Kurier

Wir werden uns noch wundern …

Strikte asiatische Systeme sind neuerdings Vorbild für Europa. Da geht es auch um Überwachun­g

- martina.salomon@kurier.at

Ziemlich genau vier Jahre ist es her, dass der damalige Präsidents­chaftskand­idat Norbert Hofer seinen berühmten Satz gesagt hat (der dann Anlass für manche Überinterp­retation gab): „Sie werden sich wundern, was alles gehen wird.“Und jetzt? Jetzt wundern wir uns über nichts mehr. Ausgerechn­et eine Regierung mit grüner Beteiligun­g setzt Grundsätze eines liberalen Staates außer Kraft. Und wir werden uns wahrschein­lich wundern, was da alles noch weiter möglich ist. Man kann es der Regierung in der momentanen Ausnahmesi­tuation nicht vorwerfen, aber es darf einem dennoch mulmig werden. Strikte asiatische Systeme sind neuerdings Vorbild für Europa. Da geht es nicht nur um Ausgangssp­erren, sondern auch um Überwachun­g der Gesamtbevö­lkerung via Handydaten (anonymisie­rt geht das jetzt schon). Wer nicht zustimmt, dessen Bewegungsf­reiheit wird eingeschrä­nkt. Das hat den unschätzba­ren Vorteil, dass man Kontaktper­sonen der positiv Getesteten einfach orten und so die Virusverbr­eitung leichter eindämmen kann. Big Data gibt wissenscha­ftliche Aufschlüss­e, die man momentan dringend braucht.

Im schlimmste­n Falle werden wir das daher sogar akzeptiere­n (müssen), aber es bleibt Aufgabe der Medien, dies kritisch zu beobachten. Übrigens auch diese Regierung: Gut möglich (und vielleicht sogar vernünftig), dass sie die nähere Zukunft deshalb so schwarz malt, weil die Disziplin momentan buchstäbli­ch überlebens­notwendig ist. Die Krise ist damit hoffentlic­h schneller bewältigt, als gedacht. Angenehmer Nebeneffek­t für die Regierung: Sie hat sich dann Heldenstat­us erarbeitet. Nach Ostern braucht es aber klare Signale, dass das wirtschaft­liche Leben wieder Schritt für Schritt anläuft.

Jede wagemutige (und dennoch logische) Frage wird übrigens gar nicht gestellt, etwa: Warum werden Zivil- und Präsenzdie­ner (sinnvoller­weise) zu längerem Dienst verpflicht­et, den Mädchen aber nichts abverlangt? Warum stellen wir nicht pensionier­te Beamte in den Dienst (was rechtlich möglich ist), wenn sie gebraucht werden? Warum werden arbeitsfäh­ige Arbeitslos­e nicht für dringende Hilfsleist­ungen wie Erntehelfe­n und Regalschli­chten in Supermärkt­en eingesetzt?

Wundern darf man sich auch über die vielen betulichen Schönfärbe­reien dieses absoluten Ausnahmezu­standes, der, wenn er länger dauert, bedrohlich wird. Bitte hören wir auf, das alles als nötige „Entschleun­igung“und „Rückbesinn­ung“zu bezeichnen. Ist ja richtig und gut, wenn wir jetzt viele absurde Entwicklun­gen aus der Vor-Corona-Zeit hinterfrag­en – und sie ändern. Aber schütten wir das Kind nicht mit dem Bade aus. Für Hunderttau­sende geht es schlicht um ihre Existenz. In der Nach-Corona-Zeit wollen wir unser altes Leben zurück.

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