Wahlkampf im Zeichen des Virus
Wien-Wahl. Hält die Krise noch länger an, könnte das vor allem FPÖ, Strache und Neos Probleme bereiten · · · ·
Die Krise überschattet die Vorbereitungen auf den Herbst: Veranstaltungen sind derzeit verboten. Mit Themen abseits von Corona dringen Parteien nicht durch.
Form und Inhalt passen (zwar mehr zwangsweise als gewollt) perfekt zusammen: Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) betritt am Donnerstag den Gemeinderatssitzungssaal im Rathaus – und winkt den Mandataren bloß zu. Die grüne Vizebürgermeisterin Birgit Hebein faltet die Hände, deutet eine Verbeugung an. Und Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky schwenkt mit der Handykamera über die spärlich besetzten Reihen.
Die 66. Sitzung des Gemeinderats ist in mehrerlei Hinsicht eine besondere. Thematisch steht der Beschluss des Corona-Hilfspakets im Mittelpunkt. Darüber beraten wird in einem bisher nicht da gewesenen Rahmen: Erstmals in der Geschichte sind nur 66 Abgeordnete anwesend – gerade so viel, dass das Stadtparlament beschlussfähig bleibt.
Jede zweite Reihe und jeder zweite Platz sind frei, ein Teil der Gemeinderäte sitzt oben auf der Besuchergalerie. Die Wortmeldungen der Mandatare sind auf fünf Minuten begrenzt, nach den Reden
werden die Mikrofone desinfiziert.
Nur ein paar Sachen sind wie immer. Oder besser gesagt: Sie werden langsam wieder, wie sie immer waren. Die große Einigkeit, die die Politik angesichts der CoronaKrise erfasst hat, wird brüchig. Demokratiepolitisch ist das fast ein bisschen wohltuend.
Stadt gegen Bund
Schon in den vergangenen Tagen hat das kurz pausierte Match Bund gegen Stadt wieder an Fahrt aufgenommen. So hat sich Michael Ludwig nicht nur dazu entschlossen, die städtischen Park geöffnet zu lassen, während die Bundesregierung die Ausgangsbeschränkungen zu verschärfen. Zuletzt forderte er von Türkis-Grün, die geschlossenen bundeseigenen Gärten (etwa Burg- und Augarten) für die Wiener zu öffnen.
Bei der Gemeinderatssitzung wiederum übte die Opposition erste vorsichtige Kritik an der Stadt: Wenn die Stadtregierung nun verspreche, die Digitalisierung in den Schulen voranzutreiben, lösche sie bloß die von ihr gelegten „bildungspolitischen Brände“, erklärte FPÖ-Stadtrat Maximilian Krauss. Die ÖVP tadelte auch abseits von Corona: Rot-Grün verlängere mit der Reform der Mindestsicherung die „Zuwanderung ins Wiener Sozialsystem“, sagte der türkise Stadtrat Markus Wölbitsch.
Auch wenn derzeit niemand zugeben würde: Die Corona-Krise stellt die Parteien mit Blick auf die WienWahl, die plangemäß im Herbst stattfände, auf eine harte Probe. Die aktuelle Krise könnte massive Auswirkungen auf das Wahlergebnis haben. Vor allem, wenn sie noch länger dauert.
„Die Grundregel lautet, dass die jeweils Regierenden die Chance haben, von derartigen Situationen zu profitieren. Vorausgesetzt, das Krisenmanagement funktioniert halbwegs gut“, sagt der Politikberater Thomas Hofer. Das würde auch für Michael Ludwig und sein SPÖ-Team gelten, das bis dato die Krise relativ gut gemeistert habe.
