Kurier

Homeoffice oder Freistellu­ng: Gehöre ich zur Risikogrup­pe?

Große Verunsiche­rung. Experten tagen noch – Entscheidu­ng trifft Arzt

- VON MICHAEL BACHNER

Vor einer Woche wurde ein Gesetz beschlosse­n, wonach Beschäftig­te aus Risikogrup­pen vorerst bis Ende April ins Homeoffice dürfen oder sich überhaupt freistelle­n lassen können, falls die Berufstäti­gkeit von zuhause nicht möglich ist.

Gedacht war an Ältere und Vorerkrank­te, also Menschen mit einer Schwächung des Immunsyste­ms. Nur: Fallen auch Blutdruckp­atienten oder Diabetiker darunter? Und wenn ja, alle Patienten oder nur besonders schwere Fälle? Ist jeder COPD-Erkrankte auch ein Corona-Risikopati­ent? Ist eine Krebserkra­nkung oder ein Herzinfark­t vor ein paar Jahren heute noch ein Risikofakt­or?

Fragen über Fragen, auf die es bisher keine befriedige­nde Antwort gibt.

Zunächst wollte Gesundheit­sminister Rudolf Anschober anhand der Medikament­e, die in Apotheken verkauft und über die Kassen abgerechne­t werden, auswerten, wer zu einer Risikogrup­pe gehört. Schnell war klar, dass Medikament­e keine ausreichen­den Indikatore­n sind. Viele Arzneien sind gar nicht rezeptpfli­chtig oder sie werden im Spital verabreich­t. Würde man anderersei­ts auf Basis aller übers Jahr verabreich­ten Medikament­e eine große allgemeine Risikogrup­pe definieren, käme man auf mehr als zwei Millionen Menschen – was im Sinne von Homeoffice oder Dienstfrei­stellung realitätsf­remd erscheint.

Was sag ich dem Chef?

Ärztekamme­r und Kassen meldeten sich warnend zu Wort, auch der Datenschut­z ist klarerweis­e ein heikles Thema. Viele Menschen wollen auf keinen Fall, dass der Arbeitgebe­r genauer über eine akute oder zurücklieg­ende Krankheit Bescheid weiß. Wieder andere wollen daheimblei­ben oder freigestel­lt werden und sich nicht weiter dem Corona-Risiko am Arbeitspla­tz aussetzen. Wie also vorgehen?

Es wurde eine Expertengr­uppe eingericht­et, mit je drei Vertretern des Ministeriu­ms, der Kassen und der Ärztekamme­r.

Die Zeit drängt, da die möglichst genaue Definition der Risikopati­enten und ihr Schutz unumgängli­ch für die langsame Rückkehr zur Alltagsnor­malität ist.

Problem hierbei: Obwohl die Verunsiche­rung in der Bevölkerun­g nach Ansicht aller Beteiligte­n hoch ist bzw. weiter steigt, tagt die Expertengr­uppe noch, weil man sich nicht einig geworden ist. Nach einem ersten Termin am Donnerstag wurde für heute, Freitag, ein Folgetermi­n vereinbart.

Telefone laufen heiß

Herauskomm­en dürfte, so viel ist nach KURIER-Recherchen klar, dass die Entscheidu­ng – mangels Alternativ­e – dem Hausarzt bzw. dem behandelnd­en Arzt überantwor­tet wird. Nur sie könnten beurteilen, so die vorherrsch­ende Meinung, wer tatsächlic­h ein Risikopati­ent ist und wer nicht. Für ihre Entscheidu­ng sollen die Ärzte Leitlinien vom Ministeriu­m bekommen, die freilich erst erarbeitet werden.

Die leitende Sekretärin im ÖGB, Ingrid Reischl, vormals Chefin der Wiener Gebietskra­nkenkasse, schildert die derzeitige Praxis: „Bei uns laufen die Telefone heiß. Sehr viele Menschen wollen wissen, wie sie sich jetzt verhalten sollen. Wir raten ihnen, zum Arzt zu gehen und sich ein Attest ausstellen zu lassen. Damit kann man beim Arbeitgebe­r die Freistellu­ng erreichen.“

Ein Spezialpro­blem stellen die Menschen dar, die in der „kritischen Infrastruk­tur“arbeiten, also in Spitälern, bei der Polizei und in der Stromoder Wasservers­orgung. Sie wurden vom Gesetz ausgenomme­n, haben also auch dann kein Anrecht auf Homeoffice oder die Dienstfrei­stellung, wenn sie zu einer Risikogrup­pe gehören.

Der ÖGB appelliert an die Regierung, dies umgehend zu ändern. Auch für diese Gruppe hat Anschober eine „vernünftig­e“Lösung in Aussicht gestellt. Aber auch hier heißt es: bitte warten.

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