Die Angst vor dem Gegen-Papst
Eine Buchneuerscheinung, an der Benedikt XVI. mitgewirkt hat, sorgt für Aufregung in der Kirche
Der Konflikt zwischen Konservativen und Reformern (um einmal die gängigen Zuschreibungen zu bemühen) in der katholischen Kirche ist nicht neu. Nach (kirchen)historischen Maßstäben neu ist allerdings, dass ein amtierender und ein emeritierter Papst als Galionsfiguren dieses Konflikts fungieren: Seit 2013 residieren Franziskus und Benedikt XVI. auf vatikanischem Territorium, nur wenige Gehminuten voneinander entfernt.
Von Anfang an hat Benedikt seinen Gehorsam gegenüber dem Nachfolger betont und auch, dass er künftig „für die Welt verborgen“bleiben werde. Tatsächlich hat er nie einen Zweifel daran gelassen, dass es nur einen Papst gebe und dessen Wort gelte; „verborgen“blieb Benedikt freilich nicht. Immer wieder hat er sich zu theologischen und kirchlichen Fragen geäußert. Dies nie kritisch gegen seinen Nachfolger gewendet, aber inhaltlich doch so, dass man darin Differenzen zu Franziskus Kurs erkennen konnte.
Brisanter Zeitpunkt
Den jüngsten Anlassfall bildet nun ein Buch, welches Benedikt gemeinsam mit dem prononciert konservativen, aus Guinea stammenden Kardinal Robert Sarah veröffentlicht haben soll. Es trägt den Titel „De profondeur de nos coeurs“(„Aus der Tiefe unserer Herzen“) und stellt ein vehementes Plädoyer für die Beibehaltung des Pflichtzölibats dar. Das Buch soll heute, Mittwoch, in einem französischen Verlag erscheinen, die Zeitung Le Figaro hat am Montag Auszüge daraus veröffentlicht.
Zusätzliche Brisanz gewinnt die Publikation durch die Tatsache, dass die jüngste Bischofssynode in Rom im Oktober letzten Jahres zu Amazonien Hoffnungen auf eine partielle Lockerung des Zölibats geweckt hat. Auf der Synode hatte eine Mehrheit der Teilnehmer dafür plädiert, in Ausnahmen bewährte verheiratete ständige Diakone zu Priestern zu weihen, um dem eklatanten Priestermangel in der Region abzuhelfen.
Das abschließende nachsynodale Schreiben des Papstes steht allerdings noch aus. Die Synode selbst hat keine Entscheidungsbefugnis und der Papst ist auch nicht an deren Beschlüsse gebunden, aber es wird allgemein erwartet, dass Franziskus dem Votum der Synode folgt.
Mit einer generellen Aufhebung des Pflichtzölibats hat das alles freilich nichts zu tun. Im Wesentlichen könnte Franziskus vermutlich das
meiste, was Benedikt (und dessen Vorgänger) zum Thema gesagt haben, unterschreiben.
Nun erhielt die Aufregung noch eine zusätzliche Dimension: Nachdem am Dienstag bereits erste Zweifel an der tatsächlichen Co-Autorschaft Benedikts aufgekommen waren, ging dieser schließlich auf Distanz: Sein engster Vertrauter, Erzbischof Georg Gänswein, erklärte, er habe auf Bitte Benedikts Kardinal Sarah gebeten, dieser möge beim Verlag die Entfernung von Namen und Bild Benedikts vom Bucheinband veranlassen. Benedikt sei nicht über die tatsächliche Form und Aufmachung des Buches informiert gewesen. Benedikt habe im Sommer 2019 einen Text über das Priestertum geschrieben, welchen er Kardinal Sarah auf dessen Bitte hin überlassen habe.
Was also bleibt, ist, dass durch eine Wortmeldung des emeritierten Papstes einmal mehr die innerkirchliche Richtungsdebatte
befeuert wurde. Die Frage, welche Rolle hier Benedikt selbst spielt, lässt sich nicht klären. Anzunehmen ist, dass gerade für ihn die Autorität des Bischofs auf dem Stuhl Petri – wer immer das ist – nicht zur Disposition steht. Dass es ihm, dem Theologen von Rang und schon als Präfekt der Glaubenskongregation höchst einflussreichen Mann im Vatikan, nicht Unrecht ist, gelegentlich als eine Art ergänzendes Korrektiv wahrgenommen zu werden, darf man dennoch unterstellen.
Schwierige Konstellation
Das freilich erweist sich – egal, auf welcher Seite man inhaltlich steht – als problematische Konstellation. Man kann verstehen, dass die Kirche auf derlei nicht vorbereitet war: Der letzte Rücktritt eines Papstes aus freien Stücken fand 1294 (Coelestin V.) statt – ein in jeder Hinsicht völlig unvergleichbarer Vorgang. Für die nähere Zukunft wäre Rom indes gut beraten, sich einen umfassenden Modus vivendi für emeritierte Päpste zu überlegen. Es wird vermutlich nicht wieder 700 Jahre dauern, bis sich das Problem stellt.
Auf der anderen Seite trägt auch der Führungsstil des gegenwärtigen Papstes zur Gemengelage einiges bei: Wofür Franziskus tatsächlich steht, ist – vorsichtig formuliert – nicht immer klar. Manches deutet darauf hin, dass die Änderungen gegenüber Benedikt mehr im Habituellen denn im Substanziellen liegen. Aber natürlich prägt auch die Form den Inhalt. Bis jetzt jedenfalls gibt es in den eigentlichen theologisch-kirchlichen Kernfragen mehr Kontinuität als Zäsur. Etwas, das übrigens ganz im Sinne Benedikts liegt.