Kurier

Interview.

Reinhold Bilgeri wird am Donnerstag 70. Ein Gespräch über Philosophi­e, Nazis und Rock ’n’ Roll

- VON GUIDO TARTAROTTI

KURIER: Wie geht es Ihnen? Reinhold Bilgeri: Gut. Ich recherchie­re für meinen neuen Roman, ich lese viel. So eine Quarantäne-Situation ist für mich nichts Neues. Wenn ich ein Buch schreibe oder Songs, dann bin ich immer daheim. Als ich „Atem des Himmels“geschriebe­n habe, habe ich acht Monate lang fast autistisch gelebt. Meine Frau hat schon gedacht, ich mag sie nicht mehr! Aber ich habe ihr erklärt, dass es eine kathartisc­he Wirkung hat, wenn man sich in sich selbst verliert.

Wovon handelt der Roman?

Es geht um die sogenannte Rattenlini­e, die der Vatikan nach dem Zweiten Weltkrieg als Fluchthilf­e für die Nazis eingericht­et hat. Ich wurde als Kind in ein Internat gesteckt und habe viel von der Liebe, Barmherzig­keit und Reinheit der katholisch­en Kirche gehört – erlebte aber dann das satanische Gegenteil. Dieser Widerspruc­h hat mich geprägt. Mein Roman beginnt in Vorarlberg und führt über Italien bis nach Argentinie­n. Ich schreibe ihn wie einen Krimi.

Die Nazi-Vergangenh­eit prägt Österreich bis heute.

In den Fünfziger-Jahren war noch Ruhe, in den Sechzigern gab es dann in Wien den berüchtigt­en Professor Borodajkew­ycz, der antisemiti­sche Vorlesunge­n gehalten hat. In den Achtzigern kam Waldheim, dann die Regierung Schüssel ... das ist eine Spur, die sich durch Österreich zieht. Wenn es Ibiza nicht gegeben hätte, dann wären wir im Katastroph­enmodus, was das Wiederaufk­eimen alter Ideen betrifft. Ich werde da richtig missionari­sch. Ich habe immer mit meiner Mama gestritten, die ein Dollfuß-Fan war. Ich sagte ihr, er war ein Faschist – und sie antwortete, alles, was religiös ist, ist gut. Ich war ja als Kind auch extrem fromm, ich habe in der Nacht am Boden der Kapelle liegend gebetet. Es gab im Internat auch Prügelstra­fe, das alles begleitet mich ein Leben lang.

Und dann haben Sie Rock ’n’ Roll entdeckt.

Das war die Gegenwelt.

den

Radio über Kopfhörer hören – die Yardbirds, Beatles, Stones, Hendrix. Ich sah die Möglichkei­t, eine neue Waffe in die Hand zu kriegen – die E-Gitarre. Das war lebensrett­end für mich – drei, vier Mitschüler im Internat haben sich umgebracht. Meine drei Fluchtwege waren die Bücher, der Rock ’n’ Roll und die Filme. Ich bin nachts über die Feuerleite­r aus dem Internat geklettert, um im Kino „Lawrence von Arabien“zu sehen.

Sie werden 70. Was bedeutet dieses Alter für Sie?

Mick Jagger steht mit 76 noch auf der Bühne. Er war immer ein großes Vorbild für mich. Wie Mick und Keith, so waren der Michael Köhlmeier und ich damals. Kleinbürge­rkinder, ähnlich sozialisie­rt und politisier­t. Früher waren Siebzigjäh­rige für mich Greise. Jetzt sieht man, ich bin immer noch auf Vollgas. Wenn ich auf die Bühne gehe und stampf’, dann geht es mir gut! Ohne Eitelkeit! Wobei: Eitel bin ich eh noch, ich kann immer noch mit dem Arsch wackeln. Und der Tod ist sowieso immer ein Begleiter. Ich habe den gleichen TotenkopfR­ing wie Keith Richards – das ist Rock ’n’ Roll!

Der Tod gehört zum Rock ’n’ Roll?

Ja, denn der Rock ’n’ Roll ist etwas Radikales. Er ist Leben, aber so radikal, dass der Tod inkludiert ist. Man denke nur an den „Club 27“– Jim Morrison, Jimi Hendrix, Brian Jones oder Amy Winehouse – sie waren Verlorene, denen die Kreativitä­t eine Zeit lang ein Rettungsan­ker war. Ich habe Halt und Wurzeln, das ist meine Rettung! Ich brauch' kein Koks, ich bin von Natur aus speedig! Ich bin ein Träumer, ich wollte meine Träume synchronis­ieren mit der Wirklichke­it!

Haben

Filme?

Ich bereite Filme für „Universum History“vor. Etwa einen über Kronprinz Rudolf, der hat mich immer sehr interessie­rt. Und einen über Magellan – er war der größte Extremist aller Zeiten. In einer Ära, in der die breite Masse noch nicht überzeugt war, dass die Erde eine Kugel ist, fährt er mit fünf kleinen Schiffen und falschen Karten aufs Meer hinaus und umrundet den Planeten.

Sie

Pläne

für

neue

In den Achtziger-Jahren wurden Sie oft als Hitparaden­Onkel belächelt, heute gelten Sie als cool.

Das war damals so, weil mich viele nicht gecheckt haben. Ich wurde vom Feuilleton abgestempe­lt als seicht. Das hat mich damals irre aufgeregt. Ich war ein belesener Mensch. Oft saßen mir Journalist­en gegenüber und haben auf mich herabgeseh­en und ich wusste gleichzeit­ig, die konnten mir nicht das Wasser reichen. Nur Franz Manola von der Presse hat mich verstanden – mit ihm habe ich über Heidegger, Sartre und Jaspers geredet.

Wie kam es dann zu Ihrem Image?

Ich bin auch selber schuld daran. Ich hatte nach den ersten Hits pure Existenzan­gst. „Some Girls Are Ladies“habe ich als Hit konzipiert, aus Existenzan­gst. Und es hat funktionie­rt! Ich war von Philosophi­e begeistert – die Frankfurte­r Schule, Adorno, Horkheimer, Marcuse, das waren meine Heroes. Aber das kannst du als Popstar nicht vor dir hertragen.

Manche sehen die jetzige Situation auch als Gefahr für die Demokratie – man gewöhnt sich daran, seine Freiheit aufzugeben.

Ja, das sehe ich auch so. Sobald zu viel Freiheit da ist, wird es vielen mulmig. Die Demokratie ist ein zartes Pflänzchen!

Man erlebt jetzt auch schon wieder Blockwarte-Denken. Manche vernadern andere, die ins Freie gehen.

Das Vernadern ist offenbar nach 700 Jahren Autoritäts­hörigkeit drin in unserer DNA. Der österreich­ische und deutsche Mensch hat Angst vor zu viel Freiheit. Darum konnte Hitler gerade bei uns passieren. 1973 war ich mit Michael Köhlmeier in Birkenau. Das hat mich ein Leben lang nicht mehr losgelasse­n. Als ich noch Lehrer am Gymnasium war, habe ich in Psychologi­e immer mit Auschwitz angefangen. Ich habe den Schülern gesagt, das kann immer wieder passieren. Und es beginnt mit der Sprache.

 ??  ?? Bilgeri war Lehrer, wurde dann Popstar, Filmemache­r, Autor. Live: 4. September, Orpheum Wien
Bilgeri war Lehrer, wurde dann Popstar, Filmemache­r, Autor. Live: 4. September, Orpheum Wien

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