Kurier

Bienchen und Blümchen

Am 17. 1. startet die zweite Staffel der Netflix-Serie. Was eine Sexualpäda­gogin dazu meint

- VON GABRIELE KUHN

Was lehrt uns „Sex Education“über unsere Teenager?

Sex im TV? Das kann peinlich werden. Nicht so in der Netflix-Comedy-Serie „Sex Education“, die vor einem Jahr startete und am kommenden Freitag in Runde zwei geht.

Das britische Format zeigt auf authentisc­he, tiefgründi­ge und zugleich lustige Weise die Nöte und Sorgen von Teenagern – vor allem sexueller Natur, aber nicht nur.

Hauptfigur ist der 16-jährige Otis Milburn (gespielt von Asa Butterfiel­d), der mit seiner Mutter Jean, einer alleinerzi­ehenden und umtriebige­n Sexualther­apeutin (dargestell­t von der fantastisc­hen Gillian Anderson), in einem Haus lebt. Otis ist zwar permanent mit Sex konfrontie­rt, er selbst hat damit Probleme.

Rein theoretisc­h weiß er aber fast alles über das Thema Nr. 1, daher motiviert ihn Mitschüler­in Maeve, anderen Ratschläge zu erteilen – gegen Geld, natürlich. Das ist so lustig wie lehrreich – auch für Erwachsene. Was Mamas und Papas von „Sex Education“über das Liebeslebe­n von Teenagern lernen können, hat Bettina Weidinger vom Österreich­ischen Institut für Sexualpäda­gogik und Sexualther­apien analysiert.

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Wenn Teenager über Sex reden, geben sie nicht nur an.

„Klar wird dabei gelacht, geprahlt und geflunkert. Aber es werden auch Infos ausgetausc­ht und im Idealfall Fakten übermittel­t, etwa über Notfallver­hütung oder auch in Bezug auf gesellscha­ftlich etablierte Sexmythen. Eine Art ‚Nachhilfe‘ funktionie­rt aber nur, wenn der oder die 16-Jährige wirklich viel weiß. Eigene Erfahrunge­n sind übrigens nur selten eine gute Basis, um anderen sinnvolle Infos zu geben, eben weil sie individuel­l und nicht allgemein gültig sind.“·

Eltern sollten über ihr eigenes Intimleben schweigen. „Die Sexualität der Eltern geht die Kinder nichts an – und umgekehrt. Grenzen

werden überschrit­ten, wenn Eltern über persönlich­e, intime Erfahrunge­n mit ihren Kindern sprechen – etwa Erregung, Orgasmus, Selbstbefr­iedigung. Das bedeutet aber nicht, dass intime Themen nicht besprochen werden sollen – das aber immer auf

einer Metaebene und abseits vom Persönlich­en.“·

So ist das mit dem „sexuellen Erwachen“wirklich.

„Die sexuell überforder­te Jugend ist ein Klischee. Mit Sicherheit gibt es aber viele Erwachsene, die damit überforder­t sind, anzuerkenn­en, dass das (eigene) Baby jetzt erwachsen und sexuell aktiv ist. Viele Jugendlich­e haben in erster Linie damit zu kämpfen, dass ihnen von Erwachsene­n Fehlinform­ationen gegeben werden. Und dass das Aneignen sexueller Basiskompe­tenzen – also etwa, Infos einzusamme­ln oder sexuelle Erfahrunge­n mit sich selbst zu erleben – von klein an verhindert wird. Die meisten

‚Jugendprob­leme‘ sind in Wirklichke­it oft Erwachsene­nprobleme.“·

„Ich bin noch Jungfrau!“– vom Druck, „es endlich“zu tun.

„Es gibt kein ‚richtiges‘ Alter für den Geschlecht­sverkehr – und es ist wichtig, das ‚erste Mal‘ zu entmystifi­zieren. Gelingt das nicht, dann wird es zum emotionali­sierenden Thema. Das macht Druck – wie soll da die Lust die Regie übernehmen? Es gibt tatsächlic­h Jugendlich­e, die ‚es hinter sich bringen‘ möchten. Was für eine Formulieru­ng – und genau aus diesem Druck heraus entstehen oft Lügen. Wenn dieses Thema aber im Rahmen der sexuellen Annäherung mit

einer anderen Person offen und differenzi­ert besprochen wird, gibt es häufig ein Aufatmen. Druck lässt sich nehmen, aber ohne Moral. Es geht nicht darum, zu ‚warten‘ – und ebenso nicht um ‚Performanc­e‘.“·

Homosexuel­l – so schwierig ist das „Outing“für Teenager.

„Auch hier liegt die Schwierigk­eit in den Erwachsene­n – und den Vorbildern, die ja vor allem Erwachsene steuern. Die ‚Paarnormal­ität‘ in Filmen ist immer noch heterosexu­ell – Paare in Büchern sind hetero, auch in den Aufklärung­sbüchern für Kinder, wo Sexualität vor allem zum Zwecke des Kinderkrie­gens dargestell­t wird. Das

ist weit weg von den sexuellen Möglichkei­ten eines Menschen. Deshalb ist es schwierig, wenn sich ein Junge in einen Jungen verliebt oder ein Mädchen in ein Mädchen. Und nur deshalb ist ein Outing nötig, weil es keine ‚gesellscha­ftliche Normalität‘ diesbezügl­ich gibt. Da ist auf gesellscha­ftlicher Ebene noch viel zu tun.“·

Otis klärt als „Jungfrau“auf – was es an Erfahrung braucht, um Sex zu „verstehen“.

„Sexuelle Kompetenze­n beziehen sich nicht darauf, wie oft jemand sexuelle Kontakte mit anderen hatte. Sie inkludiere­n u. a. folgende Fähigkeite­n: Fehlinfos von Realinfos unterschei­den können, einen guten Bezug zum eigenen Körper und zum eigenen Geschlecht­sorgan haben, Emotionen und Gefühle wahrnehmen, verarbeite­n und formuliere­n, mit anderen in Kontakt treten können. Miteinande­r reden und zuhören können sind wichtige Fähigkeite­n und manchmal schon die Lösung des Problems, unabhängig davon, was geantworte­t wird.“·

So wichtig ist es, über Geschlecht­skrankheit­en zu sprechen, ohne Sex als „gefährlich“einzustufe­n (betrifft vor allem Staffel 2, wo es auch um Chlamydien geht).

„Das ist wie im Straßenver­kehr: Ich muss nicht dauernd über grausige Unfälle sprechen, aber es muss klar sein, dass auch Negatives passieren kann. Und es muss differenzi­ert über ein mögliches Risikoverh­alten geredet werden. Wenn Sexualaufk­lärung aber nur aus Infos über Krankheite­n und Verhütung besteht, dann wird Sex als etwas Schlechtes vermittelt.“·

Aufklärung durch TV-Formate kann sinnvoll sein.

„Sex Education ist ein zeitund altersadäq­uates Format mit breiter Wirkung. Blöd wäre es, wenn über so eine Schiene womöglich Falsches verbreitet wird. Es ist also immer wichtig, wenn ein multiprofe­ssionelles Expertente­am hinter solchen Projekten steht.“

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 ??  ?? Kongeniale­s Paar: Otis, der Aufklärer, und Maeve, seine „Managerin“. Kommen die zwei in Staffel 2 womöglich zusammen?
Kongeniale­s Paar: Otis, der Aufklärer, und Maeve, seine „Managerin“. Kommen die zwei in Staffel 2 womöglich zusammen?
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Sexualpäda­gogin Weidinger analysiert „Sex Education“

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