Corona-Krise. Notbetrieb an den Gerichten
Kaum noch Verhandlungen, massiver Rückstau an Prozessen droht
Neulich im Wiener Straflandesgericht: Eine Anwältin stellte für ihren Mandanten, einen mutmaßlichen Straßendealer, einen Enthaftungsantrag − er könne seinem Geschäft aufgrund der geltenden Corona-Verordnung ohnehin nicht nachgehen, weil er sich anderen Personen nicht mehr als einen Meter nähern dürfe.
Das Argument überzeugte bei der Haftverhandlung nicht. Solche Verhandlungen finden nach wie vor statt. Anwälte stellen für ihre Mandanten aktuell mehr Enthaftungsanträge als zuvor. Doch der „normale“Gerichtsalltag ist in Corona-Zeiten ins Stocken geraten.
Ohne Zeugen und Laien
An starken Tagen finden im Wiener Landesgericht für Strafsachen 70 Verhandlungen statt. Jetzt sind es eine Handvoll – in einer ganzen Woche. „Und auch dann nur, wenn keine Laienrichter, Zeugen oder Sachverständige benötigt werden“, sagt Sprecherin Christina Salzborn. Selbst da hilft man sich mit Videoanlagen. Zwei Säle sind bereits damit ausgestattet, eine mobile Anlage soll noch dazu kommen. Angeklagte werden aus der Justizanstalt Josefstadt zugeschaltet. Auch im Oberlandesgericht Wien herrscht aktuell gähnende Leere. Nur in dringenden Fällen wird verhandelt. In der kommenden Woche steht eine einzige Verhandlung auf dem Plan. „Der Aufholbedarf, der danach entsteht, wird gigantisch. Das wird eine wahnsinnige Herausforderung“, denkt
Sprecher Leo Levnaic-Iwanski schon an die Zukunft. Im Grazer Straflandesgericht herrscht ebenfalls Notbetrieb. Anhörungen bei bedingten Entlassungen finden per Videokonferenz statt,
Haftprüfungsverhandlungen ebenso. Doch die Technik ist ein Problem, es gibt nur eine Leitung in die Justizanstalt Graz-Jakomini − und das bei 20 bis 30 Haftverhandlungen pro Woche. Da muss terminlich gut abgestimmt werden. Das Gericht hat zwar die Prozessanzahl heruntergeschraubt, aber ganz auslassen geht nicht. „Für kommende Woche sind vier bis fünf Hauptverhandlungen angesetzt“, zählt Sprecherin Barbara Schwarz auf.
Für eine Verhandlung sind auch Schöffen nötig. „Da wissen wir noch nicht, ob sie kommen werden.“Verfahren mit Geschworenen wie am Dienstag in Klagenfurt werden in Graz aus Sicherheitsgründen keinesfalls angesetzt. Wer Ladungen bekommen hat, kann sich auf der Homepage informieren.
Üblicherweise finden 80 bis 90 Verhandlungen pro Woche im Grazer Gericht statt. Die Richter rechnen schon mit einem enormen Rückstau: Blieben die Beschränkungen bis Ende April, hinke man rund 500 Verhandlungen hinterher.
Kranker Häftling
Am Mittwoch wurde bekannt, dass ein Häftling der Justizanstalt Innsbruck an Covid-19 erkrankt ist. Der Mann hatte sich vor Haftantritt in Ischgl aufgehalten. Aktuell lägen keine Hinweise auf eine Infektion von anderen Insassen oder Wachpersonal vor.