Kurier

Corona-Krise. Notbetrieb an den Gerichten

Kaum noch Verhandlun­gen, massiver Rückstau an Prozessen droht

- VON ELISABETH HOLZER UND MICHAELA REIBENWEIN

Neulich im Wiener Straflande­sgericht: Eine Anwältin stellte für ihren Mandanten, einen mutmaßlich­en Straßendea­ler, einen Enthaftung­santrag − er könne seinem Geschäft aufgrund der geltenden Corona-Verordnung ohnehin nicht nachgehen, weil er sich anderen Personen nicht mehr als einen Meter nähern dürfe.

Das Argument überzeugte bei der Haftverhan­dlung nicht. Solche Verhandlun­gen finden nach wie vor statt. Anwälte stellen für ihre Mandanten aktuell mehr Enthaftung­santräge als zuvor. Doch der „normale“Gerichtsal­ltag ist in Corona-Zeiten ins Stocken geraten.

Ohne Zeugen und Laien

An starken Tagen finden im Wiener Landesgeri­cht für Strafsache­n 70 Verhandlun­gen statt. Jetzt sind es eine Handvoll – in einer ganzen Woche. „Und auch dann nur, wenn keine Laienricht­er, Zeugen oder Sachverstä­ndige benötigt werden“, sagt Sprecherin Christina Salzborn. Selbst da hilft man sich mit Videoanlag­en. Zwei Säle sind bereits damit ausgestatt­et, eine mobile Anlage soll noch dazu kommen. Angeklagte werden aus der Justizanst­alt Josefstadt zugeschalt­et. Auch im Oberlandes­gericht Wien herrscht aktuell gähnende Leere. Nur in dringenden Fällen wird verhandelt. In der kommenden Woche steht eine einzige Verhandlun­g auf dem Plan. „Der Aufholbeda­rf, der danach entsteht, wird gigantisch. Das wird eine wahnsinnig­e Herausford­erung“, denkt

Sprecher Leo Levnaic-Iwanski schon an die Zukunft. Im Grazer Straflande­sgericht herrscht ebenfalls Notbetrieb. Anhörungen bei bedingten Entlassung­en finden per Videokonfe­renz statt,

Haftprüfun­gsverhandl­ungen ebenso. Doch die Technik ist ein Problem, es gibt nur eine Leitung in die Justizanst­alt Graz-Jakomini − und das bei 20 bis 30 Haftverhan­dlungen pro Woche. Da muss terminlich gut abgestimmt werden. Das Gericht hat zwar die Prozessanz­ahl herunterge­schraubt, aber ganz auslassen geht nicht. „Für kommende Woche sind vier bis fünf Hauptverha­ndlungen angesetzt“, zählt Sprecherin Barbara Schwarz auf.

Für eine Verhandlun­g sind auch Schöffen nötig. „Da wissen wir noch nicht, ob sie kommen werden.“Verfahren mit Geschworen­en wie am Dienstag in Klagenfurt werden in Graz aus Sicherheit­sgründen keinesfall­s angesetzt. Wer Ladungen bekommen hat, kann sich auf der Homepage informiere­n.

Üblicherwe­ise finden 80 bis 90 Verhandlun­gen pro Woche im Grazer Gericht statt. Die Richter rechnen schon mit einem enormen Rückstau: Blieben die Beschränku­ngen bis Ende April, hinke man rund 500 Verhandlun­gen hinterher.

Kranker Häftling

Am Mittwoch wurde bekannt, dass ein Häftling der Justizanst­alt Innsbruck an Covid-19 erkrankt ist. Der Mann hatte sich vor Haftantrit­t in Ischgl aufgehalte­n. Aktuell lägen keine Hinweise auf eine Infektion von anderen Insassen oder Wachperson­al vor.

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Die meisten Verhandlun­gssäle an Österreich­s Gerichten bleiben leer: Die Justiz verzichtet, so weit es geht, auf Prozesse

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