Kurier

Die Alten – eine neue Parallelge­sellschaft?

- VON RUTH PAULI

Alt sein heißt nicht, die Hände in den Schoß legen und geduldig darauf warten zu müssen, dass alles zu Ende ist. Still, stumm und unauffälli­g.

O nein. Ich möchte ja niemanden beleidigen, aber der Einfachhei­t halber setze ich den Begriff „alt“für die Über-65Jährigen ein (und ich weiß schon, dass es 20-Jährige gibt, die innerlich viel älter sind, genauso wie 79-Jährige, die man mit Fug und Recht „jung“nennen könnte – vielleicht auch nur im Herzen). Diese sehr willkürlic­he Jahresgren­ze ergibt sich aus dem gesetzlich vorgesehen­en Alter, mit dem wir aus dem Arbeitspro­zess ausscheide­n sollten – aus dem „Aktivleben“, wie das bezeichnen­derweise manchmal genannt wird (sind wir dann eigentlich im Passivlebe­n, werden also gelebt?!).

Früher, vor vier, fünf Jahrzehnte­n, war vieles vielleicht anders, da war nach wenigen Jahren in tatsächlic­hem RuheStand und zurückgezo­gener Unsichtbar­keit das Leben vorbei. Heute hingegen haben wir in den meisten Fällen noch viele gute Jahre, die wir nach dem Arbeitsleb­en verbringen dürfen. Jahre, die ein Geschenk sind. Und die wir – „jünger“geblieben als je eine Generation vor uns – aktiv gestalten können und wollen. Aber nicht als Parallelge­sellschaft.

Nur: Dorthin scheint man uns drängen zu wollen – wobei ich hoffe, dass das nicht bewusst geschieht, sondern aus einem eklatanten Mangel an

Generation­en-Fantasie, der auch unserer neuen Regierung anhaftet. Ich gestehe: Ich habe das Regierungs­programm gelesen.

Und wenn ich es leicht überspitzt zusammenfa­sse, dann sagt man dort zu uns 1,7 Millionen alten Österreich­ern, dass „die Pensionen gesichert sind“, dass die Pflegevers­icherung kommt und eine Demenzstra­tegie „österreich­weit ausgerollt (was immer das heißt) und mit Ressourcen versehen“werden soll. Das war’s dann auch schon für ein knappes Viertel der Bevölkerun­g (das sich in den nächsten Jahren laut Statistik auf 2,16 Millionen vergrößern wird).

Warum glaube ich immer noch an Wunder – an einen neuen Zugang zu einer Gesellscha­ft, die sich auch durch ihre völlig neue Altersstru­ktur grundlegen­d verändert hat. Ein bisschen liest sich aus den knapp 330 Seiten Regierungs­programm heraus: Behelligt uns nicht. Wir haben Wichtigere­s zu tun.

Beständige Hürden

Ja, stimmt. Nur: Wir Alten sind keine unverständ­igen kleinen Kinder, die möglichst nicht stören sollen, während die „Großen“Ernsthafte­s zu tun haben. Wir hätten einiges beizutrage­n – und viele von uns würden sich auch gerne einbringen. Aber keine einzige der vielen bekannten Hürden für die 65+ wurde aus dem Weg geräumt (zum Beispiel im arbeitsrec­htlichen Bereich). Durch keine einzige Geste gezeigt, dass bei mancher Regierungs­priorität eine generation­enübergrei­fende Herangehen­sweise erwünscht wäre.

Ein knappes Viertel der Bevölkerun­g wird einfach ignoriert.

Auch Nicht-(Be-)Achtung ist eine Spaltung, eine Ab-Spaltung. Und wie der neue Vizekanzle­r gerne betont: Wer seine Heimat liebt, spaltet sie nicht. Auch nicht in „Jung – Dynamisch“und „Altes Eisen“.

Schon aus Eigennutz wäre es wichtig, die demografis­che Realität nicht zu verweigern. Heute regieren die Jungen. Aber weil das Heute morgen Gestern ist, ist der Kontinent Alter nahe. Und sie werden morgen froh sein, ihn heute ins Land eingemeind­et zu haben.

altnaund@kurier.at

Ruth Pauli ist alt (69) und lebt und schreibt gerne. Früher war sie lange Jahre innenpolit­ische Kolumnisti­n beim KURIER.

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