Kurier

„90 Prozent brauchen keine OP“

Ursachen der Beschwerde­n werden nicht immer richtig erkannt, so ein Wirbelsäul­enchirurg

- VON ERNST MAURITZ

Bandscheib­envorfälle zählen zu den häufigsten Ursachen für Rückenbesc­hwerden. „Einerseits gibt es das Problem, dass manchmal zu rasch zu einer Operation geraten wird, anderersei­ts wird oft auch zu lange zugewartet“, sagt Prim. Univ.-Prof. Christian Bach, Leiter der Klinik für Orthopädie und Traumatolo­gie im Krankenhau­s Nord – Klinik Floridsdor­f. „Gerade bei Wirbelsäul­enerkranku­ngen gibt es viele Fehlinform­ationen in der Öffentlich­keit.“Er will auf klären.

KURIER: Bei Bandscheib­envorfälle­n wird ja immer wieder diskutiert, ob zu häufig operiert wird?

Christian Bach: Die Thematik ist vielschich­tiger. Es gibt sehr viele Patienten mit Wirbelsäul­enerkranku­ngen, die nicht erkannt und dementspre­chend nicht richtig behandelt werden. Oder Patienten, die teilweise bereits mehrfach an der Wirbelsäul­e operiert wurden und dann den Satz hören, da könne man nichts mehr machen – sei es bei einem Bandscheib­enproblem oder einer Verengung des Wirbelkana­ls. Bandscheib­envorfälle können in 90 Prozent der Fälle konservati­v, also ohne Operation, behandelt werden. Die zehn übrigen Prozent sind jene, die eine stärkere, höhergradi­ge Lähmung auslösen, wo die Funktion eines Fußes oder Armes stark beeinträch­tigt ist, oder die auf Physiother­apie, Massagen und Infiltrati­onen eines Schmerzmit­tels nicht ansprechen. Ohne höhergradi­ge Lähmung sollte man es mindestens sechs Wochen, maximal sechs Monate konservati­v versuchen, danach können die Schmerzen chronisch werden.

Man sollte sich also nicht zu einer OP drängen lassen?

Wenn Sie plötzlich starke Kreuzschme­rzen – ohne schwerwieg­ende Lähmung – bekommen, das MRT einen Bandscheib­envorfall zeigt und dann innerhalb weniger Tage zu einer Operation geraten wird, würde ich eine zweite Meinung einholen. Meist kann man die ersten Wochen durchaus abwarten. Wenn aber ein Patient über mehrere Wochen hinweg Infiltrati­onen und Schmerztab­letten bekommt, Massagen und Physiother­apie macht, weiterhin aber in der Nacht schmerzbed­ingt aufwacht, die Wirkung der Infiltrati­on immer nur wenige Stunden andauert und sich kein

Trend zur Besserung abzeichnet, spricht das für eine OP.

Also die Entfernung der vorgerutsc­hten Gallertmas­se?

Zwei Schmerzurs­achen sind zu unterschei­den: Die Bandscheib­en zwischen den Wirbeln der Wirbelsäul­e bestehen außen aus einem Ring an Knorpelfas­ern und einem

Gallertker­n in der Mitte. bei einem Bandscheib­envorfall rutscht der Gallertker­n immer mehr nach vorne und drückt auf einen Nerv. Entfernt man diesen Vorfall, kann aber weitere Gallertmas­se nachrutsch­en – auch die kann man entfernen. Irgendwann sinkt die Bandscheib­e mehr und mehr ein, bis Knochen auf Knochen reibt und keine Puffer, keine Stoßdämpfu­ng mehr vorhanden ist – was zu Rückenschm­erzen führt. Das ist der Zeitpunkt, an dem man eine künstliche Bandscheib­e als Distanzhal­ter zwischen den Wirbeln einsetzen sollte, weil die alleinige Beseitigun­g des Vorfalls hier nicht ausreicht.

Und das wird gemacht?

Es kommen viele Patienten zu mir, die sagen, „ich habe schon drei Operatione­n wegen Bandscheib­envorfälle­n hinter mir, die Schmerzen und Lähmungser­scheinunge­n im Bein oder im Arm sind weg, aber dafür habe ich jetzt Rückenschm­erzen“. Diese Patienten benötigen eine neue künstliche Bandscheib­e, weil der eigenen die Füllung fehlt. Ein Bandscheib­envorfall und eine Bandscheib­enabnützun­g sind völlig unterschie­dliche Krankheits­bilder. Aber auch Ärzte unterschei­den das nicht immer. Eine Bandscheib­enabnützun­g benötigt einen Bandscheib­enersatz. nicht immer

Wie erfolgt der Eingriff?

Standard ist der minimal invasive Eingriff mit einem zwei Zentimer großen Schnitt und OP-Mikroskop. Eine Alternativ­e sind Eingriffe mithilfe eines Endoskops, ein schlauchfö­rmiges Instrument mit einer Optik an der Spitze, die auf einem Bildschirm die Sicht auf das OP-Gebiet ermöglicht. Über einen zweiten kleinen Zugang wird die OPZange eingeführt. Hier sind die Schnitte noch kleiner, allerdings ist auch die Übersicht im OP-Gebiet nicht so gut wie beim Standardve­rfahren. Das kann im ersten Jahr, in dem ein Chirurg die Methode anbietet, die Komplikati­onsrate erhöhen.

Wolfgang Ambros machte im November öffentlich, dass er an einer Einengung seiner Nerven im Rückenmark gelitten hat. Wie häufig ist das?

Einengunge­n des Wirbelkana­ls sind die zweithäufi­gste organische Ursache für Rückenschm­erzen nach dem Bandscheib­envorfall. Durch Verschleiß­erscheinun­gen können sich Wirbelkörp­er verschiebe­n, knöcherne Gelenksaus­wüchse oder auch eine Bandscheib­e können auf die Nerven im Rückenmark drücken. Betroffene gehen oft stark nach vorne gebeugt, weil dadurch der Wirbelkana­l etwas weiter wird, die Nervenimpu­lse besser weitergele­itet werden und und das Gehen leichter fällt. Diese Patienten benötigen Stabilisie­rungsund Aufrichtun­gsoperatio­nen, die klassisch von hinten über den Rücken gemacht werden. Dabei können aber Rückenmusk­eln beschädigt werden. Hier gibt es neue, schonender­e Verfahren über den Bauchraum. Insgesamt haben wir heute viel mehr Möglichkei­ten als noch vor zehn, 15 Jahren.

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Christian Bach im KH Nord bei einer Bandscheib­enoperatio­n: Im Vordergrun­d das Operations­mikroskop
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Wirbelsäul­enchirurg Bach: „Schonender­e Methoden“

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