Mehr als die Einbauküche
Ein Abend, Bücher und eine Ausstellung erinnern an die Jahrhundertgestalt
Wien erinnert sich an die große Margarete Schütte-Lihotzky.
Adolf Loos konnte sie „auf das Angelegentlichste jedermann empfehlen“. Ihre erste Einbauküche von 1926 ist heute noch im Ernst-May-Haus in Frankfurt am Main zu besichtigen. Ihr Lebensthema ist der soziale Wohnbau. Und ihr erster Aufsatz fragt: „Wie kann man der Frau durch richtigen Wohnbau die Arbeit erleichtern?“
Bekannt wurde Margarete Schütte-Lihotzky (1897–2000) mit dem Entwurf der funktionellen und billigen „Frankfurter Küche“, von der rund 10.000 in standardisierten Kleinstwohnungen realisiert wurden: „Daran habe ich nur ein paar Monate gearbeitet, aber das verfolgt mich mein ganzes Leben. Entsetzlich“, sagte sie 1997 im KURIERGespräch.
Die Wiener Architektin und Widerstandskämpferin gegen die Nazi-Diktatur hat sich ihr Leben lang für eine menschenwürdige Welt eingesetzt. Am 18. Jänner 2020 jährt sich ihr Todestag zum 20. Mal.
Popsong
Bei einem „Abend für Margarete Schütte-Lihotzky“am 17. Jänner (ab 18.30 Uhr) im Wien Museum (MUSA) wird ihrer gedacht mit einem Gespräch, Führungen und einer Lesung. Außerdem mit einem Set des Singer-Songwriters Robert Rotifer: Bei ihm gehen Popmusik und Politik seit jeher Hand in Hand. Er feiert die Architektin in seinem Song „This is my tribute to the Frankfurter Kitchen…“, zitiert sie: „Hätte ich gewusst, dass alle nur über diese verdammte Küche reden, ich hätte sie nie erfunden.“Und sein Video „The Frankfurt Kitchen“ist längst Teil der ständigen Sammlung des New Yorker MoMa.
Als junge Frau hat sie im Roten Wien Siedlungshäuser entworfen und an Ideen zur Rationalisierung der Hausarbeit gearbeitet: Zu sehen am Modell der Spülküche in Betonguss, einer Vorform der Frankfurter Küche.
Sie war geprägt vom „Neuen Bauen“, einer deutschen Architektur- und Städtebaubewegung, entstanden vor dem Ersten Weltkrieg, die in der Zeit der Weimarer Republik endet.
„Sie hat selbst gesagt – noch kurz vor dem Krieg: Sie glaubt nicht, dass Frauen jemals Häuser bauen dürfen. Dass sie es trotzdem gemacht hat, zeigt, wie hungrig diese Frauen waren auf Wissen, auf Fähigkeiten, auf etwas Neues und auf sich neu zu erfinden in dieser Zeit“, sagt die Kunsthistorikerin Adriana Kapsreiter.
Ab 1930 ist Schütte-Lihotzky als Kinderbauten-Expertin in der Sowjetunion, später in der Türkei tätig. 1941 entgeht sie in Wien als Widerstandskämpferin nur knapp dem Tod. Im Kalten Krieg wird sie, die Kommunistin, als Architektin in Wien boykottiert und erhält nur wenige Aufträge wie den Kindergarten am Kapaunplatz (1950).
Als Publizistin und Beraterin ist sie bis ins hohe Alter international in der Friedensund Frauenbewegung aktiv. Erst in ihren letzten Jahren erhält sie in Österreich Anerkennung.
Neue Perspektiven
In der Edition Angewandte – Buchreihe der Universität für angewandte KunstWien präsentiert der Band „Margarete Schütte-Lihotzky. Architektur. Politik. Geschlecht“(Verlag Birkhäuser) die „Mutter der Einbauküche“jetzt jenseits aller Mythen.
Neueste Forschungen aus dem Bereich der Kunst- und
Sie war mehr als nur die Erfinderin der Einbauküche: Margarete Schütte-Lihotzky (1897–2000)
Zeitgeschichte, der Pädagogik und Gender Studies zeigen neue Perspektiven auf ihr Leben und Werk – und damit ein differenzierteres Bild der Architektin, deren Nachlass sich an der Universität für angewandte Kunst Wien befindet.
Eine Entdeckung
Schütte-Lihotzky hat zwar die Einbauküche erfunden, aber darauf reduziert werden wollte sie nicht. So sagte sie: „Ich bin keine Küche!“
Für Mona Horncastle ist sie, „die man leider nicht kennt, nicht einmal in Architektenkreisen“, eine Entdeckung: „Margarete SchütteLihotzky: Architektin, Widerstandskämpferin, Aktivistin“(Molden Verlag) ist der Titel der neuen Biografie dieser „Jahrhundertgestalt“.
Spuren in Wien
Die Ausstellung „schützenswert und zukunftsweisend“(17. 1. bis 26. 6. im Margarete Schütte-Lihotzky Raum; 3., Untere Weißgerberstraße 41) und ein Symposium (am 30. 1.) widmen sich den fünf nach 1950 entstandenen Bauten der Architektin in Wien, die unter Denkmalschutz stehen und nach wie vor genutzt werden.
Am 17. Jänner, Wien Museum MUSA, 1., Felderstraße 6-8. 18.30 Uhr: „Ein Jahrhundertleben – zu M. SchütteLihotzky“: Bernadette Reinhold (Univ. für angewandte Kunst Wien), Werner Michael Schwarz (Wien Museum); 19 Uhr: „Warum ich Architektin wurde“: Esther Csapo liest Texte von M. Schütte-Lihotzky; 20 Uhr: „Spülküche und Siedlungsbewegung“: Führung in der Ausstellung mit Christine Zwingl (Architektin, Leitung Margarete Schütte-Lihotzky Raum) und Nikolaus Fuchs (Designer); 20.30 Uhr: „The Frankfurt Kitchen“Musik: Robert Rotifer