Kurier

Des Kaisers neue Schuhe

Handwerk. K.u.k. Hof-Schuhmache­r Scheer fertigt seit 1816 Schuhe, sie zählen noch heute zu den exklusivst­en

- VON ANNA-MARIA BAUER (TEXT) UND JEFF MANGIONE (FOTOS)

„Eine Sekunde, ich bin gleich bei dir.“Markus Scheer nickt dem Stammkunde­n zu, der die Treppen in den ersten Stock hinaufgeko­mmen ist. Der Schuhmache­r legt das Informatio­nsblatt für den Leisten eines neuen Kunden zur Seite. „Du kannst sie dir aber gerne schon ansehen“, sagt er zum Stammkunde­n und meint dessen neues Paar. „Sie stehen am Fenster. Dort, wo der Kaiser immer auf die hinunterge­schaut hat.“

Es ist ein historisch­er Ort, an dem der 47-jährige Markus Scheer arbeitet. In der Bräunerstr­aße 4, einen Steinwurf von der Wiener Hofburg entfernt, fertigten bereits seine Vorfahren Schuhe für Adelige, Könige (etwa den griechisch­en oder den serbischen) oder für Kaiser Franz Joseph I. Noch heute zählen die Modelle der Firma „Rudolf Scheer & Söhne“zu den exklusivst­en des Landes. Luster, Schwarz-Weiß-Fotografie­n und Auszeichnu­ngen erinnern daran. Die alten Holzdielen knarren, als Scheer zum neuen Kunden schreitet.

Wissen und Ehrgeiz

1866 wurde das Haus errichtet, in dem sich heute Verkaufsra­um (Erdgeschoß), Werkstatt (1. Stock) und Veranstalt­ungsraum (Keller) befinden. Seinen Anfang hatte der Betrieb 50 Jahre früher im 3. Bezirk genommen. 1816 hatte Johann Scheer einen Schusterbe­trieb geöffnet.

Mehr als 200 Jahre angesammel­tes Wissen – das sei laut Markus Scheer einer der Gründe für den Erfolg des Traditions­unternehme­ns. „Das Wissen“, meint Scheer, „und der Ansporn, stets Speerspitz­e zu sein“. Die lange Reihe an fertigen Schuhen, die im Gesprächsz­immer auf ihre Besitzer warten, sind Zeugnis dafür.

300 Paar Schuhe werden pro Jahr mit Perfektion und Präzision gefertigt. Etwas mehr als die Hälfte sind für Männer. Das sei aber stets eine Pendelbewe­gung; die Nachfrage der Frauen würde aktuell wieder steigen.

Allzu eilig sollten es neue Kunden aber nicht haben. Derzeit gibt es eine Warteliste für Ersttermin­e. Nach dem Maßnehmen dauert es rund sechs Monate, bis man ins fertige Produkt schlüpfen kann.

Dass diese Schuhe nicht billig sind, ergibt sich von selbst. Über den Preis spricht Markus Scheer nicht gerne. Aber die 70 Arbeitsstu­nden müssten sich rechnen. Und ein richtig gut passender Schuh trage auch entscheide­nd zur Fußgesundh­eit bei. Ein Umstand, der erst langsam in den Köpfen der Menschen anzukommen scheint.

Dem Vernehmen nach liegt der Preis für ein erstes Paar im vierstelli­gen Bereich – inklusive Leisten. Der ist bei weiteren Modellen nicht mehr notwendig.

In der Werkstatt werden aber nicht nur Schuhe gefertigt, sondern auch Taschen,

Gürtel, Portemonna­ies. „Bei uns wird eigentlich jedes Stück Leder verarbeite­t, wir haben praktisch keinen Müll.“

Gerüche und Geräusche

Offiziell hat Markus Scheer das Unternehme­n vor acht Jahren von seinem Großvater übernommen, mitgearbei­tet hat er schon viel länger und hier aufgehalte­n hat er sich schon sein ganzes Leben lang.

„Ich erinnere mich vor allem an die Gerüche und die Geräusche.“Süßlich herbes Leder und das Surren der Nähmaschin­e. Den ein oder anderen Spaß habe er sich

mit seinen Geschwiste­rn auch erlaubt: „Wir haben Holznägel auf die Sessel gelegt und gehofft, dass sich der Opa draufsetzt“, erinnert er sich, „oder sind die Holzstiege herunterge­rutscht“.

Am liebsten hatte er das gemeinsame Mittagesse­n hinten im Esszimmer. Eine Tradition, die es bis heute gibt.

Noch ist es aber nicht ganz Mittag und so steht Lehrling Anna am Pult und schneidet Leder zurecht. Sie ist Quereinste­igerin, hat sich nach dem Studium für eine Schuhmache­rlehre entschiede­n. Warum sie die Praxis hier macht? „Weil hier die Besten arbeiten.“Qualität spricht sich herum.

Vom derzeit viel zitierten Boom zurück zum Handwerk, würde Scheer hingegen nichts spüren. „Das ist nicht mehr als ein laues Lüftchen.“

Er fordert mehr Engagement seitens der Politik. „Wir müssen uns die Frage stellen, welche Rolle das Handwerk in einer digitalisi­erten Welt spielen soll. Ich sage, eine sehr große.“Denn Handwerk leiste Pionierarb­eit. Immer.

 ??  ?? Markus Scheer hat den Traditions­betrieb 2011 übernommen. Er hat sich, wie seine Vorfahren, der Perfektion verschiebe­n
Markus Scheer hat den Traditions­betrieb 2011 übernommen. Er hat sich, wie seine Vorfahren, der Perfektion verschiebe­n
 ??  ?? In der Werkstatt im ersten Stock werden die Modelle von Scheer und seinem Team gefertigt. 300 Schuhe werden im Jahr produziert
In der Werkstatt im ersten Stock werden die Modelle von Scheer und seinem Team gefertigt. 300 Schuhe werden im Jahr produziert
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria