Immer mehr Fachkräfte fehlen: Erwachsene sollen in die Lehre
Ministerin Schramböck plant eigene Programme für Middle-Ager
Fachkräftemangel. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck will wie in der ÖVP-FPÖ-Regierung auch im Kabinett Kurz II die Lehre attraktiver machen. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, will sie die „Lehre für Erwachsene“forcieren. Für 30- und 40-Jährige sollen eigene Berufsschulklassen eingeführt werden. In Oberösterreich und Tirol gibt es bereits derartige Klassen. Österreichweit soll es sie bis 2021/2022 geben.
Rot-Weiß-Rot-Karte
Zusätzlich ist der heimische Arbeitsmarkt laut Schramböck auf Experten aus dem Ausland angewiesen. Damit diese schneller ins Land kommen können, will die Ministerin die Rot-Weiß
Rot-Karte überarbeiten. Grund: Das Ansuchen, in Österreich arbeiten zu wollen, muss in der jeweiligen Botschaft gestellt werden. Und das geschieht immer noch analog per Diplomatenpost. Ziel soll es sein, noch heuer die diversen Hürden gemeinsam mit dem Arbeits- und Innenministerium zu beseitigen.
Die Betriebswirtin und Ex-ITManagerin zählte zum ÖVPVerhandlerteam und gehört dem Kabinett Kurz I und II als Wirtschaftsministerin an. KURIER: Sie haben bereits unter Schwarz-Blau die Lehre in den Fokus gestellt. Warum ist der Fachkräftemangel seit Jahren nicht in den Griff zu bekommen? Margarete Schramböck: Wir versuchen, die Lehre attraktiver zu machen und neue Berufsbilder zu kreieren. Gleichzeitig muss die Lehre für alle attraktiver werden. Es kann nicht sein, dass jemand mit 30, 35 oder 40 Jahren eine Lehre beginnen will und nicht unterkommt, beispielsweise als Frau in einem technischen Beruf.
„Lehre für Erwachsene“als Mittel gegen den Fachkräftemangel?
Ja, eine „Lehre für Erwachsene“und ein Umdenken seitens der Politik, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Derzeit stellt kaum ein Unternehmen einen Lehrling über 20 ein. Für die „Lehre für Erwachsene“werden wir eigene Berufsschulklassen für Erwachsene schaffen müssen.
Ab wann soll es Berufsschulklassen für Erwachsene in Lehre geben?
In Oberösterreich und Tirol gibt es schon solche Klassen. Österreichweit wird es das wohl erst 2021/2022 geben können.
In Westösterreich fehlen immer wieder Fachkräfte in der Gastronomie während in Wien Kellner und Köche arbeitslos gemeldet sind. Sollten die Zumutbarkeitsregeln überdacht werden?
Es ist schade, dass wir in Wien im Vergleich zu anderen Städten wie Berlin, London oder München eine
höhere Arbeitslosenquote haben. Langfristig müssen wir die Regeln sicher überdenken. Gleichzeitig werden wir Fachkräfte aus dem Ausland mit der überarbeiteten Rot-Weiß-Rot-Karte nach Österreich bringen.
Die Rot-Weiß-Rot-Karte scheint auch seit Jahren nicht zu funktionieren. Woran liegt das?
Die Rot-Weiß-Rot-Karte wird immer noch analog abgewickelt. Nachdem ein Interessent auf der zuständigen Botschaft war, erfolgt der gesamte Prozess auf Papier und wird mit der Diplomatenpost abgewickelt. Weder der Antragssteller noch das Unternehmen weiß, wo der Antrag ist. Wir hatten den Fall, dass ein IT-Experte aus Brasilien
in München begonnen hat, weil sein Antrag in Österreich noch nicht fertig war. Geändert werden müssen auch Anforderungen wie die „ortsübliche Unterkunft.“Sie müssen eine Wohnung angeben, bevor sie die Jobzusage haben. Wie soll das gehen für ein kleines Unternehmen ohne Dienstwohnung? Das muss wegfallen.
Bis wann werden diese Hürden gefallen sein?
An der Rot-Weiß-RotKarte sind mehrere Ministerien wie das Arbeitsministerium und das Innenministerium beteiligt. Ziel muss es sein, dass wir heuer die meisten Hürden beseitigen. Wir sind mit diesem Problem nicht allein: Ganz Europa muss sich um ein Fachkräftemanagement
bemühen. Wir müssen uns zudem um die 30.000 Asylberechtigten in Österreich kümmern, von denen 10.000 unter 25 Jahre alt sind.
Die 10.000 Asylberechtigten unter 25 Jahre sollten also eine Lehre beginnen?
Diese 10.000 Asylberechtigten sind derzeit arbeitslos. Das AMS hat Möglichkeiten, auf die Lehrausbildung hinzuweisen. Unsere Aufgabe ist es, die Firmen zu unterstützen und auf das Potenzial aufmerksam zu machen.
Viele Lehrberufe müssen dem digitalen Zeitalter und ökologischen Maßstäben angepasst werden. Ein Kfz-Mechaniker in der E-Auto-Ära muss andere Dinge können. Wird das schon berücksichtigt?
Natürlich. Deshalb steht auch im Regierungsprogramm, dass ab sofort jeder Lehrberuf alle fünf Jahre überprüft wird. Das sind eineinhalb Zyklen gemessen an drei Lehrjahren.
Welchen Lehrberuf wird es nicht mehr geben?
Das kann ich nicht vorhersagen. Was ich definitiv sagen kann: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Lehre und Gewerbe. Es gibt immer wieder Stimmen, vor allem seitens der Neos, die sagen: „Alle Gewerbe abschaffen! Nur mehr freie Gewerbe.“Im Ausland beneiden uns aber alle um unser duales System. Es ist – das weiß ich aus meiner Zeit in der IT-Branche – wahnsinnig schwierig, einen Elektriker in Frankreich oder Spanien zu finden mit der Qualifikation, die heimische Elektriker haben. Wenn ich beginne, Gewerbe abzuschaffen, dann fällt auch die duale Ausbildung. Freies Gewerbe hat zur Folge, dass keine Lehrlinge mehr ausgebildet werden. In Deutschland wurde der Fehler begangen – jetzt rudert man zurück.