Kurier

Vater von Asterix.

Albert Uderzo, Zeichner der legendären Hefte, ist 92-jährig gestorben Die Blume – Teil 4

- VON GEORG LEYRER

Beim Teutates.

So oft man in den vergangene­n Tagen den sprichwort­gewordenen Erstaunens­ruf aus den „Asterix“-Bänden auf den Lippen hatte, und dazu den Gedanken wälzte, ob uns jetzt der Himmel auf den Kopf fällt – jetzt muss man es sagen.

Asterix hat seinen zweiten Vater verloren. Beim Teutates. Albert Uderzo hat gemeinsam mit René Goscinny den widerborst­igen kleinen Gallier und seinen in den Zaubertran­k gefallenen großen Freund Obelix erfunden, Uderzo als Zeichner, Goscinny als Geschichte­nerzähler. Und gemeinsam haben sie mit den rund drei Dutzend Bänden Comicliter­aturgeschi­chte geschriebe­n.

Denn „Asterix“, das war nicht nur Sprichwort­schleuder („In den See! Mit einem Gewicht an den Füßen!“) und Appetitmac­her auf Wildschwei­nbraten.

Sondern die Bände waren auch so etwas wie der Zuckerguss, mit dem man den Eltern das Comiclesen versüßen konnte: Schau, Mama, da geht es um Geschichte! Und die sprechen auch manchmal Latein!

Denn auch wenn heute die Comicverfi­lmungen und alles, was rund um die Comics noch so entstanden ist, die Popkultur beherrsche­n (eine theoretisc­he Herrschaft, bei all den geschlosse­nen Kinos), galten die bunten Bildbände früher als Untergang des Abendlands. Machtjanix! Asterix und sein kleines gallisches Dorf haben auch diesen Untergang erfolgreic­h bekämpft.

So ansatzlos können sich die Dinge ändern. Und rasant. Vor wenigen Minuten erst lag Rudi Pschemisl in seinem Bett, Herr über Raum und Zeit, der Innenhof sein Reich, die Anrainer seiner Willkür und seinem Wecker ausgeliefe­rt. Nun aber war alles anders, der Spieß umgedreht. Nur warum? So ein Haufen Nachbarn kann sich doch nicht über Nacht in Luft auflösen. Was also war da los? „Denk nach, denk nach!“marschiert­e er wie ein Panther hinter Gittern in seinem schwarzen Flanell-Pyjama und schwarzen Lederschla­pfen durch seine komplett mit Filmplakat­en tapezierte Wohnung. Immer die gleiche Runde. Den großf lächig verlegten Vinylboden in Zementf liesenopti­k entlang. Und mit jedem Schritt stellte sich Klarheit ein: „Die Morawetz. Wer sonst?“Wäre ja nicht das erste Mal.

Hat dieses unsägliche Frauenzimm­er auf Tür Nummer 12 also wieder ordentlich zugelangt. Diese Nudistin, getrieben von dem ständigen Ansinnen, auch jeden anderen bloßzustel­len. Denn wer hier in den Innenhof kam, um seinen Mist zu entsorgen, konnte sich sicher sein; kaum ist die Luft wieder rein, schleicht die Morawetz hinterher. Mülltonnen durchwühle­n, und weiß

Albert Uderzo (rechts) mit seinem Kreativpar­tner René Goscinny – und ihrem „Kind“Asterix

Uderzo und Goscinny waren die Väter von Asterix, und wurden damit die Großväter einer von Comicbilde­rn geprägten Welt. Sie haben diese mit dem Echo der französisc­hen Bildungsve­rliebtheit angefüllt: Die späteren Bände, nachdem sich das mit den Prügel beziehende­n Römern und ihren lustigen Schildform­ationen erledigt hatte, waren zugleich Landeskund­e und ein liebevolle­r Blick von der Bretagne aus auf ein Europa der vielfältig Widerborst­igen, voller spaßig unterlaufe­ner Landesklis­chees.

Da trinken die Briten heißes Wasser mit einem Tropfen der Teufel was alles wieder mitnehmen, alte Lampenschi­rme, Kleiderhak­en, Ledertasch­en mindestens. Wahrschein­lich also hatte sie all die Teppiche, Kissenüber­züge, Tischdecke­n seiner Großmutter herausgeze­rrt und nun hauste sie damit. Pfui Teufel.

Seit fünf Jahren schon ging er ihr aus dem Weg. Zu Recht.

Herumschnü­ffler

„Wirklich, Herr Pschemisl! Das tut mir aber leid mit Ihrer Oma. Und sie ist wirklich gestürzt und war allein zu Hause? Die Arme! Dabei hab ich die gute Adolfine sogar noch Klavier spielen gehört, irgendwas von Bach, und viel schlechter als sonst. Hat sich fast nach Ihnen angehört, hahaha. Wo wird sie eigentlich beerdigt?“„Verteilt auf die ganze Stadt, hahaha!“hätte er ihr gern geantworte­t. „So wie Leut’, die nicht aufhören können, herumzusch­nüffeln!“Und zu diesem Zeitpunkt war ihm der Wunsch noch Vater

Milch (schließlic­h gab es vor Asterix noch keinen Tee dort). Die Schweizer ziehen lange Käsefäden und landen in der Bank. Und in Amerika trifft man, no na, Indianer.

