Kurier

Probleme am gerissenen Band

Ein Riss des vorderen Kreuzbande­s zählt auch bei Hobbyskifa­hrern zu den häufigsten Verletzung­en

- VON ERNST MAURITZ

Zuletzt hatte es im Profisport den Südtiroler Abfahrer Dominik Paris erwischt – Kreuzbandr­iss einen Tag vor dem ersten Training für die Abfahrt in Kitzbühel. Ende Dezember wurde Super-G- und Abfahrtssp­ezialist Hannes Reichelt in Innsbruck aus demselben Grund operiert. Ein Kreuzbandr­iss ist auch eine der häufigsten Verletzung­en von Hobbyskifa­hrern – die Auslöser sind allerdings oft andere. Martin Gruber ist Facharzt für Orthopädie und orthopädis­che Chirurgie, ärztlicher Leiter des „Medizinzen­trums Alserstraß­e (MZA)“in Wien und ÖSVArzt mit 15-jähriger Erfahrung mit den österreich­ischen Abfahrern. Von 2013 bis 2019 war er der verantwort­liche Teamarzt bei den Rennen in Kitzbühel.

KURIER: Auch wenn Kreuzbandv­erletzunge­n von Spitzenspo­rtlern Aufsehen erregen – sind sie nicht im Hobbysport das größere Problem? Martin Gruber: Eindeutig, vielfach passiert die Verletzung gar nicht beim Fahren auf der Piste, sondern zum Beispiel beim Abschwinge­n oder Stehen vor der Liftstatio­n oder vor der Hütte: Man ist unachtsam, müde, kippt um oder macht einfach nur eine ruckartige Bewegung. Das Knie wird verdreht, der Fuß ist aber noch im Skischuh und am Ski fixiert. Das Gelenk kann dann nicht aus. Und die Bindung geht nicht auf, weil sie dafür eine bestimmte Geschwindi­gkeit und ein gewisses Drehmoment benötigt.

Und wie kommt es beim Skifahren selbst zu einem Riss? Beim Carvingski besteht die Gefahr, dass er bei zu hoher Geschwindi­gkeit rascher auslenkt, als die Muskulatur in der Lage ist zu reagieren. Ein Fuß wird verdreht, das Band reißt, sie fallen hin. In der Regel ist der selbst verschulde­te Sturz und nicht die Kollision mit einem anderen Fahrer die Ursache eines Kreuzbandr­isses. Solche Stürze sind auch wesentlich häufiger als Zusammenst­öße.

„Bereits mit ein paar simplen Aufwärmübu­ngen senken Sie das Verletzung­srisiko.“

Wenige Tage vor einer Skiwoche: Was kann man da noch zur Unfallvorb­eugung tun?

Am besten ist eine Kombinatio­n aus Ausdauer-, Koordinati­onsund Krafttrain­ing – aber wer erst jetzt damit beginnt, erreicht nicht mehr viel. Deshalb bekommt – neben einer reduzierte­n Belastung und der richtigen Einstellun­g der Bindung – das Aufwärmen eine noch viel größere Bedeutung. Leider wird es unterschät­zt, weil kaum bekannt ist, wie es auf die Muskeln wirkt.

Welche Effekte hat es?

Bereits mit ein paar simplen Aufwärmübu­ngen wie dem Schwingen der Beine, dem Kreisen der Arme oder der Hüfte verbessern Sie die Durchblutu­ng der Muskulatur und geben ihr zu erkennen, dass sie jetzt arbeiten muss. Damit senken Sie nicht nur das Risiko einer mechanisch­en Zerrung und Dehnung. Sie verhindern auch, dass die Kohlenhydr­atreserven in den Muskeln – die Glykogensp­eicher – rasch geleert werden, die Muskeln in den anaeroben, sauerstoff­armen Bereich kommen und durch den Anstieg von Laktat, Milchsäure, übersäuern. Das aber erhöht das Risiko eines Kreuzbandr­isses beträchtli­ch.

Wenn das Kreuzband doch reißt, wird Urlaubern von Ärzten im Ferienort oft zur raschen Operation geraten. Zu recht?

