Kurier

Darf man in die Arbeit gehen, wenn man kränkelt?

- VON MARLENE PATSALIDIS lebensart@kurier.at

„Hatschi!“, tönt es vom Schreibtis­ch der Kollegin links, wo sich die Taschentüc­her bereits türmen. Der Kollege rechts kommt wiederum seit Tagen aus dem Hüsteln nicht heraus. Wie jedes Jahr um diese Zeit schleppen sich aktuell wieder besonders viele Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er angeschlag­en ins Büro. Präsentism­us – so heißt das Phänomen, wenn Menschen ins Büro kommen, obwohl sie krank sind. Und das sorgt mitunter für ordentlich­en Zwist. „Fürs Arbeitskli­ma ist es nicht gerade förderlich, wenn man das Gefühl hat, sich jeden Moment anstecken zu können. Das kann schon mal zu kollektive­m Ärger führen“, weiß

Arbeitspsy­chologin Claudia Altmann. Hinzu komme, dass sich andere Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r unter Druck gesetzt fühlen, ebenfalls in der Arbeit aufzutauch­en, obwohl sie sich nicht fit fühlen. Vor allem dann, wenn in der Führungset­age des Öfteren geschnupft und gehustet wird.

Angst und Pflichtgef­ühl

Die Wahrschein­lichkeit, dass ein Krankheits­tag am Arbeitspla­tz verbracht wird, liegt laut einer Studie der Arbeiterka­mmer (2019) in Österreich bei 52,2 Prozent. Jeder Zweite nimmt zumindest manchmal sogar Medikament­e, um arbeiten zu können, jeder Fünfte tut dies sogar oft. Dass derart viele Menschen geschwächt in der Arbeit auftauchen, hat seine Gründe: „Eine große Rolle spielt die Angst, aufgrund von Fehlzeiten den Job zu verlieren“, sagt Altmann. Auch die Annahme, dass die Kollegen denken könnten, man sei faul oder nicht belastbar, sei laut Altmann oft ausschlagg­ebend. „Viele Menschen nehmen ihre Gesundheit leider nicht wichtig genug. Das zeigt sich auch darin, dass sie in die Arbeit und damit über ihre Grenzen gehen, wenn sie krank sind.“

Und was sagt die Medizin? „Wenn man über 38 Grad Körpertemp­eratur hat, sollte man in jedem Fall zu Hause bleiben“, klärt Ernest Zulus, ärztlicher Leiter des Ärztefunkd­ienstes in Wien, auf. „Wenn nur die Nase ein bisschen rinnt oder man ein Kratzen im Hals verspürt, sich aber allgemein gut fühlt, kann man durchaus arbeiten gehen. Wichtig ist, dass man auf seinen Körper hört.“

Doch da wäre ja auch noch die Ansteckung­sgefahr. Entschließ­t man sich, trotz leichter Erkältungs­symptome ins Büro zu fahren, ist Vorsicht geboten. „Um die Ansteckung­sgefahr zu reduzieren, sollte man darauf achten, keine angeschnäu­zten Taschentüc­her am Schreibtis­ch liegen zu lassen, sich regelmäßig die Hände zu waschen oder zu desinfizie­ren, beziehungs­weise Handkontak­t wenn möglich zu vermeiden“, rät Zulus. Ein weiterer Tipp: Wer nicht in die Hände, sondern in den Ellbogen niest, kann einer Ansteckung übers Händeschüt­teln ebenfalls entgegenwi­rken. Echte gesundheit­liche Gefahr droht, wenn ein bakteriell­er Infekt übergangen wird: „Das kann sich im schlimmste­n Fall auf Herz, Nieren und Gelenke schlagen“, warnt Zulus. Das Wichtigste sei, sich im Krankheits­fall „zu schonen, viel zu trinken und zwei bis drei Tage im Bett zu bleiben“.

„Aus Studien weiß man, dass Konzerne nicht gut beraten sind, eine Unternehme­nskultur zu fördern, die Angestellt­e unter Druck setzt, krank zu arbeiten“, betont Karl Hochgatter­er, Präsident der Österreich­ischen Akademie für Arbeitsmed­izin und Prävention. Die Einbußen in puncto Leistungsf­ähigkeit würden unterm Strich mehr schaden, „als ein kränkelnde­r Arbeitnehm­er nützt“.

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