„Das war erst der Anfang“
Deutschland. Luisa Neubauer, Geografie-Studentin und 23 Jahre jung, ist die Frontfrau der deutschen Klimaschutzbewegung und liest nach Politikern nun Wirtschaftsbossen die Leviten
KLIMA-DROHUNG Fridays for Future. Zuerst ging es gegen die Politik. Dann gegen Siemens. Und Roger Federer. Jetzt möchten die Aktivisten Konzern-Bosse vor sich hertreiben. Gehen sie damit zu weit?
Sie nennt es eine „freundliche Warnung“. Via Instagram setzt Luisa Neubauer ein Posting ab, das erahnen lässt, in welche Richtung sich die Fridays-for-Future-Bewegung in Zukunft verstärkt wenden wird. „Behaltet uns lieber im Auge“, schreibt sie auf Englisch an „Siemens, Joe Kaeser und alle anderen CEOs. Alle, die beabsichtigen, die Krise weiter anzuheizen, als gäbe es kein Morgen. Denn es gibt ein Morgen, es gibt eine Zukunft. Das sind wir, und wir werden euch die Zukunft nicht weiter zerstören lassen. Das war erst der Anfang.“
Jetzt könnte man diese Nachricht, wie vieles, das im Netz kursiert, einfach überlesen oder ignorieren. Doch so einfach ist das nicht.
Klima-Influencerin
Die 23-jährige Hamburgerin steht an der Spitze der deutschen Klimaschutzbewegung, organisiert Schülerstreiks, spricht vor Tausenden bei Demonstrationen, sitzt auf der Couch von Markus Lanz, Anne Will und Dunja Hayali, schreibt Gastartikel in der Welt, für FAZ, Zeit und SZ .In den sozialen Netzwerken folgen ihr Tausende Menschen, sie wird ebenso verehrt wie angefeindet – etwa wegen früherer Langstreckenflüge. Dass man generell darüber und nicht über Billigpreise von Flügen und späte Abschaltzeiten von Kohlekraftwerken diskutiere, zeige, „wie groß die Furcht vor unseren Protesten ist“, erklärte sie im Zuge der Debatte.
Mittlerweile fährt sie Bahn – vermutlich aber nicht mehr so oft nach Göttingen. Dort studiert sie eigentlich
Geografie und schreibt ihre Bachelorarbeit über nachhaltige Anlagestrategien. Doch seit sie Greta Thunberg beim UN-Klimagipfel im polnischen Kattowitz kennengelernt hat, ist das vorerst zweitrangig.
Von der jungen Schwedin inspiriert, schafften es Luisa Neubauer und ihre Mitstreiter, deutschlandweit Menschen auf der Straße zu mobilisieren. Von Aachen, Bielefeld, Hannover bis München sind es längst nicht mehr nur Schüler, die demonstrieren. Das hat auch die deutsche Bundesregierung erkannt, die vor einigen Monaten flugs ein Klimaschutzgesetz verabschiedete. Die Proteste bleiben deswegen allerdings nicht aus. Aktivisten wie Experten halten die Maßnahmen für unzureichend.
Dass sich Luisa Neubauer nun an die Konzerne wendet, hat auch einen anderen Hintergrund: Sie, die von Medien bereits die „deutsche Greta“getauft wurde, ist gerade im Clinch mit einem der größten deutschen Konzerne. Wie zuvor Politiker suchen mittlerweile auch Wirtschaftsmenschen den Kontakt zu Aktivisten oder laden sie wie Neubauer als Rednerin ein.
Absage an Joe Kaeser
Der jüngste Versuch von Siemens-Chef Joe Kaeser, die Aktivistin einzubinden, schlug jedoch fehl. Er bot ihr einen Posten im Aufsichtsgremium von Siemens Energy an, den sie ablehnte. Statt ihr solle doch ein Vertreter von „Scientists for Future“zum Zug kommen, schlug sie ihm vor. Das lehnte Kaeser ab. Er brauche keine weiteren Experten, sondern „Leadership“. Kritiker vermuten allerdings, dass es ihm bloß um PR ging. Denn zuletzt sorgte sein Konzern in der Presse für Negativschlagzeilen: Trotz des Bekenntnisses zu mehr Klimaschutz liefert er weiter die Signaltechnik für eine Zugverbindung, mit der Kohle von einer geplanten Mine in Australien zum Hafen transportiert werden soll. Siemens-Chef Kaeser twitterte am Sonntagnachmittag, dass man alle Optionen abgewogen habe, sich aber an geltende Verträge halten müsse.
„Joe Kaeser macht einen unentschuldbaren Fehler“, erklärte Neubauer später. „Diese Entscheidung ist aus dem Jahrhundert gefallen.“Statt Verantwortung für das Pariser
Klimaschutz-Abkommen zu übernehmen, gefährde Siemens damit das Ziel, die Erderwärmung auf unter zwei Grad einzudämmen. Noch am Montag wurde in mehreren deutschen Städten vor der Siemens-Zentrale gestreikt.
Dass Neubauer nicht für den Konzern tätig sein will, bedeutet aber nicht, dass sie nicht doch einmal die Seiten wechseln will. Sie würde etwa eine Karriere als Politikerin nicht ausschließen, erklärte sie jüngst dem Studentenmagazin Zeit Campus. Sie sieht sich demnach als „Possibilistin“– eine Person, die verstehe, was politisch machbar und möglich sei.