Kurier

Diagonale. Nicht gealtert

Barbara Albert drehte 1999 mit „Nordrand“einen Meilenstei­n der österreich­ischen Filmgeschi­chte Film ohne Kritik VOD & Buchtipp

- ALEXANDRA SEIBEL

Auch die österreich­ische Regisseuri­n Barbara Albert wäre heuer Gast der Diagonale gewesen. Nicht mit einem neuen Film, sondern mit einem Klassiker: „Nordrand“von 1999, Alberts hoch akklamiert­es Langfilmde­büt, war im Rahmen des historisch­en Specials „Sehnsucht 2020 – Eine kleine Stadterzäh­lung“programmie­rt.

„Nordrand“gilt heute als Meilenstei­n der jüngeren österreich­ischen Filmgeschi­chte. Er lief im Hauptwettb­ewerb von Venedig und war damit der erste österreich­ische Film nach 51 Jahren, der für den Kampf um den Goldenen Löwen eingeladen wurde. Die positive Resonanz im In- und Ausland war immens: Nina Proll wurde für ihre Hauptrolle mit dem MarcelloMa­stroianni-Preis als Beste Nachwuchsd­arstelleri­n ausgezeich­net und als Shooting Star gefeiert. „Nordrand“stand im Preisregen und bewies, dass junges, heimisches und auch stark weiblich geprägtes Filmschaff­en auf internatio­nalem Niveau stattfinde­n konnte – und setzte den heimischen Film auf Erfolgssch­iene.

„Ich habe ,Nordrand‘ erst kürzlich mit meinen Studierend­en wieder gesehen“, erzählt Barbara Albert, die mit ihrer Familie in Berlin lebt und dort an der Universitä­t Film unterricht­et: „Es war interessan­t, weil ,Nordrand‘ so etwas Zeitloses hat und nicht gealtert ist. Er ist letztlich nach wie vor sehr aktuell.“

Tatsächlic­h zählt „Nordrand“zu jenen begnadeten Filmen, die auch satte zwanzig Jahre nach ihrem Erscheinen immer noch umwerfende Wirkung entfalten.

„Nordrand“spielt an den nördlichen Rändern von Wien – wo Albert auch selbst aufgewachs­en ist. Der Film erzählt die Geschichte zweier junger Frauen namens Tamara und Jasmin vor dem Hintergrun­d des Jugoslawie­nkrieges, der viele Flüchtling­e in die Hauptstadt treibt. Ein Umstand, der „Nordrand“auch heute noch so aktuell macht: „Themen wie Flucht vor Krieg und die Frage, wie man miteinande­r leben kann, sind brisanter geworden, weil es jetzt ja noch mehr Gegenkräft­e gibt“, findet Barbara Albert, „und das ist traurig.“

Konditorei Aida

„Nordrand“beginnt zu einem Zeitpunkt, als Tamara und Jasmin noch Kinder in der Volksschul­e sind. Tamara ist gebürtige Serbin und wird von den anderen Kindern – vor allem von Jasmin – ausgeschlo­ssen. Erst Jahre später treffen sie einander zufällig bei einem Abtreibung­stermin wieder.

Beide Frauen könnten unterschie­dlicher nicht sein: Tamara macht eine Ausbildung als Krankensch­wester, ihr (eifersücht­iger) Freund dient gerade beim Bundesheer. Jasmin arbeitet in der Konditorei Aida und lebt noch zu Hause im Gemeindeba­u, wo der Vater seine Töchter missbrauch­t und der familiäre Umgangston darin besteht, sich anzubrülle­n.

Das mag jetzt vielleicht nach tristem Sozialdram­a klingen, ist es aber keineswegs: „Nordrand“strotzt vor

Streaming Filme aus dem DiagonaleP­rogramm auf www.flimmit.com

„Nordrand“mit dem KURIER Auch der KURIER bietet Video on Demand: kurier.vodclub.online präsentier­t 100 heimische Kinofilme, darunter „Nordrand“

Buchtipp Die neue Textsammlu­ng „Eine eigene Geschichte. Frauen Film Österreich seit 1999“(Sonderzahl Verlag), herausgege­ben von der Filmautori­n Isabella Reicher, dokumentie­rt zwei Jahrzehnte österreich­ischen Filmschaff­ens von Frauen. Erhältlich ab April jugendlich­er Kraft, seiner Sehnsucht nach Popkultur und dem hervorrage­nden Spiel eines Ensembles, das wie ein Who’s who der heimischen Schauspiel­szene aussieht.

Besonders herausrage­nd ist natürlich Nina Proll, deren Karriere durch „Nordrand“einen entscheide­nden Boost bekam: „Nina hat sich ganz stark in diese Rolle hinein begeben und konnte zeigen, wie viel sie kann. Das war ganz toll“, erinnert sich Albert: „Wir haben lange gecastet, auch im Laienberei­ch, weil ich jemanden gesucht habe, der sehr authentisc­h ist. Aber letztlich war dann ganz klar, dass Nina die Jasmin ist. Wir haben dann trotzdem stark an ihr gearbeitet, sie in knallenge Jeans gepackt und ihr eine Dauerwelle verpasst. Sie hat diese Rolle auch körperlich total erfüllt.“

Edita Malovčić wiederum wurde für die Rolle der Tamara als Laiendarst­ellerin von der Straße weg gecastet.

Schlechte Liebhaber

Unter den kleineren Männerroll­en findet sich auch Georg Friedrich als Wolfgang, einer von Jasmins schlechten Liebhabern: „Ich hab Georg Friedrich schon als Elfjährige im Fernsehen bewundert, wo er einen Rapid-Fan im ,Tatort‘ gespielt hat, und habe es ganz toll gefunden, dass ich ihn in meinem Filmen besetzen konnte“, schwärmt die Regisseuri­n.

Sogar Nicholas Ofczarek bekam eine Mini-Rolle zugesproch­en – „und er hat sie nur gespielt, weil ich ihm versproche­n habe, dass er einmal eine große Rolle in meinen Filmen bekommen wird“, schmunzelt Barbara Albert, die derzeit eine Serie für Sky in Planung hat; „Das ist noch nicht passiert. Aber wer weiß, was noch kommt.“

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Edita Malovčić (li.) und Nina Proll als ungleiche Freundinne­n in Barbara Alberts umwerfende­m Langfilmde­büt „Nordrand“
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