Glauben oder Wissen?
Suche nach dem Sinn. Noch keine Krise hat das Leben der Menschen in nur wenigen Tagen mehr verändert. Viele haben Angst, leiden unter Einsamkeit und wissen nicht, was danach kommt. Die Forscher haben die Kirche in dieser Frage abgehängt
Matthias Horx ist seit drei Jahrzehnten einer der Popstars der Zukunftsforschung. Auch wenn dem gebürtigen Deutschen mit Wohnsitz in Wien immer noch der Makel anhaftet, im Jahr 2001 behauptet zu haben, das Internet würde kein Massenmedium werden, sind seine Bücher und Seminare noch immer Bestseller. Zur Corona-Krise hat er einen langen Text frei zugänglich ins Netz gestellt. Wir haben ihn auf unserer Homepage KURIER.at übernommen, und noch nie, seitdem wir die Clicks zählen, hat eine Geschichte so viele Zugriffe gehabt wie dieser Text von Matthias Horx. Und das seit Tagen. Die Aussagen des Gurus helfen offenbar.
Er ist nicht der Einzige: Auch Richard David Precht wird durch die deutschen Talkshows gereicht, ebenso der Chef-Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten. Internetvideos von mathematisch gebildeten Ärzten oder medizinisch interessierten Mathematikern auf YouTube erreichen viele Tausende Abrufe.
Schauplatzwechsel in die Kirche: Schon lange nicht mehr hätte die Kirche für die Gläubigen so viel Bedeutung – theoretisch. Die Menschen sind einsam, sie suchen Halt und wollen an eine gute Zukunft glauben. Der Papst hat am Dienstag um 12 Uhr mittag ein öffentliches Vater unser gebetet. Es wurde per Internet weltweit übertragen. Und sonst? Mit Ausnahme des Auftritts von Kardinal Christoph Schönborn in der ORF-Pressestunde am vergangenen Sonntag ist nicht viel zu hören. Vielleicht fehlt der „Guru“, vielleicht fehlt das digitale Verständnis für die
Bespielung von Online-Plattformen und sozialen Medien, vielleicht auch die Idee dahinter – hoffentlich nicht. Dennoch haben die Forscher aus den Bereichen Medizin, Mathematik und Zukunft deutlich die Nase vorne. Julia Pfligl hat mit Matthias Horx gesprochen, Rudolf Mitlöhner analysiert die Rolle der Kirche. Auf Seite 18
beschreibt Marlene Patsalidis die hohe Nachfrage nach Psychotherapie.
In Wien ist die Pestsäule am Graben zu einer Art Pilgerstätte geworden. Dort stehen Kerzen und auf Zettel geschriebene Hilferufe. Die Säule wurde einst von den Habsburgern zum Dank für die Überwindung der Pest gespendet. Sie vereint Religion, Staat (damals die Habsburger) und Zivilgesellschaft als Stände und symbolisiert den Triumph des Katholizismus. Welch spannendes Symbol.