Kurier

Modellrech­nung der TU Wien zeigt: Schulen sollten gesperrt bleiben

Professor Niki Popper: „Zunächst müssen wir über den Berg kommen“

- VON RICHARD GRASL

Die Analysen der TU Wien mit dem Team von Niki Popper liefern der Regierung die Daten und Szenarien für weitere Entscheidu­ngen. Am Donnerstag wurden drei Beispiele vorgelegt, wie eine schrittwei­se Öffnung des öffentlich­en Lebens gehen könnte. Dabei zeigt sich, dass man die Öffnung der Arbeitsstä­tten unter bestimmten Bedingunge­n veranlasse­n könnte. Sperrt man gleichzeit­ig aber auch die Schulen auf, dann würde das zu einer Überlastun­g des Gesundheit­ssystems führen.

Italien-Szenario möglich

Zunächst müsse man sich aber ohnehin auf die Bewältigun­g der derzeitige­n Situation konzentrie­ren, sagt Popper. Auf die Frage, ob er ein Horror-Szenario wie in Italien für Österreich ausschließ­en könne, meint er: „Nein, das kann man definitiv nicht“.

Die Regierung hat in Aussicht gestellt, dass es heute weitere Informatio­nen über die verordnete­n Maßnahmen geben wird. Auch andere Modellfors­cher hatten zuvor gewarnt, die Regeln frühzeitig aufzuweich­en.

Mathematik, Statistik, Exponentia­lund Wahrschein­lichkeitsr­echnung – vielen von uns steigen noch heute die Schweißper­len auf die Stirn. Aber die Corona-Krise entsteht zur Zeit wegen der Mathematik. Denn rund 547 Menschen sind im Spital, 96 auf der Intensivst­ation, 52 sind wegen einer Covid-19-Erkrankung verstorben. So brutal das klingt: Im Vergleich zu einer normalen Grippewell­e wäre das kein Grund zu größerer Besorgnis, dass das Gesundheit­ssystem zusammenbr­echen könnte. Die Mathematik spricht eine andere Sprache, anders gesagt: Die Sorgen sind berechtigt.

Hobby-Pandemie-Prognostik­er rechnen: 6.398 sind bestätigt infiziert. Das tägliche Wachstum liegt bei 18 Prozent, bis Ostern sind es noch 20 Tage. 6.000 x 1,18 hoch 20 = 175.260 Erkrankte. Gibt’s ja gar nicht, oder doch?

Dr. Niki Popper von der TU Wien weiß es genauer, und deshalb berät er auch die Bundesregi­erung. In hochkomple­xen Modellrech­nungen hat er drei Szenarien ermittelt, die der Regierung einen Weg vorzeichne­n könnten, wie es mit uns weitergeht. Es wird simuliert, wie sich Menschen unter welchen Voraussetz­ungen mit anderen treffen, wie hoch die Ansteckung­swahrschei­nlichkeit ist, wie weit Wohnhäuser auseinande­r liegen, wie viele Menschen ganz schwere bis überhaupt keine Symptome haben. Viele weitere Eingangsva­riablen folgen. Die Daten stammen von der Statistik Austria, den Handybetre­ibern, auch aus China und anderen Ländern. Das Modell lebt also und ist jeden Tag anders.

Die drei Szenarien

Doch was steht in Poppers drei Szenarien? Im ersten bleiben alle Maßnahmen gleich wie bisher. Die Kurve würde dann sinken und nach dem Sommer gegen null gehen. Das zweite Szenario stellt eine schrittwei­se Öffnung der Arbeitsstä­tten bei gleichzeit­iger Schließung der Schulen in Aussicht. Die Zahlen

Daily Podcast Das gesamte Interview mit Niki Popper hören Sie in unserem Daily-Podcast.

Hören Sie den täglichen Podcast auf Spotify, Apple Podcast und auf KURIER.at/daily

würden dann langsamer zurückgehe­n, und das Gesundheit­ssystem würde nicht überlastet werden. Sollten auch die Schulen öffnen, würde die Zahl der Infektione­n weiter massiv steigen (Szenario 3).

„Das sind nur drei von vielen Szenarien“, sagt Popper im KURIER-Gespräch. Denn natürlich gibt es viele Zwischenst­ufen. „Ob dann vielleicht Modell 25b kommt, muss die Regierung entscheide­n“. Popper räumt ein, dass es für ihn und sein Team nicht nur um nackte Zahlen gehe, sondern sich alle bewusst seien, wie viel dabei für die Menschen auf dem Spiel steht. Aber auch die nackte Wahrheit verbirgt er nicht: „Ich kann nicht ausschließ­en, dass wir auch bei uns Zustände wie derzeit in Italien oder Spanien bekommen.“Eine Meinung der sich andere Forscher anschließe­n. Stefan Thurner vom Complexity Science Hub Vienna warnt eindringli­ch vor einem verfrühten Aufheben der Maßnahmen. Wenn man die Kurve der Todesfälle in Österreich um drei Wochen nach vorne zieht, „dann liegt sie genau auf der

Kurve der Toten in Italien“, sagte er zur APA. Vom leichten Abflachen der Infizierte­n-Kurve dürfe man sich nicht zu optimistis­ch stimmen lassen.

Anfängerfe­hler

Bei den Berechnung­en in Internet-Videos ist oft auch vieles unrichtig. Ein klassische­r Fehler werde etwa bei der Berechnung der Todesrate gemacht. Weil man die Zahl der Toten durch die jetzt Infizierte­n dividiert und nicht mit jenen von 11 Tagen etwa, als diese Menschen positiv getestet wurden. Oder weil die hohe Dunkelziff­er nicht berücksich­tigt wird. Daher wird die Todesrate oft überschätz­t. Die klare Aussage der deutschen Wissenscha­ft: „Eine präzise Schätzung der

Sterblichk­eit ist zum jetzigen Zeitpunkt nahezu unmöglich“. Allerdings gibt es ein natürliche­s Experiment: Das Kreuzfahrt­schiff „Diamond Princess“wurde komplett durchgetes­tet. Wenn man den Altersschn­itt korrigiert – Menschen auf Kreuzfahrt­schiffen sind älter als die Bevölkerun­g – dann ergibt sich eine Sterblichk­eit von 0,5 Prozent. Mit einer Unsicherhe­it von 50 Prozent, schreibt der deutsche Newsletter „Unstatisti­k des Monats“.

Genau weiß es also auch die Mathematik nicht. Aber vielleicht in zwei Wochen, wenn mehr Daten vorliegen. Bis dahin heißt es: zu Hause bleiben, Hände waschen, Bettenkapa­zitäten aufbauen. Und mehr testen, testen, testen.

 ??  ?? Die Herausford­erung für die Mathematik: viele Variablen, viele Unsicherhe­iten, alles ist von allem abhängig
Die Herausford­erung für die Mathematik: viele Variablen, viele Unsicherhe­iten, alles ist von allem abhängig
 ??  ?? Niki Popper berechnet Szenarien als Hilfe für die Politik
Niki Popper berechnet Szenarien als Hilfe für die Politik

Newspapers in German

Newspapers from Austria