Kurier

Car of the Year.

Ein Blick hinter die Kulissen des Testbetrie­bes der ältesten und angesehens­ten Autowahl der Welt

- VON HORST BAUER

Einer der 60 Juroren aus 23 europäisch­en Ländern hat es diesmal nicht bis Paris geschafft. Und das, obwohl er mit dem regierende­n „Auto des Jahres“unterwegs war.

Oder vielmehr gerade deshalb. Aber dazu später.

Wenn sich jedes Jahr Mitte Februar die Jury der Wahl zum „Car of the Year“(COTY) auf der Teststreck­e von Mortefonta­ine in der Nähe von Paris trifft, dann steht der letzte Akt des Auslesever­fahrens an. Hier werden jene sieben Kandidaten noch einmal auf Herz und Nieren getestet, die es nach dem ersten Wahlgang auf die Shortlist geschafft haben. Erfolgt diese Vorauswahl aus der Liste aller in einem Jahr in Europa neu auf den Markt gekommenen Autos durch eine einfache Listung der jeweils sieben präferiert­en Modelle jedes einzelnen Jurors, so folgt nach dem Testtag in Mortefonta­ine die eigentlich­e Wahl, die ganz speziellen Kriterien folgt (siehe den Zusatzarti­kel unten).

Bei der Aufgabe, sein Urteil nicht nur zu fällen, sondern auch öffentlich nachlesbar begründen zu können, hilft die Möglichkei­t ungemein, alle Kandidaten unmittelba­r hintereina­nder über ein und dieselbe Strecke scheuchen zu können. Und das in den verschiede­nsten Karosserie-Versionen und Motorisier­ungen.

So stehen etwa am kalten, aber sonnigen Dienstag dieser Woche auf dem Parkplatz im Inneren des Teststreck­enGeländes von Mortefonta­ine nicht nur Benzin- und DieselVers­ionen vom Peugeot 208 in Reih und Glied aufgefädel­t, sondern auch zwei rein elektrisch angetriebe­ne Modelle.

BMW wiederum hat nicht nur die zivilen Versionen des neuen 1er mitgebrach­t, sondern will auch mit einem M135i zeigen, wie groß die Bandbreite des Kandidaten ist.

Erstmals Clio-Hybrid

Während Renault den Clio auch in der erstmals fahrbaren neuen Hybrid-Variante ausgepackt hat, setzt Toyota auf die unterschie­dlichen Karosserie­varianten des Corolla, vom Fünftürer über die Limousine bis zum Kombi.

Ford hat ausreichen­d Pumas aufgereiht und stellt

Geschüttel­t: Toyota Corolla auf der Rüttelpist­e der Teststreck­e

vor allem die Motorvaria­nten mit dem Mild-Hybrid-System in den Mittelpunk­t.

Bleiben die beiden nur mit E-Antrieb angebotene­n Kandidaten. Für Teslas Model 3 und den Porsche Taycan wurden extra Ladestatio­nen

Der Peugeot 208 ist das einzige Modell, das neben Benzin- und Diesel-Motoren auch eine rein elektrisch­e Version zu bieten hat

aufgestell­t. Wobei die Amerikaner mit der Stromverso­rgung vor Ort auskommen und auf eine Schnell-LadeOption verzichten. Die Deutschen sind aber mit einer eigenen starken VersorgerB­atterie auf dem Lkw angerückt, an der die Taycans zeigen, wie flott sie nachgelade­n werden können.

Spreu und Weizen

Der Fahrbetrie­b auf der Teststreck­e startet um 9:00 Uhr – und bis zur Mittagspau­se kommen alle Kandidaten ausführlic­h dran. Die für die COTY-Organisati­on freigehalt­ene Strecke umfasst Kurven aller Radien genauso wie eine lange Gerade, zwei hügelige Passagen und einen Abschnitt mit rumpeligem Kopfsteinp­flaster. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen und so manche Versprechu­ngen blumiger PR-Texte hinsichtli­ch der tollen Verarbeitu­ng gehen im Lärm der wackeligen Teile der Innenverkl­eidung unter.

Die Erkenntnis­se aus den einzelnen Testrunden werden nach der Rückkehr auf den Parkplatz nicht nur unter den Juroren ausgetausc­ht. Auch die von den Firmen entsandten Ingenieure und Produktver­antwortlic­hen stehen

Rede und Antwort über allfällige Problemzon­en ihres Kandidaten.

Ein willkommen­er Nebeneffek­t für die Abgesandte­n der Hersteller ist es, die Produkte der Konkurrenz in informelle­m Rahmen unter die Lupe nehmen zu können. Und am späten Nachmittag, wenn viele Juroren schon wieder auf dem Weg zum Flughafen sind, auch einmal selbst ein paar Runden mit einem der Konkurrenz­produkte drehen zu können.

Motto: Was in Mortefonta­ine passiert, bleibt auch in Mortefonta­ine.

Die Erkenntnis­se, die jeder Juror am Ende des Testtages für sich gewonnen hat, fließen dann in dessen persönlich­e Wertung ein. Dort wird sich bei einigen wohl auch der Umstand wiederfind­en, dass etwa beim Renault Clio die Windgeräus­che von den Außenspieg­eln schon früher einsetzen und stärker sind, als etwa bei seinem unmittelba­ren Konkurrent­en, dem Peugeot 208. Oder dass die Dreizylind­er-Motoren des Ford Puma doch knurriger klingen, als man das von der ersten Fahrpräsen­tation vor Monaten in Erinnerung hatte.

Deutlicher niederschl­agen

Schon einmal war mit dem 928 im Jahr 1978 ein Porsche das „Auto des Jahres“. Der Taycan hat heuer die Chance, es ihm nachzumach­en

Der Jury-Präsident am Steuer: Frank Janssen vom Stern

dürfte sich aber wohl, dass beim Tesla Model 3 schon nach zwei scharfen Testrunden die Bremsen überhitzt waren und in einem Fall das Pedal beim Anbremsen beinahe durchgefal­len ist.

Alles Erlebnisse, die der eingangs zitierte britische Kollege nicht machen konnte. Er scheiterte bei der Anreise nicht so sehr am regierende­n „Auto des Jahres“, dem Jaguar I-Pace selbst, als vielmehr an der Lade-Infrastruk­tur. Die angepeilte, und tags zuvor per Anfrage beim Betreiber extra gecheckte Ladesäule in Dover war defekt. Die StromSuche nach der Überquerun­g des Kanals in Dover endete letztlich nach drei umsonst angefahren­en Schnell-Ladesäulen im Umfeld von Calais („Ladepunkt nicht in Betrieb“), in einer finsteren französisc­hen Tiefgarage an einer herkömmlic­hen Haushalts-Steckdose.

Die Ladezeit von 13 Stunden verbrachte Kollege Paul wohl mit finsteren Gedanken über die Alltagstau­glichkeit von E-Autos allgemein. Und Überlegung­en darüber, wie viele Punkte er den beiden heuer zur Wahl stehenden Stromern angesichts dessen wohl geben wird.

 ??  ?? Einer wird gewinnen: Die Shortlist-Kandidaten aufgereiht in Mortefonta­ine – BMW 1er-Serie, Tesla Model 3, Peugeot 208, Toyota Corolla, Renault Clio, Porsche Taycan, Ford Puma
Einer wird gewinnen: Die Shortlist-Kandidaten aufgereiht in Mortefonta­ine – BMW 1er-Serie, Tesla Model 3, Peugeot 208, Toyota Corolla, Renault Clio, Porsche Taycan, Ford Puma
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