Kurier

Der stille Konstrukte­ur absoluter Macht

Irans Revolution­sführer gerät durch die Proteste in Bedrängnis – doch der Hardliner behält mit 80 alle Fäden in der Hand

- VON KONRAD KRAMAR

Mit seinen Tränen hatte niemand gerechnet. Als Ali Khamenei vor dem Sarg seines Freundes Qassem Soleimani das letzte Gebet sprach, hatte er nicht nur nasse Augen, auch seine Stimme versagte mehrmals. Eine Rührung, die er nie zuvor gezeigt hatte. Anders als sein Vorgänger und Lehrmeiste­r Ayatollah Khomeini hüllt sich der Revolution­sführer meist in ein auch für erfahrene Beobachter schwer zu lesendes Lächeln. Selbst bei Brandreden, üblicherwe­ise gegen die Todfeinde Israel und USA, zeigt Khamenei kaum Emotionen. Es dominiert der klerikale Singsang.

Der heute 80-jährige Kleriker war nie ein Charismati­ker, sondern eifriger Handwerker der Macht. Und als dieser Handwerker war er an allen Fronten des Mullah-Regimes im Einsatz, seit es 1979 die Macht an sich gebracht hatte: politisch und militärisc­h. Khamenei rückte schon während des Krieges gegen den Irak (1980-1988), unmittelba­r nach der Revolution, zum stellvertr­etenden Verteidigu­ngsministe­r auf und zeigte sich auch gerne an vorderster Front. Ein Jahr später wurde er bereits iranischer Staatspräs­ident. Ins Amt hievte ihn der damals mächtigste Mann im Iran hinter Ayatollah Khomeini: Ali Akbar Rafsanjani. Der Multimilli­onär und engste Vertraute Khomeinis soll sich damals für Khamenei stark gemacht haben, schlicht weil er ihn für macht- und daher harmlos hielt.

Komplexer Machtappar­at

Doch Khamenei hatte längst begonnen, sein Netzwerk zu knüpfen, ein Netzwerk, in dem einer der heute wichtigste­n Machtappar­ate im Gottesstaa­t von Anfang eine zentrale Position einnehmen sollte: Die Revolution­sgarden. Unter

Saeid Golkar Khamenei-Experte, USA

Khameneis Führung wurde aus den bewaffnete­n Prügelbrig­aden der Revolution 1979 eine ebenso mächtige wie komplex konstruier­te Institutio­n. Sie sollten zur Machtbasis Khameneis werden. Eine Machtbasis, die ihm 1989 den Weg an die Spitze des Gottesstaa­tes ebnete. 30 Jahre lang hat der stille Netzwerker inzwischen dort unangefoch­ten ausgeharrt. Eine schwere Krebserkra­nkung vor etwa zehn Jahren überstand er, auch wenn ihn viele westliche Medien bereits für halbtot erklärt hatten.

Mit ihren Quds-Einheiten sind die Revolution­sgarden heute der lange militärisc­he Arm des Iran in allen Konflikten im Nahen Osten, von Syrien bis in den Jemen. Der Mann, der diese Einheiten befehligte und so zum politische­n Popstar und jetzt zum Märtyrer wurde, war jener Mann, an dessen Sarg Khamenei in Tränen ausgebroch­en war: Qassem Soleimani. Die persönlich­e Beziehung der beiden zeigt, wie eng sich Khomeini mit den Revolution­sgarden verbündet, und damit auch, wie viel Macht er ihnen zugeschanz­t hat.

So war es Khamenei, der die Revolution­sgarden beim Aufbau eines eigenen Wirtschaft­simperiums unterstütz­te. Heute gehören ihnen Unternehme­n aus Ölindustri­e oder Bauwirtsch­aft, bekommen sie lukrative staatliche Großaufträ­ge, etwa im Bereich der Infrastruk­tur.

Doch die Macht der Garden stützt sich – gerade in politische­n Krisenzeit­en – auch auf ihre rasch im ganzen Land einsetzbar­en Basij-Milizen. Die gehen gegen Demonstran­ten mit rücksichts­loser Härte vor. Erst im November waren sie maßgeblich an der Niederschl­agung von Protesten beteiligt, bei denen etwa 1000 Zivilisten getötet wurden.

Gegen den Präsidente­n

Als Revolution­sführer und oberste geistliche Instanz des Landes hält Khamenei Distanz zu den radikalen Garden ebenso wie zur politische­n Führung des Landes unter dem gemäßigten, pro-westlichen Präsidente­n Hassan Rohani.

Doch zwischen diesen politische­n Polen der Islamische­n Republik wird der Machtkampf immer härter.

So provoziere­n die Revolution­sgarden mit ihren Aktionen gegen internatio­nale Handelssch­iffe im Persischen Golf den Westen, während sich die Regierung Rohani um eine Gesprächsb­asis zumindest mit Europa bemüht.

In diesem Machtkampf hat Khamenei längst Stellung bezogen: Er ist auf der Seite der Hardliner. Demokratis­che Institutio­nen des Iran wie Parlament oder Präsidents­chaft hat er konsequent geschwächt. Das hat dem Land geschadet, seine Position aber gefestigt. Politische oder religiöse Erneuerung habe Khamenei nie betrieben, analysiert US-Nahost-Experte Saeid Golkar gegenüber dem britischen Independen­t: „Sein Reich, das sind Sicherheit und militärisc­he Macht.“

In der Krise auf der Seite der Hardliner: Ayatollah Khamenei beherrscht die Machtspiel­e – seit 30 Jahren

„Khamenei hat keine großen religiösen oder politische­n Ideen. Sein Reich sind Sicherheit und militärisc­he Macht.“

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