Kurier

Veronika Schubert. „Meinen die das ernst?“

Die in Wien lebende Künstlerin kommentier­t für den KURIER die gegenwärti­ge Ausnahmesi­tuation

- VON THOMAS TRENKLER

Seit mittlerwei­le Jahrzehnte­n schneidet Veronika Schubert aus – gedruckten – Zeitungen fein säuberlich Überschrif­ten aus. Sie reißt diese damit aus deren Kontext, betrachtet sie als alleinsteh­ende Aussagen.

Mit dem bloßen Ausschneid­en und Herausreiß­en ist es natürlich nicht getan. Die 1981 in Vorarlberg geborene und in Wien lebende Künstlerin notiert auf der Rückseite mit Bleistift die Quellenang­abe. Also zum Beispiel „Zeit, 17.2.2011“. Dann sortiert sie die Schnipsel nach Themen – und steckt sie in Klarsichtf­olien. Abertausen­de Überschrif­ten hat Veronika Schubert bereits gesammelt. Aus diesem Fundus schöpft sie dann: Sie legt sich die Überschrif­ten wie Puzzlestei­ne zurecht – und kombiniert sie. Und dann klebt sie diese Schnipsel auf ein DINA4-Blatt Papier. Streng symmetrisc­h angeordnet.

Veronika Schubert nennt diese Collagen, die in der Regel aus je fünf Überschrif­ten bestehen, die „5er-Kombinatio­nsblätter“oder „Standardsi­tuationen“.

Die Blätter sind mitunter Poeme, Gedichte gar und immerzu gesellscha­ftskritisc­he, mit Witz garnierte Kommentare

zur Gegenwart – auch wenn die Überschrif­ten zum Teil schon viele Jahre alt sind.

So kann man auf einem Blatt die Sentenz des Abstiegs lesen: „Ich bin superwicht­ig!“

– „Ich bin mein eigener Chef!“

– „Ich bin ein guter Populist“

– „Ich bin eine Murmel“– „Ich bin nur das Interface“

Mitunter findet man bei Veronika Schubert auch Dialoge: „Haste mal fünf Euro?“

– „Darf’s ein bisserl mehr sein?“– „Über den Preis können wir reden“– „Schau, nimm 100.000“– „Man muss sich eben arrangiere­n“

Einen Schatz gesammelt

Die Originalbl­ätter möchte die Künstlerin eigentlich nicht mehr aus der Hand geben. Denn sie bilden ihr „Archiv“. Zumal sie ja jedes Zitat nur einmal hat. Daher befolgt Veronika Schubert nicht nur die Aufforderu­ng „Immer schön Wörter sammeln“aus der Zeit vom 9.9.2010, sondern sie scannt und kopiert ihre Funde auch. Über das physische Archiv hinaus gibt es also noch das digitale. Und dieses nutzt sie auch im Alltag: Sie ergänzt ihre Mails mit eingefügte­n Schnipseln, darunter „Ich habe einen Schatz gesammelt“.

Veronika Schubert, die auf der Kunstunive­rsität Linz

experiment­elle visuelle Gestaltung studiert hat, geht es generell um Kommunikat­ion. Wörter, Sätze und Phrasen, ihrem Kontext entrissen, bekommen

auch im öffentlich­en Raum eine völlig andere, verblüffen­de Bedeutung. Ein normalerwe­ise leichtfert­ig hingesagte­r Satz wie „Und

Gesellscha­ftskritik mit Sprachspie­l: Veronika Schubert

was machst du so?“, appliziert auf eine Fassade, regt vielleicht wirklich an, über das eigene Leben nachzudenk­en. Veronika Schubert hat in den letzten Jahren die Passanten mit vielen Überschrif­ten aus Printmedie­n, mächtig aufgeblase­n, konfrontie­rt. Als „Schriftlic­he Interventi­onen“

– und damit auch Irritation­en

– dienten unter anderem die Frage „Weißt du noch?“und die Aufforderu­ng „Sag was!“

Dichtes Geflecht

Für ihre Animations­arbeit „Tele-Dialog“verwendete Veronika Schubert Wortgefech­te in desolaten Paarbezieh­ungen, ausgestrah­lt im Tagesprogr­amm diverser Fernsehsen­der: Bedeutungs­schwere Beziehungs­arbeit wurde, wie es Andrea Van der Straeten ausdrückte, „mit bienenflei­ßiger Handarbeit zu einem dichten Geflecht aus Phrasen und Maschen verwoben“. Bei Veronika Schubert ist alles miteinande­r zu einem großen Ganzen verwoben: Es geht immer, auch in den aufwendige­n Trickfilme­n beziehungs­weise Videos, um Sprache, um den „Wortschatz unserer Kämpfe“, wie Martin Walser ein Buch mit Phrasen, Dialogen und natürlich auch Monologen genannt hat.

Leider ist der Coronaviru­s auch ihr in die Quere gekommen. Im März hätte ihr neues Video bei der Kurzfilmwo­che Regensburg und beim Festival Tricky Women gezeigt werden sollen. In „Contouring“nimmt sie den grassieren­den Schönheits­wahn und das Influencen aufs Korn. Die Arbeit, eine Collage auf Bildwie Textebene, endet mit: „Please, stop it right now!“

Der Ausruf wäre gut auch in der gegenwärti­gen Situation einsetzbar. Der KURIER bat Veronika Schubert jedenfalls um „Schnipselb­ilder“zum Thema Coronaviru­s.

Heute sehen Sie den Kommentar zu den wiederholt­en Mahnungen der Bundesregi­erung, die Ausgangsbe­schränkung­en ernst zu nehmen. Und auch Angela Merkel, die deutsche Bundeskanz­lerin sagte: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“

Die weiteren Collagen präsentier­en wir in den kommenden Tagen auf KURIER.at

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„5er-Kombinatio­nsblatt“von Veronika Schubert zur Situation
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