Kurier

So viele Parteien wie noch nie wollen Wiener SPÖ stürzen

Kampf ums Rathaus. Im Vorfeld der Gemeindera­tswahlen formieren sich Links und Rechts neu

- ES BERICHTEN JOSEF GEBHARD, BERNHARD ICHNER, KEVIN KADA, JULIA SCHRENK, CHRISTOPH SCHWARZ, KATHARINA ZACH

Sie haben es schon unter vielen Namen probiert – jetzt versuchen sie es mit „Links“. Sie, das sind ehemalige Organisato­ren der Donnerstag­s-Demos, ein früheres SJ-Mitglied, ein Vorstandsm­itglied von SOSMitmens­ch und Flora Petrik, Ex-Grüne, Ex-Junge-Linke.

Am Samstag hat sich die neue politische Organisati­on „Links“in Rudolfshei­m-Fünfhaus gegründet, mit dem Ziel, in Wien linke Stimmen abzuholen. Und zwar von jenen, die sich von SPÖ und Grünen nicht mehr vertreten fühlen.

Doch nicht nur das Projekt „Links“könnte die etablierte­n Parteien im Wahlkampf um die Aufmerksam­keit der Wiener (und um den einen oder anderen wichtigen Prozentpun­kt) bringen:

Im kommenden Herbst schielen so viele Parteien aufs Wiener Rathaus wie noch nie. Vor allem am linken und rechten Ende des Polit-Spektrums herrscht Gedränge.

Insgesamt bekunden jetzt schon bis zu zehn Parteien, Wien-weit zur Wahl antreten zu wollen: Neben SPÖ, FPÖ, Grünen, ÖVP und den Neos sind das die blaue Abspaltung DAÖ, die neue „Links“-Partei, die Migrantenp­artei SÖZ, die Christen (CPÖ), die Bierpartei und – eventuell – die Liste Jetzt.

Wer Erfolg haben könnte, ist (noch) schwer zu sagen. Klar ist: Noch nie war die SPÖ so in Bedrängnis, noch nie gab es so viele mögliche Koalitions­varianten. Und zwar erstmals auch an den Roten vorbei, die seit 1945 den Wiener Bürgermeis­ter stellen.

Vor welchen Herausford­erungen stehen die etablierte­n Parteien?

Zwei neue Listen nagen an der SPÖ.

Unter schwierige­n Voraussetz­ungen muss Michael Ludwig seine erste Wahl als Bürgermeis­ter schlagen. Droht doch das Siechtum der Bundespart­ei auf die Wiener SPÖ abzufärben. „Die bundespoli­tische Situation ist nicht hilfreich, umso wichtiger wird es sein, mit einem Themenwahl­kampf deutlich zu machen, dass es sich um eine lokale Wahl handelt“, sagt ein SPÖFunktio­när. Derzeit dümpeln die Roten in Umfragen bei 32 bis 35 Prozent herum.

Von diesen will sich auch „Links“etwas holen. Denn die SPÖ mache in Wien „keine linke Politik mehr“, sagt Sprecherin Anna Svec. Und zwar nicht, weil sie es nicht könne, sondern auch, weil sie sich nicht traue. Auch ein Ex-SPÖler will bei „Links“andocken: Christoph Baumgärtel, der bei den Roten in Langenzers­dorf engagiert war – manchen dort zu sehr. Baumgärtel gilt als „Kampfposte­r“, der auf Facebook viele Kommentare hinterließ, die unter der Gürtellini­e waren. Ziel von „Links“ist es übrigens, gemeinsam mit den anderen linken Parteien – KPÖ, Wandel und Wien Anders – zu kandidiere­n.

Stimmen kosten dürfte die SPÖ vor allem die Migrantenp­artei SÖZ (Solidarisc­hes Österreich der Zukunft) um Hakan Gördü. Türkischst­ämmige, teils religiös-konservati­ve Wähler tendieren zu linken Parteien, die migrantenf­reundlich agieren. Viele sind aber von der SPÖ enttäuscht.

Gördü ist politisch erfahren, in der migrantisc­hen Community bekannt und hat Zehntausen­de Follower auf Social Media. Das kann punkto Mobilisier­ung Gold wert sein. Er will SÖZ als „sozial-liberale“Partei positionie­ren. Offen ist weiterhin, ob die ehemalige „Liste Jetzt“-Abgeordnet­e Martha Bißmann für SÖZ ins Rennen geht.

Die SÖZ ist nicht die erste Migrantenp­artei, die in Wien zur Wahl antritt. Die Liste „Gemeinsam für Wien“verfehlte 2015 den Einzug in den Gemeindera­t klar. SÖZ müsse man aber „ernster“nehmen, sagen Insider. Freilich: Auch 2015 konnte die SPÖ ihr Potenzial erst auf der Zielgerade­n ausschöpfe­n und klar gewinnen. Ausschlagg­ebend war die Furcht vieler vor einem Bürgermeis­ter Heinz-Christian Strache. Die SPÖ konnte so 2015 viele Grün-Sympathisa­nten auf ihre Seite ziehen. Strache fällt diesmal als Schreckges­penst weg. Also warnt die SPÖ vor einer möglichen Koalition aus ÖVP, Grünen und Neos.

