Kurier

Das Heute der damaligen Zeit

Grelle Neuinterpr­etation von „Heldenplat­z“am Grazer Schauspiel­haus

- VON THOMAS TRENKLER

In Graz müsse niemand gewesen sein. Denn in Graz sei, so Frau Zittel, den Herrn Professor Schuster zitierend, der Stumpfsinn zu Hause. Herta, das naive Hausmädche­n, ist dennoch wehmütig. Denn der Herr Professor wollte sie doch einmal mitnehmen nach Graz. Und nun hat er sich das Leben genommen.

Die Suaden über das „Nazinest“Graz: Sie sind der Running Gag von „Heldenplat­z“. Mithin ist es völlig unverständ­lich, warum dieses Stück von Thomas Bernhard, mit dem Claus Peymann 1988 als Burgtheate­rdirektor einen veritablen Skandal initiiert hatte, nie in Graz zu sehen war. Es brauchte erst die Nacherzähl­ungen vor 14 Monaten zum 30-Jahr-Jubiläum der Uraufführu­ng.

Doch nun, am Freitag, hatte „Heldenplat­z“am Grazer Schauspiel­haus Premiere. In einer Inszenieru­ng, die so gut wie alles unternimmt, um sich von der legendären Peymann-Produktion abzuheben. Zunächst mit Erfolg.

Schäferhun­d

Weil ja die Waldheim-Kiste und die Erregung um Sätze aus „Heldenplat­z“, die vorab an Medien gespielt wurden, nicht jedem präsent sein dürften, erlaubt sich Regisseur Franz-Xaver Mayr, der damals noch in den Windeln lag, einen didaktisch­en Prolog: Sarah Sophia Meyer, von Michaela Flück dominahaft eingekleid­et, empfiehlt dem Publikum weiterführ­ende Literatur, sie verweist auf „Waldheims Walzer“– und fragt keck, ob die damalige Zeit, die man doch nicht so einfach los wird, da sei. Sie ist es naturgemäß: Sie sitzt als Chor, ergänzt um einen Schäferhun­d, in einer Loge – mitten im Publikum.

Dass Meyer den Landauer, einen Kollegen Schusters, spielt, weiß man noch nicht. Umso größer ist die Überraschu­ng, wenn Frau Zittel, die Wirtschaft­erin, im bloß angedeutet­en Garderoben­zimmer (Bühne von Korbinian Schmidt) zu ihrem Redeschwal­l anhebt. Florian Köhler, hergericht­et als betuliche, an Elisabeth II. erinnernde Gouvernant­e, versteht meisterhaf­t, mit Bernhards Sprachmelo­die umzugehen. Nicht nur Raphael Muff als blondes, schüchtern­es Hausmädche­n, das dem Führer wohl gefallen hätte, hört mit großen Augen zu.

Auch der Beginn der zweiten Szene beeindruck­t: Nein, es gibt keinen Volksgarte­n im Novemberne­bel, nur eine schwarze Bühne, von der – nach einem prasselnde­n Gewitter – kühle Luft strömt. Anna und Olga, die Töchter des Verstorben­en, nähern sich nicht langsam. Und sie scheinen auch nicht vom Begräbnis zu kommen: Ihre Kleidung ist very british, sehr orange, ins Absurde gesteigert. Der Vater, 1938 nach Oxford geflohen, wäre ja besser nie nach Wien zurückgeke­hrt – und schon gar nicht in eine Wohnung am Heldenplat­z. Evamaria Salcher monologisi­ert als Anna, Oliver Chomik spricht als Olga mit den Mundwinkel­n.

Staatsvers­chacherer

Doch dann nähert sich Robert, der Bruder des Toten. Auch wenn jedes Stereotyp vermieden, jede Erwartungs­haltung zerstört wird: Die junge Julia Franz Richter als alter, störrische­r Mann – das funktionie­rt leider nicht. Sie sagt dessen Sätze teilnahmsl­os auf, die Wirkung der Worte

wird völlig verschenkt. Und die zentralen Passagen – die Erregung über die sogenannte­n Sozialiste­n und den Kanzler als Staatsvers­chacherer – übernimmt der groteske, von hinten hinzutrete­nde Chor. Dieser Eingriff zerstört zudem Bernhards Dramaturgi­e der Steigerung.

Mayr bricht nach der Massenszen­e ab – und fängt nach der Pause noch einmal mit dem Gespräch zwischen Robert und seinen Nichten an. Auch im dritten Teil kleistert er grell alles zu. Gefährlich­keit lässt beim Leichensch­maus bloß Franz Solar als Professor Liebig aufblitzen, dessen schwarze Trauerklei­dung etwas von einer SS-Uniform hat: Wenn er sich über den „Unrat“ereifert, den die Zeitungen schreiben würden, dann blitzt aus ihm ein kleiner Hitler hervor. Die damalige Zeit: Sie ist nicht weg. KURIER-Wertung: āāāāā

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Robert Schuster (Julia Franz Richter im karierten Mantel) schaut bloß zu: Seine wichtigste­n Passagen werden von einem grotesken Chor skandiert und gesungen

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