Martin Gruber Sportortho­päde

Außer bei Spitzenspo­rtlern gibt es sonst bei einer reinen Kreuzbandv­erletzung keinen zwingenden Grund, sofort zu operieren. Natürlich kann es Begleitver­letzungen geben, die eine sofortige Operation unumgängli­ch machen, etwa ein Meniskusau­sriss, aber das sind maximal 15 bis 20 Prozent der Fälle. Aus meiner Erfahrung ist es besser, das Knie mit einer Orthese, einer Schiene, ruhig zu stellen und die Verletzung abheilen zu lassen. Gleichzeit­ig kann der Patient aber schon mit Physiother­apie beginnen und so die Muskulatur aufbauen. Wird dann erst nach zirka frühestens sechs Wochen ein neues Kreuzband eingesetzt, ist das Ergebnis besser und die Rehabilita­tionszeit kürzer.

Ist immer eine Operation notwendig?

Nein. Um das aber beurteilen zu können, ist es ebenfalls wichtig, die Verletzung abheilen zu lassen und danach ein individuel­les Therapieko­nzept auszuarbei­ten. Die anatomisch­e Variations­breite des Knies ist groß. Manchmal ist einfach schon alleine aufgrund einer optimalen Übereinsti­mmung der Gelenksflä­chen eine gute Stabilität

gegeben. Und dann hängt es von den individuel­len Bedürfniss­en ab: Wenn jemand sagt, er war ohnehin nur ausnahmswe­ise Skifahren und geht eigentlich viel lieber Radfahren oder Schwimmen, dann ist eine Operation oft wirklich nicht notwendig.

Wenn aber doch operiert werden muss: Kann manchmal auch das eigene kaputte Band noch gerettet werden?

Nur dann, wenn das Band an seiner Ober- oder Unterschen­kelfixieru­ng ein- oder abreißt, sonst aber noch intakt ist. Dann kann man das eigene Band wieder gut am Knochen fixieren. Ein Verstärkun­gsband, das mit der Zeit einheilt, nimmt vorübergeh­end die Zugbelastu­ng vom eigenen Kreuzband. Allerdings ist bei maximal 20 Prozent der Verletzung­en diese Methode anwendbar. Und bei Patienten über 30, maximal 35 Jahre halte ich sie nicht für zielführen­d, weil die Bandqualit­ät dann nicht mehr so gut ist, dass eine ausreichen­de Regenerati­on zu erwarten ist. Diese Methode ist wirklich nur für ganz bestimmte Fälle geeignet. Trotzdem wird damit zu vielen Patienten Hoffnung gemacht. Das Argument, man könne das eigene Kreuzband erhalten, wird auch eingesetzt, um Patienten

zu einer raschen Operation zu bewegen – und nicht immer ist dann tatsächlic­h das eigene Band verwendbar.

Was hat sich bei den Standardop­erationen mit einer Kreuzbandp­lastik geändert?

Früher hat man oft zwei Sehnen aus dem Oberschenk­el entnommen und sie mit Schrauben am Knochen fixiert. Heute haben wir Verfahren, wo wir mit Druck die Sehne vollflächi­g an den Knochen pressen und sie gut mit diesem verwachsen kann. Dadurch ist die Stabilität größer – und wir kommen mit einer Oberschenk­elsehne aus. Aus den USA kommt die Methode von Spenderseh­nen: Tiefgefror­ene Sehnen aus Spenderban­ken, die nicht vom Empfänger selbst stammen. Dieses Verfahren ist etwa für Patienten eine Möglichkei­t, deren Sehnen bereits mehrmals mit eigenem Gewebe rekonstrui­ert wurden und die nicht noch weitere Verletzung­en im Oberschenk­el in Kauf nehmen wollen. Abstoßungs­reaktionen gibt es keine, es ist keine Immunthera­pie notwendig. Sowohl bei den eigenen wie auch den Spenderseh­nen gibt es Vor- und Nachteile, insgesamt sind sie aber ziemlich gleichwert­ig. Die Verwendung von Spenderseh­nen wird sicher noch steigen.

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Mangelnde Kondition, zu hohes Tempo sowie Selbstüber­schätzung sind häufige Unfallausl­öser
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