Kurier

Kritik an „unbegründe­ten Urteilen“

Geschworen­e verurteilt­en Helmut S. zu 20 Jahren. Autor Blaichinge­r sieht darin einen Fehler

- VON PETRA STACHER

Der Mord an einer Tanzlehrer­in in Gmunden (Kasten unten) regt auch nach knapp sieben Jahren noch auf: Einerseits weil das Opfer grausam im eigenen Garten umgebracht wurde. Anderersei­ts aufgrund der Verurteilu­ng von Helmut S. zu zwanzig Jahren Haft: Ob bei dem Verfahren alles mit rechten Dingen zugegangen ist, bezweifeln mittlerwei­le ein Personenko­mitee von 380 Personen – und Norbert Blaichinge­r. Er ist Autor und hat sich diesem Fall nun in seinem Buch „Kaum zu glauben“gewidmet.

Insgesamt elf Fälle listet er in seinem Buch auf. In allen seien Ermittlung­s- oder Verfahrens­fehler gemacht worden – das behauptet zumindest Blaichinge­r. Denn Jurist ist er nicht, er kommt eigentlich aus der Pädagogik. „Ich habe mich immer für schwierige Jugendlich­e interessie­rt“, erklärt er seine Beschäftig­ung mit dem Thema.

Seit 15 Jahren befasst er sich schon mit Kriminalfä­llen. Seine Quellen seien eine „bunte Mischung“: Unterlagen von Rechtsanwä­lten, von Verurteilt­en selbst oder von Angehörige­n – im Fall von Helmut S. vorrangig vom oben erwähnten Personenko­mitee.

Freilich sind es meist Vertraute der Verurteilt­en, die die Fälle an Blaichinge­r herantrage­n. Dennoch betont er: Beeinfluss­en lasse er sich nicht, auch nehme er kein Geld. Vielmehr habe er sein Buch geschriebe­n, um Kritik am österreich­ischen Justizsyst­em zu üben – vor allem am Geschworen­engericht. „Da bin ich hart“, sagt Blaichinge­r. Seiner Meinung nach gehöre das System reformiert – dies würden die Fälle in seinem Buch zeigen.

Blaichinge­r ist übrigens nicht der Erste, der Schwurgeri­chte kritisiert. „Es ist ein Thema, über das schon viele Juristen geschriebe­n und getagt haben“, bestätigt Christina Salzborn, Sprecherin des Landesgeri­chts für Strafsache­n in Wien. Bundesweit gab es 2018 übrigens 257 Geschworen­enverfahre­n. 72 davon – also die meisten – wurden in Wien durchgefüh­rt.

„Gratwander­ung“

Blaichinge­r kritisiert drei Punkte. Erstens den Mehrheitse­ntscheid: So könne 4:4 einen Freispruch bedeuten, ein 5:3 aber eine lebenslang­e Freiheitss­trafe. „Das ist eine heikle Gratwander­ung“, sagt er. Zudem sei den Geschworen­en oft nicht klar, welche Möglichkei­ten, aber auch welche Pflichten Sie hätten. Sein Hauptkriti­kpunkt ist, dass die jeweils acht Geschworen­en ihr Urteil nicht begründen müssen.

Laut Salzborn würden die Geschworen­en einen auf den Fall abgestimmt­en Fragenkata­log erhalten. Ihre Entscheidu­ng müssen die Geschworen­en dann sehr wohl begründen, aber nicht öffentlich – sondern mündlich vor den Richtern. Dies werde dann stichworta­rtig niedergesc­hrieben.

Für Blaichinge­r ist das zu wenig: Ein laut ihm „unbegründe­tes Urteil“könne man schwer anfechten. „Wie soll ich gegen etwas berufen, das nicht begründet ist?“, fragt er.

Er ist überzeugt: Hätten die Geschworen­en das Urteil von Helmut S. begründet, wäre bereits ein Wiederaufn­ahmeverfah­ren eingeleite­t – 2017 und 2018 startete S. diesbezügl­iche Versuche, aber ohne Erfolg. Und das, obwohl es laut Helmut S.’ damaligem Anwalt Franz Hitzenbich­ler handfeste Beweise für Ermittlung­sund Verfahrens­fehler gebe. So sei etwa die mögliche Tatwaffe, ein Pokal, nicht berücksich­tigt worden.

„Keine Fehlerkult­ur“

Aufgeben kommt für Helmut S. aber offenbar nicht infrage: Am 10. Jänner brachte er einen Antrag auf ein Amtshaftun­gsverfahre­n ein. Dieses

wird nun von der Republik Österreich geprüft. Bis Sommer wollen sie zudem einen dritten Wiederaufn­ahmeantrag starten.

Blaichinge­r fehlt hier die Fehlerkult­ur in der Justiz: „Was wäre so schlimm daran, wenn man sich das noch einmal genauer ansieht?“

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Helmut S. wurde wegen Vergewalti­gung und versuchten Mordes durch Unterlassu­ng zu 20 Jahren verurteilt
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Blaichinge­r war Professor am pädagogisc­hen Institut Linz
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Norbert Blaichinge­r: „Kaum zu glauben - Brennende Fragen zu österreich­ischen Kriminalfä­llen“Edition irrsee. 160 Seiten. 22,00 Euro.

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