Bienchen und Blümchen
Am 17. 1. startet die zweite Staffel der Netflix-Serie. Was eine Sexualpädagogin dazu meint
Was lehrt uns „Sex Education“über unsere Teenager?
Sex im TV? Das kann peinlich werden. Nicht so in der Netflix-Comedy-Serie „Sex Education“, die vor einem Jahr startete und am kommenden Freitag in Runde zwei geht.
Das britische Format zeigt auf authentische, tiefgründige und zugleich lustige Weise die Nöte und Sorgen von Teenagern – vor allem sexueller Natur, aber nicht nur.
Hauptfigur ist der 16-jährige Otis Milburn (gespielt von Asa Butterfield), der mit seiner Mutter Jean, einer alleinerziehenden und umtriebigen Sexualtherapeutin (dargestellt von der fantastischen Gillian Anderson), in einem Haus lebt. Otis ist zwar permanent mit Sex konfrontiert, er selbst hat damit Probleme.
Rein theoretisch weiß er aber fast alles über das Thema Nr. 1, daher motiviert ihn Mitschülerin Maeve, anderen Ratschläge zu erteilen – gegen Geld, natürlich. Das ist so lustig wie lehrreich – auch für Erwachsene. Was Mamas und Papas von „Sex Education“über das Liebesleben von Teenagern lernen können, hat Bettina Weidinger vom Österreichischen Institut für Sexualpädagogik und Sexualtherapien analysiert.
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Wenn Teenager über Sex reden, geben sie nicht nur an.
„Klar wird dabei gelacht, geprahlt und geflunkert. Aber es werden auch Infos ausgetauscht und im Idealfall Fakten übermittelt, etwa über Notfallverhütung oder auch in Bezug auf gesellschaftlich etablierte Sexmythen. Eine Art ‚Nachhilfe‘ funktioniert aber nur, wenn der oder die 16-Jährige wirklich viel weiß. Eigene Erfahrungen sind übrigens nur selten eine gute Basis, um anderen sinnvolle Infos zu geben, eben weil sie individuell und nicht allgemein gültig sind.“·
Eltern sollten über ihr eigenes Intimleben schweigen. „Die Sexualität der Eltern geht die Kinder nichts an – und umgekehrt. Grenzen
werden überschritten, wenn Eltern über persönliche, intime Erfahrungen mit ihren Kindern sprechen – etwa Erregung, Orgasmus, Selbstbefriedigung. Das bedeutet aber nicht, dass intime Themen nicht besprochen werden sollen – das aber immer auf
einer Metaebene und abseits vom Persönlichen.“·
So ist das mit dem „sexuellen Erwachen“wirklich.
„Die sexuell überforderte Jugend ist ein Klischee. Mit Sicherheit gibt es aber viele Erwachsene, die damit überfordert sind, anzuerkennen, dass das (eigene) Baby jetzt erwachsen und sexuell aktiv ist. Viele Jugendliche haben in erster Linie damit zu kämpfen, dass ihnen von Erwachsenen Fehlinformationen gegeben werden. Und dass das Aneignen sexueller Basiskompetenzen – also etwa, Infos einzusammeln oder sexuelle Erfahrungen mit sich selbst zu erleben – von klein an verhindert wird. Die meisten
‚Jugendprobleme‘ sind in Wirklichkeit oft Erwachsenenprobleme.“·
„Ich bin noch Jungfrau!“– vom Druck, „es endlich“zu tun.
„Es gibt kein ‚richtiges‘ Alter für den Geschlechtsverkehr – und es ist wichtig, das ‚erste Mal‘ zu entmystifizieren. Gelingt das nicht, dann wird es zum emotionalisierenden Thema. Das macht Druck – wie soll da die Lust die Regie übernehmen? Es gibt tatsächlich Jugendliche, die ‚es hinter sich bringen‘ möchten. Was für eine Formulierung – und genau aus diesem Druck heraus entstehen oft Lügen. Wenn dieses Thema aber im Rahmen der sexuellen Annäherung mit
einer anderen Person offen und differenziert besprochen wird, gibt es häufig ein Aufatmen. Druck lässt sich nehmen, aber ohne Moral. Es geht nicht darum, zu ‚warten‘ – und ebenso nicht um ‚Performance‘.“·
Homosexuell – so schwierig ist das „Outing“für Teenager.
„Auch hier liegt die Schwierigkeit in den Erwachsenen – und den Vorbildern, die ja vor allem Erwachsene steuern. Die ‚Paarnormalität‘ in Filmen ist immer noch heterosexuell – Paare in Büchern sind hetero, auch in den Aufklärungsbüchern für Kinder, wo Sexualität vor allem zum Zwecke des Kinderkriegens dargestellt wird. Das
ist weit weg von den sexuellen Möglichkeiten eines Menschen. Deshalb ist es schwierig, wenn sich ein Junge in einen Jungen verliebt oder ein Mädchen in ein Mädchen. Und nur deshalb ist ein Outing nötig, weil es keine ‚gesellschaftliche Normalität‘ diesbezüglich gibt. Da ist auf gesellschaftlicher Ebene noch viel zu tun.“·
Otis klärt als „Jungfrau“auf – was es an Erfahrung braucht, um Sex zu „verstehen“.
„Sexuelle Kompetenzen beziehen sich nicht darauf, wie oft jemand sexuelle Kontakte mit anderen hatte. Sie inkludieren u. a. folgende Fähigkeiten: Fehlinfos von Realinfos unterscheiden können, einen guten Bezug zum eigenen Körper und zum eigenen Geschlechtsorgan haben, Emotionen und Gefühle wahrnehmen, verarbeiten und formulieren, mit anderen in Kontakt treten können. Miteinander reden und zuhören können sind wichtige Fähigkeiten und manchmal schon die Lösung des Problems, unabhängig davon, was geantwortet wird.“·
So wichtig ist es, über Geschlechtskrankheiten zu sprechen, ohne Sex als „gefährlich“einzustufen (betrifft vor allem Staffel 2, wo es auch um Chlamydien geht).
„Das ist wie im Straßenverkehr: Ich muss nicht dauernd über grausige Unfälle sprechen, aber es muss klar sein, dass auch Negatives passieren kann. Und es muss differenziert über ein mögliches Risikoverhalten geredet werden. Wenn Sexualaufklärung aber nur aus Infos über Krankheiten und Verhütung besteht, dann wird Sex als etwas Schlechtes vermittelt.“·
Aufklärung durch TV-Formate kann sinnvoll sein.
„Sex Education ist ein zeitund altersadäquates Format mit breiter Wirkung. Blöd wäre es, wenn über so eine Schiene womöglich Falsches verbreitet wird. Es ist also immer wichtig, wenn ein multiprofessionelles Expertenteam hinter solchen Projekten steht.“