Bussis in Brüssel
Premiere. Die erste Auslandsreise führte Kanzler Sebastian Kurz nach Brüssel. Dort gefällt Türkis-Grün. Zumindest, wenn es nach Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geht.
„Ich hoffe, dass das österreichische Modell in der EU Schule macht.“
Hätte sich Sebastian Kurz von Ursula von der Leyen nur einen einzigen Satz wünschen dürfen, vermutlich wäre es genau dieser gewesen.
Es ist Sonntag, Brüssel zeigt sich von seiner eher garstigen Seite – leichter Regen, dazu eine kalt-steife Brise – doch für den Bundeskanzler ist es ein guter Tag.
Gerade einmal fünf Tage hat er zwischen der Angelobung in der Wiener Hofburg und seinem ersten Besuch in Europas politischer Hauptstadt verstreichen lassen.
Er ist zurück, so könnte man sagen. Im Zentrum des Geschehens, auf der wirklich großen Bühne – und noch dazu mit einem Koalitionspartner, um den ihn so mancher in Europa beneidet.
Während Kommentatoren im Ausland Türkis-Grün vielfach gelobt haben, hält sich die Zahl der Regierungschefs, die zum neuen Koalitionspartner gratuliert haben, in Grenzen, heißt es. Das überrascht.
Doch dafür wird der alte neue Kanzler an diesem Sonntag entschädigt. Und das ist spätestens klar, als er im Sockelgeschoß des Kommissionsgebäudes durch den VIP-Eingang marschiert.
Küsschen links, Küsschen rechts – und dann gibt Ursula von der Leyen eine irgendwie überraschende Rolle. Sie gibt den Fan. Und zwar den Fan der neuen türkis-grünen Koalitionspolitik in Wien.
Woran man das sieht? Nun, die nicht unbedingt für emotionalen Ausbrüche bekannte Bundesdeutsche gratuliert dem ÖVP-Chef nicht nur „ganz, ganz herzlich“zur Regierungsbildung, nein: Sie ist dezidiert „beeindruckt“von „Geschwindigkeit, Konstanz und Modernität“der neuen Koalition. Vergessen scheinen die Tage, als sich Parteifreunde – von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker abwärts – über die Koalition mit der FPÖ echauffierten.
Kurz selbst würde das so nie sagen, aber: von der Leyens Lob geht runter wie Öl.
„Es ist eine Freude, wie du die Kommission führst“, antwortet er entsprechend.
Doch es wäre falsch zu glauben, die gegenseitigen Höflichkeiten seien allein damit zu erklären, dass einander hier zwei Parteifreunde treffen und man allein schon deshalb freundlich miteinander tut.
Abgesehen von der Parteifamilie verbinden von der Leyen
und Kurz mehrere Dinge. Zum einen hat die frühere Ministerin in Österreich Familie – das schafft eine persönliche Sympathie zum Nachbarn.
Einig im Inhalt
Weit schwerer wiegt: Auch bei den zentralen Themen, die Österreichs Regierungschef bei seinem Treffen mit der mächtigen Europäerin bespricht, war man sich bei dem einstündigen Treffen sehr oft sehr einig.
Soll heißen: Was Klimaschutz und Migration betrifft, kann von der Leyen den österreichischen Koalitionsplänen ( CO2-neutral bis 2040, konsequenter Schutz der Außengrenzen) viel abgewinnen. Das umso mehr, als der Klimawandel
wirtschaftlich eine Chance darstelle – „Technologie und Wissen“könnten Konjunkturmotoren werden.
Irgendwann am Nachmittag sitzt Sebastian Kurz an einem langen Holztisch in der österreichischen Botschaft in Brüssel und macht, was man im Fachjargon „De-Briefing“nennt – die Lage wird zusammengefasst. Am Tisch sitzen viele Journalisten aus der Bundesrepublik. Auch sie wollen den Regierungschef erleben und befragen.
Und Kurz nutzt die Gelegenheit, um den deutschen Berichterstattern zu erklären, was ihn an der deutschen Kommissionspräsidentin gefällt. „Ich rechne es Ursula von der Leyen hoch an, dass sie die verbindende Rolle schätzt und nicht weiter das Klima in der Union vergiften will.“
Das ist im Übrigen der dritte Punkt, bei dem sich die beiden einig sind: Die Gräben zwischen Ost und West in der EU müssen dringend zugeschüttet werden.
Mit von der Leyens Rückendeckung wird Sebastian Kurz deshalb am Donnerstag am Treffen der Visegrad-Staaten in Prag teilnehmen.
Wien als „Brückenbauer“und Friedensstifter zwischen Ost und West in der EU? Die Rolle ist nicht neu, aber sie gefällt Kurz. Wie fast alles an diesem Sonntag in der Hauptstadt der EU.