Christoph Schönborn: „Das Angesicht der Erde verändern“
Religiös überhöhte Zivilisationskritik seitens der Kirche Einkehr.
„Not lehrt beten“, sagt das Sprichwort. Das kann im schlechten Sinne einer repressiven Drohung verstanden werden, lässt sich aber auch als schlichte, empirisch gestützte Lebensweisheit lesen: In Notzeiten ist der Mensch tendenziell eher bereit, Einkehr bei sich zu halten, Dinge auf den Prüfstand zu stellen. Krisenzeiten sind Zeiten der Unterscheidung (das Wort „Krise“kommt von griech. krínein = unterscheiden), der (Selbst-)Vergewisserung – für Menschen mit religiösem Sensorium eben auch solche des Gebets.
Suche nach Orientierung
Zeiten wie diese müssten demnach auch der Kirche in besonderer Weise Resonanzräume bieten. Ist doch die Suche nach Orientierung und geistiger Wegzehrung zweifellos noch stärker als sonst vorhanden. Zumal die Corona-Krise uns mit nachgerade archaischer Wucht, wie aus einer anderen Zeit kommend, trifft; anders als die vergleichsweise abstrakten ökonomischen und politischen Krisen der letzten Jahre.
Hat die Kirche (bleiben wir der Einfachheit halber bei der katholischen als größter Denomination) die sich ihr bietenden Chancen erkannt?
Gewiss, man lässt sich einiges einfallen, wie man angesichts strikter Reglementierung des öffentlichen Lebens an die Menschen herankommt: live gestreamte Gottesdienste, Predigten Gebetsinitiativen belegen dies durchaus eindrucksvoll.
Inhaltlich wäre indes mutigeres und kraftvolleres Auftreten ein Gebot der Stunde. Überspitzt, und ein wenig polemisch formuliert: für die religiöse Überhöhung der gerade zur Zeit forciert vorgetragenen Zivilisationskritik braucht die Kirche niemand. Nichts werde „nach
Corona“so sein wie bisher, so tönt es allerorten.
Nicht nur der auf dieser Seite zitierte Matthias Horx, auch der slowenische Philosoph Slavoj Žižek oder der Medienkünstler Peter Weibel haben sich in diesem Sinne geäußert.
Gefährliche Drohung
Und die Kirche? Exemplarisch mag dafür die Aussage von Kardinal Christoph Schönborn in der letzten
ORF-„Pressestunde“stehen: Die Corona-Krise werde „das Angesicht der Erde verändern“, sagte der Wiener Erzbischof da.
Ja, es mag und soll auch manche Änderung des Lebensstils geben, eine Redimensionierung überzogener Ansprüche. Aber: die in dem von Schönborn zitierten Pfingsthymnus angesprochene „Erneuerung“der Erde geschieht, seit Christi Geburt und länger – durch wissenschaftliche Forschung, technologische Innovation und wirtschaftliche Verf lechtung.
Freilich, Kritik daran bringt mehr medialen Beifall als davon zu reden, was das Wesen des Glaubens ausmacht: wie die zentralen Glaubensinhalte sich verstehen lassen und wie sich heute daraus leben lässt.