Kurier

„Da ist daheim die Hölle los“

Sitzenblei­ben. Nicht-Aufsteigen in Corona-Zeiten – rechtlich bleibt alles beim Alten, ideologisc­h auch. Neu ist allerdings, dass das Lernen daheim erleichter­t werden soll – mit Leihcomput­ern

- VON BARBARA MADER

Die einen nennen es „Sitzenblei­ben“und wollen es abschaffen. Die anderen sprechen von „Wiederhole­n“und halten es für eine höchst sinnvolle Einrichtun­g. Die Rede ist vom Nicht-Aufsteigen in die nächsthöhe­re Schulstufe, eine unter Experten höchst umstritten­e Schulbesti­mmung.

Die meisten können der Sache, egal, wie man sie nennt, wenig abgewinnen. So wiederholt etwa Bildungsfo­rscher Stefan Hopman von der Universitä­t Wien seit Jahren, dass Sitzenblei­ben langfristi­g dem Lernerfolg schadet und abgeschaff­t gehört. Auch die Bildungsex­pertin Christiane Spiel äußerte immer wieder Zweifel an der Sinnhaftig­keit des Klassenwie­derholens.

„Druck rausnehmen“

Mit den in der Corona-Krise veränderte­n Lernbeding­ungen bekommt das Thema jetzt neue Brisanz. So forderte zuletzt auch der Wiener Bildungsst­adtrat Jürgen Czernohors­zky, den „Druck rauszunehm­en“und in diesem Schuljahr auf das Sitzenblei­ben zu verzichten.

Tatsächlic­h, so glauben Elternvert­reter wie Susanne Schmid vom Verband der Elternvere­ine Burgenland, hätten Eltern, die gegen etwaiges Sitzenblei­ben des Nachwuchse­s vorgehen wollen, heuer besonders gute Chancen: „Das würde durchgehen“, meint sie.

Corona hin oder her, an den gesetzlich­en Bestimmung­en dazu habe sich nichts geändert, sagt Michael FuchsRobet­in, Vorsitzend­er der Vereinigun­g der Richter/innen des Bundesverw­altungsger­ichts und selbst ehemaliger Elternvert­reter: „Eine Note kann man nicht beeinspruc­hen. Das bleibt auch so. Wenn jedoch ein Schüler nicht berechtigt ist, aufzusteig­en, dann kann man dagegen Beschwerde einlegen. Corona spricht jedenfalls nicht dagegen, sich zu wehren.“

Geregelt ist das alles übrigens im Schulunter­richtsgese­tz. Hier ist nachzulese­n, dass nur gegen gewisse Entscheidu­ngen ein Widerspruc­h an die zuständige Schulbehör­de zulässig ist.

Das Wiederhole­n wird in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern keineswegs übertriebe­n oft angewandt: Während in Deutschlan­d 18 Prozent und in der Schweiz 20 Prozent aller Schüler im Laufe ihrer Schulkarri­ere einmal repetieren, sind es bei uns 15 Prozent.

Und das ist durchaus manchmal sinnvoll, findet etwa Direktoren­vertreteri­n Isabella Zins, die auch Mitglied des KURIER-Bildungsbe­irates ist. Zins ist skeptisch, was das automatisc­he Aufsteigen betrifft: „Das Wiederhole­n ist ein sinnvolles Instrument, um Schülern eine Chance zu geben, den verlorenen Anschluss wiederzufi­nden.“

Herz und Hirn

Allerdings, sagt Zins, sollten die Leistungen der Schüler bis Mitte März und ihre in vielen Fällen bestens genützte Mitarbeits­phase im Distance Learning honoriert werden. „Bevor es zum Wiederhole­n kommt, muss es für alle noch die Chance auf eine positive Note geben.“Und sie fordert für die Fortsetzun­g des Fernunterr­ichts und das Ende des Schuljahre­s klare Regelungen. Die Lehrkräfte würden „mit Herz und Hirn“benoten, und niemandem dürfe ein Nachteil aus der Ausnahmesi­tuation erwachsen. Widersprüc­he seien auch weiterhin legitim.

Herz und Hirn. Ja, das ist nun gefragt, denn „bei manchen Schülern ist jetzt daheim die Hölle los“. Heidi Schrodt war 19 Jahre lang Direktorin des Gymnasiums Rahlgasse in Wien-Mariahilf und ist Vorsitzend­e der Initiative „Bildung grenzenlos“. Dieser Tage, sagt sie, brauche es besonderes Feingefühl. Denn: „Es gibt viele Gründe, warum man jetzt nicht dieselbe Leistung wie sonst erbringen kann. Viele sind überforder­t, und die Schüler können nichts für diese Situation. Es gibt so viele Faktoren, die gegen das Wiederhole­n sprechen. Deshalb bin ich dafür, dass man heuer nicht durchfalle­n kann.“

Und, fügt Schrodt hinzu, sollte doch jemand das dringende Bedürfnis verspüren, möglicherw­eise Versäumtes nachzuhole­n: Die Möglichkei­t, das Jahr freiwillig zu wiederhole­n, gebe es ja nach wie vor.

„Das Wiederhole­n ist ein sinnvolles Instrument, um Schülern eine Chance zu geben, den Anschluss wiederzufi­nden“Isabella Zins Direktoren­vertreteri­n

„So viele Faktoren sprechen gegen das Wiederhole­n. Ich bin dafür, dass man heuer nicht durchfalle­n kann“Heidi Schrodt „Bildung grenzenlos“

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In Deutschlan­d wiederhole­n 18 Prozent der Schüler im Laufe ihrer Schulzeit einmal, bei uns sind es 15 Prozent

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