Er fehlt an allen Ecken und Enden
Erfolge bleiben aus, TV-Quoten brechen ein, die Schweiz führt im Nationencup – das Jahr eins nach Hirscher
Im Jahr eins nach Hirscher stecken Österreichs Technik-Skifahrer in der Krise
Als Marcel Hirscher im Herbst seinen Rücktritt verkündete, waren sich die Verantwortlichen beim Österreichischen Skiverband noch nicht im Klaren, welche Auswirkungen das Fehlen des Superstars tatsächlich haben würde. Es gab Leute wie Anton Giger, die schon ahnten, dass die fetten Jahre nun vorbei sein könnten. „Der Marcel hat wahnsinnig viel abgedeckt“, sagte der ÖSV-Sportchef. Zugleich sahen manche die Chance für einige Läufer, endlich aus dem Schatten der Lichtgestalt zu treten. Was ist passiert?
Die TV-Quoten sind eingebrochen.
Nach dem ersten Saisondrittel muss nun festgehalten werden: Marcel Hirscher fehlt an allen Ecken und Enden und in jeglicher Hinsicht. Auch als Quotengarant für den ORF. Am Mittwoch hatte der Bergdoktor mehr Zuseher (661.000) als zur gleichen Zeit der Nachtslalom in Madonna di Campiglio (654.000). Im Vergleich zum Vorjahr sind die TVQuoten bei Ski-Übertragungen im Schnitt um 14 Prozent zurückgegangen, verlautbart der ORF.
Der Nationencup ist nicht mehr rot-weiß-rot.
Für den ÖSV reichte es in Madonna nur zu den Rängen 10 (Johannes Strolz) und 15 (Marco Schwarz). Diese schwache Teamleistung hat zur Folge, dass Österreich im Nationencup (Damen & Herren) von der Schweiz als Nummer eins abgelöst wurde. Der Rivale liegt 13 Punkte vor den Österreichern, die seit der Saison 1989/’90 diese Wertung immer gewonnen hatten. „Historisches bahnt sich an“, schreibt der Blick.
Die ÖSV-Herren sind nur mehr die Nummer vier.
Im Herren-Ranking ist der ÖSV hinter der Schweiz, Norwegen und Frankreich nur mehr die vierte Kraft, der Rückstand auf die Eidgenossen beträgt schon 455 Punkte. Schwer vorstellbar, dass die Österreicher diese Lücke in diesem Winter noch schließen können. Zu viele Läufer fallen langfristig aus (Reichelt, Neumayer, Hirschbühl) oder sind gerade nach Verletzungen zurückgekehrt (Schwarz, Feller), zu viele blieben bislang unter den Möglichkeiten (Franz, Matt). Und wenn man dann noch weiß, dass die ÖSVHerren ohne Marcel Hirschers Punkte schon im letzten Winter nicht die Nummer eins gewesen wären, erklärt das den riesigen Punkterückstand auf die Schweiz. „Man kann das klar begründen“, sagt HerrenChefcoach Andreas Puelacher.
Die Techniker-Kollegen von Hirscher stehen unter Druck. Eklatant und augenscheinlich ist die Schwäche in den Technik-Bewerben: So haben alle 15 Slalom- und Riesentorläufer, die in diesem Winter im Einsatz waren, gemeinsam weniger Punkte geholt (464) als
Henrik Kristoffersen (NOR) allein (471). „Vielleicht machen sich einige auch zu viel Druck“, glaubt Puelacher. „Indem sie unbedingt zeigen wollen, wie gut sie sind.“
Wo sind die jungen Wilden? Schweizer, Italiener, Norweger und Franzosen – sie alle haben Läufer in den Reihen, die um die 20 sind und schon an der Weltspitze auftauchen. Bei den Österreichern sucht man vergebens nach den jungen Wilden. Im Slalom schenkt Trainer Puelacher fortan Adrian Pertl (23) das Vertrauen, im Riesentorlauf in Adelboden erhält am Samstag Matthias Graf (23) eine Chance.
Die Frauen als Vorbild. Tamara Tippler sieht die aktuelle Lage nicht als Krise, sondern als Chance. „Nämlich die Chance, sich zu präsentieren und vorne reinzufahren, wie es Fabio Gstrein oder Johannes Strolz getan haben.“Die Steirerin verweist auf die Vergangenheit im Damen-Speed-Team: „Bei uns war’s doch genauso, als die Golden Girls aufgehört haben.“Heute haben die Speed-Damen fast schon mehr Kandidatinnen für die Top Ten als Startplätze.