Kurier

„Irans Regime ist sehr nervös“

Nach Lügen über Flugzeugab­schuss kocht die Wut im Land hoch

- VON ULRIKE BOTZENHART

Genug der Lügen, genug der antiamerik­anischen Parolen – und wohl auch genug des Wartens auf eine bessere Zukunft, die nicht kommt: Landesweit machten Iraner am Sonntag ihrer Wut auf das Regime Luft, das nach tagelangem Lügen und Leugnen am Vortag eingestand­en hatte, eine ukrainisch­e Passagierm­aschine irrtümlich abgeschoss­en zu haben. 176 Menschen kamen dabei ums Leben, 147 davon hatten laut offizielle­n Angaben auch einen iranischen Pass, viele darunter waren Studenten.

„Entschuldi­gt euch und tretet zurück“, titelte die als moderat geltende iranische Zeitung Etemad. Die ebenfalls gemäßigten Zeitung Islamische Republik schreibt: „Diejenigen, die die Veröffentl­ichung der Ursache für den Flugzeugab­sturz verzögert und das Vertrauen der Bevölkerun­g in das Establishm­ent beschädigt haben, sollten entlassen werden oder zurücktret­en.“

Feind im eigenen Land

„Unser Feind ist im Inneren, nicht die USA!“, schallte es bereits Samstagabe­nd durch die Straßen und über die Plätze rund um Universitä­ten in Teheran. Die Trauer Tausender Studenten um die Opfer des Abschusses vom Mittwoch war rasch in Zorn umgeschlag­en. Und der richtete sich direkt gegen den Mann, der die wahre Macht im 80-Millionen-EinwohnerS­taat hat: Revolution­sführer Ali Khamenei, geistliche­s Oberhaupt im Gottesstaa­t.

Er ist Oberbefehl­shaber der gesamten bewaffnete­n

Der Ruf nach seinem Rücktritt wird lauter: Ali Khamenei (80)

Macht und damit auch der Revolution­sgarde, deren Luftwaffe das Flugzeug abschossen. Es gilt als ausgeschlo­ssen, dass Khamenei nicht umgehend vom Fehler unterricht­et wurde. Lautstark und mutig forderten die Demonstran­ten den Rücktritt des 80-Jährigen.

Die Polizei setzte Tränengas ein und nahm gegen alle internatio­nalen Gepflogenh­eiten kurzzeitig den britischen Botschafte­r fest. Er habe die Iraner aufgestach­elt, hieß es. Großbritan­nien wies dies aufs Heftigste zurück.

Aus den USA rief sich Donald Trump am Wochenende mehrmals in Erinnerung. „An die Führung im Iran – tötet

nicht Eure Demonstran­ten“, warnte er via Twitter vor „weiteren Massakern an friedliche­n Demonstran­ten“. Die Welt „und was noch wichtiger ist, die USA“, würden die Ereignisse im Iran genau beobachten, so Trump.

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Der KURIER bat den Iran-Experten Walter Posch um eine Einschätzu­ng der Lage.

KURIER: Wie groß ist die Protestbew­egung gegen das Regime im Iran? Walter Posch: Die Protestwel­le ist vielleicht nicht so groß wie im Jahr 2009, aber sie ist sehr groß, obwohl seitdem viele Iraner das Land verlassen haben. Landesweit

Am Sonntag gab es in Teheran und anderen Städten Proteste

gehen jetzt Iraner auf die Straße – und es sind keine Hungerprot­este wie im Vorjahr, sondern politische Proteste gegen die Führung, an denen auch die Studenten und die Mittelschi­cht teilnimmt. Sie haben die Nase voll von Lügen und antiamerik­anischen Parolen. Von außen ist der Protest sicher nicht organisier­t. Die Menschen wollen ein ordentlich regiertes Land. So billig kommt der Revolution­sführer, der Oberbefehl­shaber der Revolution­sgarden, die das Flugzeug abgeschoss­en haben, nicht mehr weg.

Was ist zu erwarten? Tatsache ist, dass das Regime

sehr nervös ist – auch wegen der Drohungen der USA. Es kommt jetzt darauf an, ob es dem Regime gelingt, die Proteste rasch wieder einzudämme­n – und auf welche Art. Das wird, glaube ich, schwierig. Diese Proteste könnten das Regime ins Wanken bringen – ob es diese sind oder die nächsten, bleibt abzuwarten. Es könnte zumindest zu personelle­n Konsequenz­en führen.

Ist ein Rücktritt von Khamenei realistisc­h?

Das kann ich mir nicht vorstellen. An ihm werden sie bis zum Schluss festhalten – auch weil die Nachfolgef­rage nicht geklärt ist.

 ??  ?? Angehörige und Freunde der Opfer des Flugzeugab­schusses in Teheran zündeten Kerzen an – bald schlug die Trauer in Wut um
Angehörige und Freunde der Opfer des Flugzeugab­schusses in Teheran zündeten Kerzen an – bald schlug die Trauer in Wut um
 ??  ?? Tausende Studenten skandierte­n: „Unser Feind ist im Inneren“
Tausende Studenten skandierte­n: „Unser Feind ist im Inneren“
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