Homeoffice oder Freistellung: Gehöre ich zur Risikogruppe?
Große Verunsicherung. Experten tagen noch – Entscheidung trifft Arzt
Vor einer Woche wurde ein Gesetz beschlossen, wonach Beschäftigte aus Risikogruppen vorerst bis Ende April ins Homeoffice dürfen oder sich überhaupt freistellen lassen können, falls die Berufstätigkeit von zuhause nicht möglich ist.
Gedacht war an Ältere und Vorerkrankte, also Menschen mit einer Schwächung des Immunsystems. Nur: Fallen auch Blutdruckpatienten oder Diabetiker darunter? Und wenn ja, alle Patienten oder nur besonders schwere Fälle? Ist jeder COPD-Erkrankte auch ein Corona-Risikopatient? Ist eine Krebserkrankung oder ein Herzinfarkt vor ein paar Jahren heute noch ein Risikofaktor?
Fragen über Fragen, auf die es bisher keine befriedigende Antwort gibt.
Zunächst wollte Gesundheitsminister Rudolf Anschober anhand der Medikamente, die in Apotheken verkauft und über die Kassen abgerechnet werden, auswerten, wer zu einer Risikogruppe gehört. Schnell war klar, dass Medikamente keine ausreichenden Indikatoren sind. Viele Arzneien sind gar nicht rezeptpflichtig oder sie werden im Spital verabreicht. Würde man andererseits auf Basis aller übers Jahr verabreichten Medikamente eine große allgemeine Risikogruppe definieren, käme man auf mehr als zwei Millionen Menschen – was im Sinne von Homeoffice oder Dienstfreistellung realitätsfremd erscheint.
Was sag ich dem Chef?
Ärztekammer und Kassen meldeten sich warnend zu Wort, auch der Datenschutz ist klarerweise ein heikles Thema. Viele Menschen wollen auf keinen Fall, dass der Arbeitgeber genauer über eine akute oder zurückliegende Krankheit Bescheid weiß. Wieder andere wollen daheimbleiben oder freigestellt werden und sich nicht weiter dem Corona-Risiko am Arbeitsplatz aussetzen. Wie also vorgehen?
Es wurde eine Expertengruppe eingerichtet, mit je drei Vertretern des Ministeriums, der Kassen und der Ärztekammer.
Die Zeit drängt, da die möglichst genaue Definition der Risikopatienten und ihr Schutz unumgänglich für die langsame Rückkehr zur Alltagsnormalität ist.
Problem hierbei: Obwohl die Verunsicherung in der Bevölkerung nach Ansicht aller Beteiligten hoch ist bzw. weiter steigt, tagt die Expertengruppe noch, weil man sich nicht einig geworden ist. Nach einem ersten Termin am Donnerstag wurde für heute, Freitag, ein Folgetermin vereinbart.
Telefone laufen heiß
Herauskommen dürfte, so viel ist nach KURIER-Recherchen klar, dass die Entscheidung – mangels Alternative – dem Hausarzt bzw. dem behandelnden Arzt überantwortet wird. Nur sie könnten beurteilen, so die vorherrschende Meinung, wer tatsächlich ein Risikopatient ist und wer nicht. Für ihre Entscheidung sollen die Ärzte Leitlinien vom Ministerium bekommen, die freilich erst erarbeitet werden.
Die leitende Sekretärin im ÖGB, Ingrid Reischl, vormals Chefin der Wiener Gebietskrankenkasse, schildert die derzeitige Praxis: „Bei uns laufen die Telefone heiß. Sehr viele Menschen wollen wissen, wie sie sich jetzt verhalten sollen. Wir raten ihnen, zum Arzt zu gehen und sich ein Attest ausstellen zu lassen. Damit kann man beim Arbeitgeber die Freistellung erreichen.“
Ein Spezialproblem stellen die Menschen dar, die in der „kritischen Infrastruktur“arbeiten, also in Spitälern, bei der Polizei und in der Stromoder Wasserversorgung. Sie wurden vom Gesetz ausgenommen, haben also auch dann kein Anrecht auf Homeoffice oder die Dienstfreistellung, wenn sie zu einer Risikogruppe gehören.
Der ÖGB appelliert an die Regierung, dies umgehend zu ändern. Auch für diese Gruppe hat Anschober eine „vernünftige“Lösung in Aussicht gestellt. Aber auch hier heißt es: bitte warten.