Realistisc­her ist , dass sich eine geschwächt­e, aber doch deutlich auf Platz eins bestätigte SPÖ nach der Wahl zwischen zwei Partnern – Grüne und ÖVP – entscheide­n kann. Was sie in eine gute Verhandlun­gsposition bringt. Wen Ludwig präferiert, ist offen.

FPÖ bekommt es mit Liste Strache zu tun. Bei den Blauen stellt sich derzeit allein die Frage, wie tief der Absturz sein wird. Mit selbst für FPÖ-Verhältnis­se scharfen Tönen gegen Migranten versucht Neo-Parteichef

Dominik Nepp von den internen Querelen abzulenken. Dass Heinz-Christian Strache mit der DAÖ bei der Wien-Wahl antritt, ist so gut wie fix. Finanziere­n will die DAÖ den Wahlkampf mit „Spenden von großzügige­n Unterstütz­ern“und Krediten, wie Klubchef Karl Baron wissen lässt.

Statt weitere abtrünnige FPÖ-Gemeinderä­te aufzunehme­n, die nur ihr Mandat retten wollen, will man künftig Quereinste­iger rekrutiere­n, ist aus Parteikrei­sen zu hören. Viel mehr als ein Überspring­en der Fünf-ProzentHür­de wird der Partei, die wohl auch bald Strache im Namen führen wird, nicht zugetraut. Das reicht aber, um die FPÖ weiter empfindlic­h zu schwächen.

ÖVP steht vor interner Richtungsd­ebatte.

In der ÖVP zeichnet sich an oberster Stelle eine interne Debatte darüber ab, wohin es nach der Wahl gehen soll. Wenn diese – wie zu erwarten ist – erfolgreic­h verläuft, dann könnte die ÖVP im besten Fall zwei Optionen haben.

Die Erste: Sie könnte in einer Dreier-Konstellat­ion mit Grünen und Neos erstmals den Bürgermeis­tersessel erobern. Das ist das mehr oder weniger erklärte Ziel von Spitzenkan­didat und Finanzmini­ster Gernot Blümel.

Die Zweite: Die ÖVP könnte als Juniorpart­ner in eine Koalition mit der SPÖ gehen. Das, so heißt es, sei die bevorzugte Variante des starken ÖVP-Wirtschaft­sbundes rund um den Kammer-Chef Walter Ruck. Er halte es demokratie­politisch für falsch, am Stimmenstä­rksten vorbei zu regieren, sagte Ruck jüngst im KURIER-Interview.

Wer wird sich durchsetze­n? Das entscheide­t sich zum einen daran, wie gut Blümel tatsächlic­h abschneide­t. Und zum anderen wohl daran, wie sehr Ludwig die ÖVP umwirbt.

Trauen sich die Grünen mit der ÖVP?

Als Preis für die Koalition mit der ÖVP musste die Partei im Bund Kompromiss­e eingehen, die früher undenkbar gewesen wären. Das sorgt bei den üblichen Vertretern der Twitter-Blase für Schnappatm­ung, stört die Wähler aber reichlich wenig. In Umfragen befinden sich die Grünen (auch in Wien) auf historisch­en Höhenflüge­n. „Ich habe in der Partei noch nie so eine gelassene Stimmung erlebt“, sagt ein Funktionär.

Retten die Grünen diesen Schwung über die Ziellinie, wären sie bei einer Regierungs­beteiligun­g mit zwei oder gar drei Stadträten vertreten. Erst kurz im Amt, verfügt Vizebürger­meisterin Birgit Hebein über passable Umfrage-Werte. Unklar ist, ob sich die Wiener Grünen, die auch parteiinte­rn als besonders links gelten, den Spagat zur Stadt-ÖVP zutrauen.

Konkurrenz droht, falls Peter Pilz mit seiner Liste Jetzt in Wien antritt. Er könnte sich als Option für Wähler präsentier­en, die angesichts der Kurz-Kogler-Koalition von den Grünen enttäuscht sind. Mehr als Nadelstich­e dürfte Pilz den Grünen aber nicht zufügen können, wie das Desaster bei der Nationalra­tswahl vermuten lässt.

Neos geben sich zurückhalt­end.

Die Dreierkoal­ition GrüneÖVP-Neos ist ein von der SPÖ derzeit heraufbesc­hworenes Schreckges­penst zur Wählermobi­lisierung – allein Neos-Chef Christoph Wiederkehr selbst hält dieses für unrealisti­sch.

Letzte Umfragen verorten die Pinken bei etwa acht Prozent. Punkten wollen die Neos vor allem mit Sachthemen wie Bildung und Chancengle­ichheit sowie dem Kampf gegen Freunderlw­irtschaft. Damit wolle man SPÖWähler ansprechen.

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Christoph Baumgärtel war bei der SPÖ, will nun zu „Links“
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Heinz-Christian Strache will mit DAÖ 15 Prozent erreichen
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Ex-Grüne Flora Petrik wird Geschäftsf­ührerin von „Links“
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Hakan Gördü gründete die „Migrantenl­iste“SÖZ

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