Veronika Schubert. „Meinen die das ernst?“
Die in Wien lebende Künstlerin kommentiert für den KURIER die gegenwärtige Ausnahmesituation
Seit mittlerweile Jahrzehnten schneidet Veronika Schubert aus – gedruckten – Zeitungen fein säuberlich Überschriften aus. Sie reißt diese damit aus deren Kontext, betrachtet sie als alleinstehende Aussagen.
Mit dem bloßen Ausschneiden und Herausreißen ist es natürlich nicht getan. Die 1981 in Vorarlberg geborene und in Wien lebende Künstlerin notiert auf der Rückseite mit Bleistift die Quellenangabe. Also zum Beispiel „Zeit, 17.2.2011“. Dann sortiert sie die Schnipsel nach Themen – und steckt sie in Klarsichtfolien. Abertausende Überschriften hat Veronika Schubert bereits gesammelt. Aus diesem Fundus schöpft sie dann: Sie legt sich die Überschriften wie Puzzlesteine zurecht – und kombiniert sie. Und dann klebt sie diese Schnipsel auf ein DINA4-Blatt Papier. Streng symmetrisch angeordnet.
Veronika Schubert nennt diese Collagen, die in der Regel aus je fünf Überschriften bestehen, die „5er-Kombinationsblätter“oder „Standardsituationen“.
Die Blätter sind mitunter Poeme, Gedichte gar und immerzu gesellschaftskritische, mit Witz garnierte Kommentare
zur Gegenwart – auch wenn die Überschriften zum Teil schon viele Jahre alt sind.
So kann man auf einem Blatt die Sentenz des Abstiegs lesen: „Ich bin superwichtig!“
– „Ich bin mein eigener Chef!“
– „Ich bin ein guter Populist“
– „Ich bin eine Murmel“– „Ich bin nur das Interface“
Mitunter findet man bei Veronika Schubert auch Dialoge: „Haste mal fünf Euro?“
– „Darf’s ein bisserl mehr sein?“– „Über den Preis können wir reden“– „Schau, nimm 100.000“– „Man muss sich eben arrangieren“
Einen Schatz gesammelt
Die Originalblätter möchte die Künstlerin eigentlich nicht mehr aus der Hand geben. Denn sie bilden ihr „Archiv“. Zumal sie ja jedes Zitat nur einmal hat. Daher befolgt Veronika Schubert nicht nur die Aufforderung „Immer schön Wörter sammeln“aus der Zeit vom 9.9.2010, sondern sie scannt und kopiert ihre Funde auch. Über das physische Archiv hinaus gibt es also noch das digitale. Und dieses nutzt sie auch im Alltag: Sie ergänzt ihre Mails mit eingefügten Schnipseln, darunter „Ich habe einen Schatz gesammelt“.
Veronika Schubert, die auf der Kunstuniversität Linz
experimentelle visuelle Gestaltung studiert hat, geht es generell um Kommunikation. Wörter, Sätze und Phrasen, ihrem Kontext entrissen, bekommen
auch im öffentlichen Raum eine völlig andere, verblüffende Bedeutung. Ein normalerweise leichtfertig hingesagter Satz wie „Und
Gesellschaftskritik mit Sprachspiel: Veronika Schubert
was machst du so?“, appliziert auf eine Fassade, regt vielleicht wirklich an, über das eigene Leben nachzudenken. Veronika Schubert hat in den letzten Jahren die Passanten mit vielen Überschriften aus Printmedien, mächtig aufgeblasen, konfrontiert. Als „Schriftliche Interventionen“
– und damit auch Irritationen
– dienten unter anderem die Frage „Weißt du noch?“und die Aufforderung „Sag was!“
Dichtes Geflecht
Für ihre Animationsarbeit „Tele-Dialog“verwendete Veronika Schubert Wortgefechte in desolaten Paarbeziehungen, ausgestrahlt im Tagesprogramm diverser Fernsehsender: Bedeutungsschwere Beziehungsarbeit wurde, wie es Andrea Van der Straeten ausdrückte, „mit bienenfleißiger Handarbeit zu einem dichten Geflecht aus Phrasen und Maschen verwoben“. Bei Veronika Schubert ist alles miteinander zu einem großen Ganzen verwoben: Es geht immer, auch in den aufwendigen Trickfilmen beziehungsweise Videos, um Sprache, um den „Wortschatz unserer Kämpfe“, wie Martin Walser ein Buch mit Phrasen, Dialogen und natürlich auch Monologen genannt hat.
Leider ist der Coronavirus auch ihr in die Quere gekommen. Im März hätte ihr neues Video bei der Kurzfilmwoche Regensburg und beim Festival Tricky Women gezeigt werden sollen. In „Contouring“nimmt sie den grassierenden Schönheitswahn und das Influencen aufs Korn. Die Arbeit, eine Collage auf Bildwie Textebene, endet mit: „Please, stop it right now!“
Der Ausruf wäre gut auch in der gegenwärtigen Situation einsetzbar. Der KURIER bat Veronika Schubert jedenfalls um „Schnipselbilder“zum Thema Coronavirus.
Heute sehen Sie den Kommentar zu den wiederholten Mahnungen der Bundesregierung, die Ausgangsbeschränkungen ernst zu nehmen. Und auch Angela Merkel, die deutsche Bundeskanzlerin sagte: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“
Die weiteren Collagen präsentieren wir in den kommenden Tagen auf KURIER.at