Umstrittener Frostschock: Was Eisbäder wirklich können
Extrem. Die „Wim-Hof-Methode“soll Stress und Schmerzen lindern
Auf knapp 2.000 Metern Seehöhe, an der Grenze zwischen Nevada und Kalifornien, liegt der Lake Tahoe. Von November bis März säumt eine dicke Schneedecke den 500 Quadratkilometer großen See. Das Wasser darin hat rund sieben Grad. Gerade kalt genug für Wim Hof, besser bekannt als „The Iceman“. Der Niederländer ist Namensgeber und Begründer der auf Eisbädern basierenden – und seinen Angaben
nach hochgradig gesundheitsfördernden – Wim-HofMethode. Seit zehn Jahren hält der Extremsportler Workshops zu seinem Kältetraining ab; aktuell macht er mit einer Netflix-Doku von sich reden. „Durch kaltes Wasser kann man lernen, mit Stress umzugehen“, erklärt er in einer Folge der Serie „The Goop Lab“von US-Schauspielerin Gwyneth Paltrow, während er in Badehose und Wollhaube auf einem Steg am Lake Tahoe steht. In der Doku-Reihe
führt Hof eine Handvoll Freiwillige vor laufenden Kameras in seine Methode ein.
Deren drei Grundprinzipien umfassen „spezielle Atemübungen, das Training der geistigen Haltung und einen sich allmählich steigernden Kontakt mit Kälte durch Eisbäder“, schildert Sonja Flandorfer, die als einzige Instruktorin Österreichs Kurse nach Wim Hof anbietet. Das soll Menschen „widerstandsfähiger“machen, Entzündungen und Schmerzen reduzieren, die Abwehrkräfte stärken, bei Diabetes, Krebs, Autoimmunerkrankungen und Arthritis unterstützen – sowie bei psychischen Krankheiten, darunter Angstzustände oder Depressionen, helfen.
Kritischer Blick
Der klinische Psychologe Anton-Rupert Laireiter von der Universität Salzburg zeigt sich zwiegespalten: „Wenn der Mensch einem starken Reiz, etwa Kälte, ausgesetzt ist, wird er aus dem negativen
Bei Minusgraden: Sonja Flandorfer ließ sich von Wim Hof ausbilden
Gedankenkreis, wie er etwa bei Depressionen zu beobachten ist, gerissen. Man muss den Schmerz bewältigen, lenkt die Konzentration auf den Körper. Das kann aus psychologischer Sicht wirksam sein. Wichtig ist, dass solche Verfahren anerkannt und in kontrollierten Vergleichsstudien als wirksam überprüft worden sind.“Ein Manko der Wim-Hof-Methode.
Dass man „Kälte therapeutisch einsetzen kann“, steht für Wolfgang Marktl, Präsident der Wiener Internationalen Akademie für Ganzheitsmedizin, „außer Zweifel“: „Gute Daten gibt es bei Gelenkserkrankungen und chronisch entzündlichen Erkrankungen, die in Kältekammern behandelt werden.“Auch bei Schlafstörungen könne ein Training der Thermoregulation hilfreich sein, ebenso bei Erkrankungen des Bewegungsapparates. „Wenn eine Methode als ideologisch anmutende Breitbandtherapie für alle möglichen Krankheitsbilder gepriesen wird, ist das aber nicht glaubhaft.“
Meister der Kälte
Als Beweis für seine Technik sieht Hof seine skurrilen Kälterekorde. Darunter jenen für das längste Eisbad, den er mehrmals selbst gebrochen hat. Zuletzt im Jahr 2011, als er eine Stunde, 52 Minuten und 42 Sekunden bis zum Hals in Eiswasser ausharrte. Er behauptet, er könne mit seiner Methode sein autonomes Nervensystem, das unbewusste, lebenswichtige Körperfunktionen wie Atmung und Herzschlag steuert, beeinflussen. In einer Selbststudie
konnte er demonstrieren, dass er seine Hauttemperatur im Eiswasser konstant warmhalten kann. 2011 ließ er sich an der niederländischen Radboud Universität Kolibakterien spritzen – ohne, dass er eine Krankheitsreaktion entwickelte. Laut einer anderen Untersuchung, die 2014 im Fachblatt PNAS erschien, erreicht Hof durch Hyperventilation einen Anstieg der Adrenalinausschüttung seines Körpers, seiner Pulsfrequenz und eine Veränderung des pH-Wertes seines Blutes. Dadurch soll er sein Immunsystem und Entzündungsreaktionen steuern können.
„Grundsätzlich ist es plausibel, dass man es durch solche Manöver schafft, den Körper durch Adrenalin in eine Stresssituation zu versetzen“, sagt Michael Fischer, Professor für Molekulare Physiologie an der MedUni Wien. Als Beispiel nennt er die Atmung, „beziehungsweise im Fall von Wim Hof das Abatmen von CO2“. Das freigewordene Adrenalin stößt die Bildung schmerzhemmender Substanzen, unter anderem Endorphine, an; der ansonsten unerträgliche Schmerz im Eiswasser wird aushaltbar.
Nachdem Hof seinen Schützlingen den Sprung ins kalte Wasser gelehrt hat, nimmt er selbst Anlauf – und landet Sekunden später per Salto im Lake Tahoe. Für Flandorfer wichtig: „Kälte ist per se kein Allheilmittel. Ihre therapeutische Kraft ist aber enorm. Kälte bedeutet Stress für den Körper. Wenn man lernt, sie auszuhalten, kann das für Herausforderungen des Alltags wappnen.“