manchmal sogar Medikamente, um arbeiten zu können, jeder Fünfte tut dies sogar oft. Dass derart viele Menschen geschwächt in der Arbeit auftauchen, hat seine Gründe: „Eine große Rolle spielt die Angst, aufgrund von Fehlzeiten den Job zu verlieren“, sagt Altmann. Auch die Annahme, dass die Kollegen denken könnten, man sei faul oder nicht belastbar, sei laut Altmann oft ausschlaggebend. „Viele Menschen nehmen ihre Gesundheit leider nicht wichtig genug. Das zeigt sich auch darin, dass sie in die Arbeit und damit über ihre Grenzen gehen, wenn sie krank sind.“
Und was sagt die Medizin? „Wenn man über 38 Grad Körpertemperatur hat, sollte man in jedem Fall zu Hause bleiben“, klärt Ernest Zulus, ärztlicher Leiter des Ärztefunkdienstes in Wien, auf. „Wenn nur die Nase ein bisschen rinnt oder man ein Kratzen im Hals verspürt, sich aber allgemein gut fühlt, kann man durchaus arbeiten gehen. Wichtig ist, dass man auf seinen Körper hört.“
Doch da wäre ja auch noch die Ansteckungsgefahr. Entschließt man sich, trotz leichter Erkältungssymptome ins Büro zu fahren, ist Vorsicht geboten. „Um die Ansteckungsgefahr zu reduzieren, sollte man darauf achten, keine angeschnäuzten Taschentücher am Schreibtisch liegen zu lassen, sich regelmäßig die Hände zu waschen oder zu desinfizieren, beziehungsweise Handkontakt wenn möglich zu vermeiden“, rät Zulus. Ein weiterer Tipp: Wer nicht in die Hände, sondern in den Ellbogen niest, kann einer Ansteckung übers Händeschütteln ebenfalls entgegenwirken. Echte gesundheitliche Gefahr droht, wenn ein bakterieller Infekt übergangen wird: „Das kann sich im schlimmsten Fall auf Herz, Nieren und Gelenke schlagen“, warnt Zulus. Das Wichtigste sei, sich im Krankheitsfall „zu schonen, viel zu trinken und zwei bis drei Tage im Bett zu bleiben“.
„Aus Studien weiß man, dass Konzerne nicht gut beraten sind, eine Unternehmenskultur zu fördern, die Angestellte unter Druck setzt, krank zu arbeiten“, betont Karl Hochgatterer, Präsident der Österreichischen Akademie für Arbeitsmedizin und Prävention. Die Einbußen in puncto Leistungsfähigkeit würden unterm Strich mehr schaden, „als ein kränkelnder Arbeitnehmer nützt“.
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