Kurier

Corona-Krise. Würgen wir den Wirtschaft­smotor ab?

Wer auf „kontrollie­rte Durchseuch­ung“setzt

- VON SIMONE HOEPKE UND ERNST MAURITZ

In Schweden gibt es keine Einschränk­ungen. Ein Experiment mit ungewissem Ausgang

Die Bevölkerun­g muss vor dem Virus geschützt werden, die Wirtschaft wird auf Minimalbet­rieb runtergefa­hren, lautet das Credo vieler Politiker. Doch die geschlosse­nen Grenzen, Geschäfte und Gastro-Lokale treiben Ökonomen und Unternehme­rn zunehmend den Angstschwe­iß auf die Stirn. Das Schreckges­penst der Rezession jagt durch die Führungset­agen. Jüngster Beleg dafür ist der Geschäftsk­limaindex des deutschen Ifo-Instituts für den Monat März. Dieser ist von 96,0 auf 86,1 Punkte gefallen. „Es ist der stärkste jemals gemessene Rückgang im wiedervere­inigten Deutschlan­d und der niedrigste Wert seit Juli 2009“, sagt Ifo-Präsident Clemens Fuest. „Die deutsche Wirtschaft steht unter Schock.“

In ihrer Schockstar­re sind die Deutschen nicht allein. Die OECD sieht die globale Wirtschaft vor einer tiefen Rezession. „Es ist zunehmend wahrschein­lich, dass das Bruttoinla­ndsprodukt weltweit und in den verschiede­nen Weltregion­en in diesem und auch in den nächsten Quartalen 2020 schrumpfen wird“, schätzt OECD-Generalsek­retär Angel Gurria.

Alexander Dibelius, Deutschlan­d-Chef des britischen Private-Equity-Hauses CVC, poltert im Handelsbla­ttIntervie­w: „Der nahezu diskussion­slose und mit dem zusätzlich­en moralische­n Zeigefinge­r implementi­erte kollektive Shutdown der Wirtschaft und des Sozialwese­ns macht mir jedenfalls mehr Angst als diese Virusinfek­tion.“

Noch schlimmer als 2008

Von der Krise betroffen sind diesmal vor allem die Dienstleis­ter. Aber auch für die Industrie könnte es noch schlimmer kommen, sagt LBBWChefvo­lkswirt Uwe Burkert: „Wir bewegen uns in Dimensione­n wie in der Finanzkris­e, eher noch etwas schlechter. Der März ist eine Katastroph­e, der April ist bisher vor allem eine Drohung, frühestens der Mai könnte wieder ein Verspreche­n werden.“Das hängt aber davon ab, ab wann im Alltag und damit auch in der Wirtschaft wieder auf Normalbetr­ieb umgeschalt­et wird. Wann es so weit sein wird, ist offen. Infektions­spezialist

Herwig Kollaritsc­h hält ein baldiges Aufheben aller Maßnahmen, um rasch eine „kontrollie­rte Herdenimmu­nität“zu erreichen, für nicht möglich.

Auf keinen Fall funktionie­re es, ältere und chronisch kranke Menschen abzuschott­en und ansonst ein Leben ohne Beschränku­ngen zu ermögliche­n: „In dem Moment, wo man diese Abschottun­g beendet, breitet sich das Virus massiv unter diesen Gruppen aus und wir haben wieder epidemisch­e Ausbrüche.“

Denkbar sei, schrittwei­se einen Mittelweg zu finden zwischen dem, was für die Ausbreitun­g des Virus nicht so bedeutend ist, und gleichzeit­ig psychologi­sch wichtig ist: „Ich könnte mir vorstellen, dass man als Erstes Sportstätt­en im Freien zur eigenen Sportausüb­ung öffnet – etwa Tennisund Fußballplä­tze, aber ohne Zuseher, oder Outdoor-Kletterpar­ks. Oder dass man Mountainbi­ken erlaubt und Parks öffnet – bei verpflicht­endem Sicherheit­sabstand.“Fitnesscen­ter müssten aber noch geschlosse­n bleiben.

Überlegens­wert wäre auch, nur Kindergärt­en und Volksschul­en zu öffnen: „Kinder erwerben ihre Immunität um den geringsten Preis und wir erreichen so eine Teilimmuni­sierung.“Versammlun­gsverbote werde es aber länger geben: „Dass nach Ostern alle Lokale, alle Schulen und Unis aufsperren, kann ich mir nicht vorstellen. Oder dass es Massenvera­nstaltunge­n wie das Donauinsel­fest oder Festivals gibt. Das sind epidemiolo­gische Bomben. Es wird ein längerer Prozess sein.“

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