Hofer ortet aber im öffentlichen Auftreten einen wesentlichen Unterschied zwischen Stadt- und Bundesregierung: Während Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) eine dominierende Rolle als Krisenmanager einnehme, stehe in Wien Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) im Rampenlicht. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) sei hingegen relativ zurückhaltend. „Ludwig könnte noch deutlich offensiver agieren. Hier besteht allerdings die Gefahr einer Überinszenierung, das ist immer eine Gratwanderung, wie die Diskussionen um das Auftreten von Kurz gezeigt haben, der zu Beginn der Krise alles an sich riss.“
Schwer zu beurteilen sei laut Hofer die Frage, ob nicht doch eher die Wiener ÖVP von der Krise profitiert. Immerhin scheint das türkise Krisenmanagement im Bund bei der Bevölkerung bestens anzukommen. Grundsätzlich würden die Wähler aber eher die Performance der Verantwortlichen auf jener Ebene beurteilen, auf der die Wahl stattfindet, sagt Hofer.
Die Wiener ÖVP hat aber ein Ass im Ärmel: Spitzenkandidat ist Finanzminister Gernot Blümel, dem in der Bewältigung der Krise eine wichtige Rolle zukommt – Stichwort finanzielle Soforthilfe und Konjunkturpaket. „Das ist ein deutlicher Vorteil gegenüber anderen Oppositionsparteien“, sagt Hofer.
In Sachen Krisenmanagement spielt der kleine Koalitionspartner derzeit nur eine Nebenrolle. Noch dazu ist den Grünen mit einem Schlag ihr zentrales Thema abhanden gekommen: der Klimawandel.
Hofer ist aber überzeugt, dass sie es wieder aufs Tapet bringen werden, sofern sich bis Sommer die Lage beruhigt: „Nach dem Motto: Schaut her, wie sie die Erde erholt, wenn etwa der Flugverkehr zurückgeht. Weiters können sie auf Globalisierungskritik setzen.“Negativen Begleiterscheinungen der Globalisierung haben sich gerade jetzt deutlich gezeigt.
Sollte die Krise in den Herbst hineingehen, könnten sie vollkommen unter die Räder geraten, weil es kein anderes Thema als die Pandemie gibt. „Was sollen die Neos oder ein FPÖ-Chef Dominik Nepp jetzt großartig machen?“, so Hofer. Die Kritik etwa am Bauskandal Krankenhaus Nord möge noch so berechtigt sein, aktuell sei nicht der Zeitpunkt dafür.
Zuletzt wurde die FPÖ nicht müde zu betonen, dass sie die erste gewesen sei, die auf die Gefahr einer Pandemie hingewiesen habe. „Für die Wahlentscheidung wird das aber keine Rolle spielen, selbst wenn das zehnmal stimmt“, sagt Hofer.
Quarantäne-Wahlkampf
Sollten die geltenden Restriktionen, vor allem die Versammlungsverbote, bis in den Herbst bestehen, würde das nicht zuletzt massive Auswirkungen auf den Wahlkampf haben.
Klassische Kundgebungen wie am Viktor-Adler-Markt gibt es dann nicht. Dafür würde der Online-Wahlkampf massiv an Bedeutung gewinnen. „Hier ist die ÖVP am professionellsten aufgestellt“, so Hofer. Schon im Wahlkampf 2013 habe man eine Datenbank mit Online-Unterstützern aufgebaut. Auf das Know-how könne man auch in Wien zurückgreifen.
Wahl verschieben?
Im schlimmsten Fall könnte Wien auch eine Verschiebung der Wahl andenken. Nämlich dann, wenn aufgrund der Sicherheitsmaßnahmen eine Teilnahme der Bürger nur eingeschränkt möglich wäre.
Der spätestmögliche reguläre Wahltermin ist der 11. Oktober. Derzeit sei eine Verschiebung aber absolut kein Thema, betont man in der Magistratsdirektion.
Notwendig für dieses – derzeit noch theoretische – Szenario wäre eine grundsätzliche Änderung der Stadtverfassung oder ein Anlassgesetz. Für eine verfassungsrechtliche Änderung bräuchte es eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag.