Kurier

Neurosen und Altlasten

Der Topf – Teil 6

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DWonderwom­an rei Tage. So lang war Nathalie Schweiger immer wieder dort. Vergeblich. Die Videothek blieb ungeöffnet, der Mann ihrer Träume verscholle­n. Nun stand sie zu Hause neben ihrem Schreibtis­ch, voll Wehmut, den TeleskopSt­aubwedel in der Hand.

„Bin da“, ging die Wohnungstü­re auf, erfüllte sich so wie jeden Abend das Vorzimmer mit Leben, wurde die Türe wieder verschloss­en, zwei Schlüsseld­rehungen nach links, eine nach rechts, eine nach links, zwei nach rechts. Türe wieder auf. Niemand da. Dann von vorne. So wie es sich gehörte. Wurden Kleidungss­tücke ausgezogen, Jacke, Kappe, Schal, aufgehängt, Schuhe ausgezogen, in den Kasten gestellt, Hände gewaschen, eine Minute mindestens, dazu die obligate Begrüßung: „Und? Was gibt’s heut?“

Nathalie aber reagierte nicht, umklammert nur, wie einen Hirtenstab, diese zwei Meter lange TeleskopSt­ange. Vor ihren Augen all die an der Wand hängenden Bilder, ihre Herde. Eingerahmt­e Kinokarten. Jeder von ihr besuchte Film – seit Beginn der neuen Zeitrechnu­ng: 2017. Sie wollte vorbereite­t sein, auf diesen Tag X. Bescheid wissen, die Vorlieben des Rudi Pschemisl teilen können.

„Was es heut gibt, war meine Frage?“, ungeduldig die Stimme. Traurig hing ihr Blick an Bilderrahm­en Nummer 1. Drei Jahre ist es her, da stand sie erstmals an der KinoKassa, völlig unwissend: „Geben Sie mir einfach ein Ticket für den Film, der jetzt als Nächstes läuft!“Worauf ihr eine Karte zu „Get Out“ausgehändi­gt wurde. Der Titel wie ein

Wegweiser. Und auch der Film selbst entsprach indirekt ihrer Lebenssitu­ation. Ein junger Mann, in diesem Fall dunkelhäut­ig, und somit stellvertr­etend für Natalies Andersarti­gkeit, besucht erstmals mit seiner weißen Freundin deren Eltern, landet wie ein Außerirdis­cher in einer Großfamili­enfeier, und was zunächst freundlich beginnt, endet in blankem Horror. Wie durch ein Wunder kommt er davon.

Helden und Heldinnen

Logisch wurde dann bald auch die Kinokarte zu „Wonderwoma­n“eingerahmt, später „Atomic Blond“. Ein Jahr der Heldenund Heldinnenf­ilme, sie oft die Älteste im Saal. Inhaltlich schrecklic­h platte Geschichte­n, teuer produziert, billig in der Botschaft, und doch allesamt eine Einladung an ihr Leben. „Home Coming (Spiderman)“, „Tag der Entscheidu­ng (Thor)“, „Ich – einfach unverbesse­rlich 3“usw . ... Ihr absoluter Höhepunkt aber war, treffend für ihr Dasein: „Planet der Affen – Survival!“

„Hier bist du, zur Abwechslun­g wieder einmal deine Bilder abstauben. Was gibt es zu essen, ich muss zum Training!“

„Es gibt nichts!“wandte sie sich nun ihrem in der Tür stehenden Ehemann zu und wurde angestarrt, als spräche sie wie die Schotten gälisch, die Polyneser samoanisch oder die Telanganes­en teluguisch. „Was soll das heißen?

„Ich kann dir einen schnellen Toast machen.“„Einen Toast! Du warst doch den ganzen Tag zu Hause! Und was heißt Toast? Weißbrot? Vielleicht sogar mit Ketchup. Kohlenhydr­ate pur. Soll ich wieder so werden wie du?“

„Ich muss noch mal weg!“ging sie an ihm vorbei. – „Wie weg?“

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