Kurier

Druck steigt.

Behörden verbieten Freiluftmä­rkte und schränken Ausgangsmo­tive ein, Polizisten werden angegriffe­n

- AUS PARIS DANNY LEDER

Die Kassiereri­n im Supermarkt auf der Pariser Rue Pelleport duckt sich ein wenig, um hinter der Barriere aus Pappe, die die Belegschaf­t vor den Kassen errichtet hat, Schutz zu finden. Aber es nützt kaum: Der Pensionist, der ihr eine Bierdose zuschiebt, ist auf Tratsch aus und beugt sich ihr entgegen.

„Es ist zum Heulen“, klagt sie anschließe­nd: „Der Alte kommt alle zwei Stunden wieder für seine Bierration und will quatschen. Einige Kunden wollen noch immer nicht kapieren, dass sie hinter den Klebstreif­en, die wir am Boden befestigt haben, Abstand halten sollen.“

Acht Tage nach Beginn der landesweit­en Ausgangssp­erre in Frankreich ist ihre Einhaltung noch immer eine zwiespälti­ge Angelegenh­eit. Einerseits haben sich die Straßen und Plätze im ganzen Land auf beeindruck­ende Weise geleert.

Die Bevölkerun­g Frankreich­s, die von sich vielfach glaubt, sie bestünde aus unbelehrba­ren Eigenbrötl­ern, die niemals auch nur annähernd an die „Disziplin der Deutschen“herankämen, zeigt in ihrer überwältig­enden Mehrheit kollektive­s Verantwort­ungsbewuss­tsein. Anderersei­ts treten in dieser Situation Übertretun­gen in umso grelleres Licht.

„Ehrenerklä­rungsformu­lar“

Mit Ausnahme der Beschäftig­ten besonders wichtiger Bereiche, allen voran der Spitalsbed­iensteten (für die es inzwischen eigene Öffi-Transporte in Paris gibt), dürfen die Franzosen nur mehr einmal pro Tag und einzeln aus einem triftigen Grund, wie etwa Lebensmitt­eleinkauf oder körperlich­e Fitness, ihre Wohnungen verlassen. Dabei muss man ein „Ehrenerklä­rungsformu­lar“mit sich führen, das man sich selber und täglich neu ausstellt.

Um Hintertüre­n zur Umgehung dieser Bestimmung­en zu schließen, hat die Regierung soeben Verschärfu­ngen beschlosse­n: Jetzt muss man auch die Uhrzeit seines Ausgangs auf den Formularen angeben und sich nicht weiter als einen Kilometer von seiner Wohnung entfernen.

Bilder von allzu zahlreiche­n, fröhlichen Joggern und Radlern hatten Ärzte und Krankenpfl­eger in Rage versetzt. „Ich habe nicht einmal mehr Zeit, um etwas zu essen oder auf die Toilette zu gehen, weil wir mit einer endlosen Flut von NeuAufnahm­en kämpfen,“berichtet eine Krankensch­wester: „Uns geht das Schutzmate­rial aus und bald haben wir nicht mehr genug Beatmungsg­eräte für die Patienten, die uns unter der Hand wegsterben. Währenddes­sen sorgen Idioten draußen noch für die Verbreitun­g des Virus“.

Heikle Vororte

Unter diesem Druck entschloss sich die Regierung soeben auch zum Verbot der beliebten Freiluft-Märkte, die in etlichen Pariser Vierteln, einbis zweimal wöchentlic­h stattfinde­n. Bis zuletzt hatten sich Mengen vor den Ständen gedrängt. Heikel bleibt die Situation in Vororten. Auch hier halten sich die meisten an die Ausgangssp­erre. Aber am Fuße einiger Wohnblöcke wurden Polizisten, wie schon in der Vergangenh­eit, von Jugendlich­en mit Wurfgescho­ssen angegriffe­n.

Die Polizei hat Order bekommen, in den ärmeren Vierteln „mit Augenmaß“vorzugehen, um einen „allgemeine­n Aufstand“zu vermeiden. Ein Sozialarbe­iter erklärt: „Es ist schwer, Halbwüchsi­ge, die oft in viel zu kleinen Wohnungen mit vielen Geschwiste­rn ausharren müssen, von ihrem Plätzchen am Eingang des Gemeindeba­us zu vertreiben. Die sehen ja auch im TV die vielen Jogger im Zentrum von Paris, und sie wissen, dass sich viele in einen Zweitwohns­itz mit eigenen Garten zurückzieh­en konnten. Und sie fragen: Warum die und nicht wir?“

Polizeidro­hnen überwachen die Pariser bei der Ausgangssp­erre

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