Wenn Paketzusteller einsam über den Broadway ziehen
New York. Angelika Ahrens über die Stimmung in Manhattan Stille am Times Square.
„The Crossroads of the world“in der Mitte von Manhattan ist auch als Times Square bekannt. Es ist einer der überfülltesten Plätze der Welt mit mehr als 40 Millionen Besuchern pro Jahr. Die riesigen Leuchtreklamen schreien ihre Werbebotschaften in die Menge, Tag und Nacht. Normalerweise. Jetzt ist auf dem Platz Ruhe eingekehrt.
Innerhalb kürzester Zeit ist aus dem Touristenmagneten und wirtschaftlichen Zentrum der Ostküste eine Stadt im Ausnahmezustand geworden. Die Werbetafeln zeigen positive Kampagnen, die den Menschen in dieser schwierigen Zeit helfen sollen: „Abstand zu halten ist der beste Weg zusammenzuhalten.“Coca Cola will „Social Distancing“symbolisieren. Auch die Buchenstaben einer der bekanntesten Marken der Welt sind weit auseinandergerückt. Die Technologiebörse Nasdaq ruft zum „Nett sein“auf, aber aus der Distanz. Seit dem Wochenende gilt für die Megacity: stay at home!
Mehr als acht Millionen Einwohner sollen ihre Wohnung nur noch für wichtige Besorgungen verlassen. Die Broadway-Theater sind geschlossen, ebenso Museen, die Freiheitsstatue oder die kultigen Luxus-ShoppingTempel auf der berühmten Fifth Avenue.
Leere und eine Flagge
Seit wenigen Tagen ist auch der Parketthandel der Börse an der Wallstreet eingestellt. Das Symbol der US-Wirtschaft. Gehandelt wird nur über Computersysteme. Vor der Börse hängt eine riesige US-Flagge. Der Nationalstolz stirbt zuletzt.
Manhattan ist kaum wieder zu erkennen – ohne die vielen Geschäftsleute, Banker, die auf dem Weg zur Arbeit ihren Kaffee aus dem Pappbecher schlürfen. Ohne Touristen und den Wahnsinns-Verkehr.
Stattdessen schiebt eine Amazon-Lieferantin einen Wagen mit Paketen mitten über den Broadway. Die Menschen würden jetzt mehr bestellen als sonst, sagt sie.
Warum sie sich nicht mit einer Maske schützt? Maria zuckt ratlos mit den Schultern: „Wenn uns die Firma Masken gibt, gern. Aber wenn ich täglich eine Maske brauche und das selbst bezahlen muss, das ist zu viel.“
Weil deutlich weniger New Yorker derzeit mit der U-Bahn fahren und sich mehr als 50 Mitarbeiter bereits infiziert haben, ist der U-Bahn-Betrieb eingeschränkt. Surreal auch das Bild in Chinatown: Wo sonst geschäftiges Treiben herrscht und man glaubt, in einem komplett anderen Land zu sein, herrscht gespenstische Ruhe. Die Straßenstände der Gemüse- und Obsthändler sind verwaist.
Spital für Notfälle
Im benachbarten Little Italy das gleiche Bild. Es ist die Ruhe vor dem Sturm.
Das riesige Ausstellungsgelände, Javits Center, lässt sich von außen nichts anmerken. Doch innen bereitet die National Guard den Umbau zu einem Krankenhaus für Notfälle um. 1.000 Corona-Patienten sollen hier untergebracht werden. In einer Woche soll es fertig sein
Nur in den Parks herrscht noch reges Treiben. Rund um das Jaqueline Kennedy Reservoir, das Schauplatz für Filme wie „Frühstück bei Tiffany’s“oder „Sex and the City“war, keuchen Jogger an Spaziergängern vorbei. Auf engstem Raum, als ob ihnen das Virus nichts anhaben könnte. „Ein Mal am Tag muss ich raus,“meint Michelle. „Mein Apartment ist mini wie eine Schuhschachtel.“Und genau das ist das Problem. NY ist so dicht besiedelt, wie keine andere Stadt in den USA.