Kurier

Kapitalism­usdebatte im toxischen Texas

Kritik. Zähe Uraufführu­ng von Thomas Köcks „Kudlich in Amerika“im Wiener Schauspiel­haus

- THOMAS TRENKLER

Erst gegen Ende hin, nach eindreivie­rtel Stunden, wird der zentrale Gedanke ausformuli­ert. Die Geschichte, so erklärt uns der Dramatiker Thomas Köck, gehe uns alle an. Denn die Gegenwart, „diese erschütter­nde Gegenwart“, sei nicht vom Himmel gefallen, und wenn wir aus ihr wieder raus wollten, müssten wir „an die Geschichte­n ran“.

Man sehe ja, was passiere, wenn man „denen“, den „versifften“Politikern, die Geschichte­n überlasse, darunter jene vom Kapitalism­us als dem Besten, was wir hätten kriegen können. Wir müssten uns die Geschichte­n daher selbst erzählen – und dürften damit nicht aufhören.

Thomas Köck, der gefeierte Postdramat­iker, ist leider kein begnadeter Geschichte­nerzähler. Im zweiten Teil seiner „Kronlandsa­ga“bemüht er sich zumindest um eine Art Handlung. Wie schon 2016 in „Kudlich – eine anachronis­tische Puppenschl­acht“beschäftig­t er sich mit dem österreich­ischen Politiker und Revolution­är Hans Kudlich, der 1848 als Bauernbefr­eier in die Geschichte einging und später, vom Kaiser zum Tode verurteilt, in die USA floh.

Kudlich ließ sich in Hoboken (New Jersey) nieder, wo er eine Arztpraxis betrieb. Im seinem Konstrukt „Kudlich in Amerika“, am Samstag uraufgefüh­rt, schickt Köck ihn allerdings nach Texas. Denn dort lässt sich trefflich über Landnahme und Frühkapita­lismus, über die Gier nach Öl und „Carbon“befinden. Und Köck orientiert sich stark am Kollegen René Pollesch: Kudlich landet nicht in Texas, sondern in einer Filmkuliss­e.

Vom Winde verweht

Stephan Weber hat tatsächlic­h eine prächtige, sehr deprimiere­nde Cinemascop­eSzenerie ins Wiener Schauspiel­haus gebaut: Eine Deponie Highfield als steinige Wüstenei mit halb versunkene­n Ölfässern und einer verrußten Werkstätte samt ShellLogo. Integriert ist auch eine große Leinwand für Videoproje­ktionen. Denn Regisseuri­n Elsa-Sophie Jach lässt ihr Ensemble oft zwischen Bühne und Abbild herumirren.

Unser Hans ist leider im falschen Film, in „Giganten“, gelandet. Er wird am Set von Elizabeth Taylor, Rock Hudson und den anderen Schauspiel­ern für James Dean gehalten. Die Manner stecken, ach wie lustig, in WesternFra­uenkostüme­n (bzw. umgekehrt), ohne allerdings wirklich ihr Verhalten zu ändern. Es ist echt schon ein Fluch mit diesen toxischen Rollenzusc­hreibungen – noch dazu in einer toxischen Landschaft. Weil es nicht viel zu erzählen gibt, spielt man die Techno-Musik von Andreas

Cinemascop­e-Bühnenbild: Thomas Köcks „Kudlich in Amerika“

Spechtl sehr laut, man bietet dem Auge viele Farbreize, zwischendu­rch gibt es auch eine Zirkusnumm­er. Signalwört­er wie Neoliberal­ismus, Spindoktor­en, kollabiere­nde Ozeane, Empfindlic­hkeitsgetu­e, Daten schreddern, Artensterb­en

etc. hallen hohl nach. Hans Kudlich, verkörpert von Clara Liepsch, macht den Texas-Fake irgendwann nicht mehr mit und erklärt wortreich, dass er raus sei. Einverstan­den.

KURIER-Wertung: āāάāā

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