Du nicht, Obelix!

Es sind, nimmt man sie heute zur Hand, natürlich Blicke, Witze aus einer anderen Zeit. Aber auch das ist derzeit nicht ganz falsch. Und die Prügelfest­e und Sprachspie­lchen, die historisch­en Einmischun­gen und Freundscha­ftsdynamik­en („Du kriegst keinen Zaubertran­k, Obelix!“) machen auch beim Wiederbesu­ch noch Spaß.

Nur die Filme sind nicht zum Anschauen.

Schon gar nicht die Realverfil­mungen.

Geld haben aber auch die in die Kassen gespült. Asterix bekämpfte zwar das römische Imperium auf einfallsre­iche Art. Seine Väter aber, vor allem der nach Goscinnys Tod 1977 lange Jahre Asterix alleinerzi­ehende Uderzo, bauten auf seinen Schultern selbst ein Imperium, über das sie eifersücht­ig wachten.

Und das sie zur erfolgreic­hsten französisc­hen Comicserie machten, mit weltweitem Wiedererke­nnungswert bis heute.

Der farbenblin­de Illustrato­r Uderzo, 1927 als Sohn italienisc­her Einwandere­r in der Nähe von Reims geboren, war eines gar wunderbare­n Gedankens. Wie gesagt, er mochte sie eben, all die kleinen Mistkübeln mit ihren gefälligen Behältern. Viel mehr aber war ihm die ergiebige Hinterlass­enschaft seiner Großmutter ans Herz gewachsen, da konnte er die Fragerei der Renate Morawetz wirklich nicht gebrauchen.

Wovon sonst hätte er denn leben sollen? Von seiner kleinen Videothek? Wozu noch Horror- und Actionfilm­e, Perlenvorh­änge und das dunkelrote Nebenkamme­rl? FSK 18 spielt sich doch längst in den eigenen vier Wänden ab. Gewalt im Wohnzimmer, Turnübunge­n im Schlafgema­ch, Ergotherap­ie vorm Computer. Wer braucht heut noch Videotheke­n? Die endgültige Sperrstund­e stand ihm also unmittelba­r bevor, so wie längst all seinen Kollegen. Elende Streamingd­ienste, fehlte nur mehr einer von Disney. Elendes Internet. Elende Tabletts. Elende Handys – „Handy!“wurde ihm nun klar war das Geburtsjah­r

Bände

Millionen auch selbst durchaus gallischen Herzens: Er mischte sich gerne ein. Und geriet zuletzt sogar in einen Rechtsstre­it mit seiner eigenen Tochter, den die beiden jedoch nach einigen Gerichtste­rminen gütlich beilegten.

Zuletzt zeichnete Uderzo nur noch für seinen Enkel: Mit Band 35 übergab dann auch Uderzo Asterix in neue Hände, seitdem gestalten Didier Conrad und Jean-Yves Ferri die Bände (und schneiden im Vergleich natürlich schlecht ab).

Nun ist eine große Trauerfeie­r im gallischen Dorf angesagt: Uderzo ist 92-jährig gestorben. Und nein, Troubadix, du darfst nicht singen.

„Logisch!“Nur eine Möglichkei­t gab es für diese im Innenhof ausgebroch­enen Zustände: Ein Komplott, bestehend aus dem Teppich, dem Präludium Nr. 6 und diesem Schweigen. Wahrschein­lich gab es die Gruppe namens: Wir tunken den Pschemsil ein! Abgesproch­en mussten sich alle haben, hundertpro­zentig. Dieser ganze, bis zum Gipfel der Dummheit Saccharose­verseuchte Haufen. Zuckerberg, Zuckerberg, Zuckerberg. Facebook, Instagram, WhatsApp. Alle schwer geschädigt, dagegen ist sein Diabetes der reinste Schnupfen. In den Hof also wollte man ihn locken, bloßstelle­n, wahrschein­lich würden sie, kaum tritt er ins Freie, alle auf ihre Lichterket­ten-Balkone kommen, zu ihren erfrorenen Pflanzen, mit ihren selbstgema­hlenen Siebträger-Espressos in der einen Hand, alles Pseudo-Baristas, ihren Handys in der anderen, stumm, ihn filmen aus allen Richtungen, und diese Videos als finale Gemeinheit ins Internet stellen. „Aber nicht mit mir!“wusste Rudi Pschemisl sofort, was zu tun sei. Nämlich das Gegenteil. Schwindelf­rei war er ja, und droben auf dem Dach, der Sendemast über die Feuerleite­r gut erreichbar. 4G, Ade. Nur leider ...

Alle bisherigen Teile auf kurier.at/kultur. Morgen: Teil 5

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