Kurier

„Es ist so, als wäre das nie gewesen“

Der Doyen des Burgtheate­rs über den Corona-Spuk, Wohlstand und den Abschied von der Bühne

- VON THOMAS TRENKLER

Heute, Freitag, startet um Punkt 12 Uhr ein marathonar­tiger Staffellau­f: Rund 120 Künstler und Personen des öffentlich­en Lebens lesen in etwa zehn Stunden den Roman „Die Pest“von Albert Camus. Unter all den bekannten Namen – wie Elfriede Jelinek, Josef Hader, Wolfgang Ambros, Daniel Kehlmann, Klaus Maria Brandauer, Paulus Manker, Sophie Rois, Kardinal Schönborn – sticht einer ganz besonders hervor: jener des 86-jährigen Burgtheate­rDoyens Michael Heltau.

KURIER: Auf Ihrer Website ist als allerletzt­er Termin die DVD-Präsentati­on Ihres Programms „Einen blauen Ballon möcht’ ich haben!“vermerkt. Am 7. 12. 2018.

Michael Heltau: Davor schon, im Frühjahr, hatte ich mit einem Satz aus dem „Rosenkaval­ier“Abschied von der Bühne genommen: „Versteht Er nicht, wenn eine Sach’ ein End’ hat?!“

Denn am 29. 12. 2017 war Loek Huisman, Ihr Lebenspart­ner seit 1953, gestorben. Gemeinsam hatten Sie all Ihre Programme konzipiert.

Und die letzten Programme sind beim Weggehen von Loek entstanden. Das war eine Phase von fünf Jahren. Da hat man da zu sein. Ich habe diese Aufgabe akzeptiert, sehr leidenscha­ftlich erfüllt. Und ich habe dabei sehr viel, hoffe ich, begriffen. Dafür bin ich dankbar. Wenn ich gefragt werde, ob mir das Bühnenlebe­n nicht fehlt, kann ich sagen: Es ist so, als wäre das nie gewesen.

Doch nun machen Sie beim Marathon „Die Pest“mit. Wie ist es den Organisato­ren gelungen, Sie zu animieren?

Das hat ja nichts mit Schauspiel­erei zu tun! Veronica Kaup-Hasler, die Kulturstad­trätin, und Claus Philipp, ihr Mann, wollen ein Zeichen setzen. Ich hab’ gleich gesagt: „Da mach ich mit!“Nein, nicht um ein Lebenszeic­hen von mir zu geben. Wir sitzen alle im gleichen Boot. Und wenn diese Lesung etwas in den Hirnen der Zuhörer bewirkt, dann ist es schön.

Haben Sie sich die Stelle, die Sie lesen, aussuchen dürfen?

Nein. Nachdem ich zugesagt hatte, dachte ich mir: „Oh Gott, ich hätte sagen sollen, dass ich mir die Stelle aussuchen will. Jetzt ist es halt eine Lotterie!“Wenn ich mir die Stelle hätte aussuchen können, hätte wieder der Beruf begonnen. Und das will ich doch nicht! Also: Die haben mir die Qual der Wahl erspart. Ich hätte mir ohnedies etwas Ähnliches ausgesucht. Und dann hab’ ich den Text einfach ins iPad gesprochen. Mein Freund, Peter Michael Braunwarth, hat die Aufnahme gemacht. Wir sind seit Langem zusammen, und er ist mir in der schwierige­n Zeit mit Loek zur Seite gestanden.

Der Roman endet mit Jubel, weil die Seuche – zumindest vorläufig – besiegt ist. Es handelt sich dabei um einen Bericht eines Arztes, der schildern wollte, „was man in Heimsuchun­gen lernen kann, nämlich, dass es an den Menschen mehr zu bewundern als zu verachten gibt“.

Ja, herrlich! Albert Camus ist ein großer Humanist! Man sieht das auch an der Krise jetzt: Wie viele Menschen sich anständig verhalten. Und die Regierung ist viel besser, als ich es von ihr erwartet habe. Ich habe sogar einen großen Ärger über die Kommentato­ren, wenn sie kritisiere­n, warum die Politik nicht schon längst dies und das getan hat. Moment einmal! Die Politiker arbeiten rund um die Uhr – bis zur Erschöpfun­g! Für die Allgemeinh­eit. Ich jedenfalls unterstell­e den Politikern nicht, dass sie das nur aus Geltungsbe­wusstsein machen. Mir gefällt, wenn der Finanzmini­ster sagt: Koste es, was es wolle. Was ich aber nicht verstehe: Dass man nicht auch ein paar Flüchtling­e aufnimmt. Da würden die Flüchtling­skinder auch nicht ins Gewicht fallen. Da müsste man nicht so kalt sein. Was die Griechen mit den Lagern auf Lesbos auf sich genommen haben! Da wäre mehr Solidaritä­t wünschensw­ert.

„Die Pest“, 1947 veröffentl­icht, ist ja auch eine Parabel auf den Zweiten Weltkrieg. Und jetzt, in der Corona-Krise, zieht man immer wieder Analogien zu damals. Was meinen Sie? Sie waren bei Kriegsende zwölf.

Es gibt einen großen Unterschie­d zu damals: Das ist der Wohlstand. Wohlstand war ein Fremdwort, das kam bei Eichendorf­f oder Fontane vor. Es war erfahrener und gelebter Notstand. Ich erzähle immer wieder eine Geschichte, die von Peter Altenberg sein könnte: Meine zwei Jahre jüngere Schwester hat in den frühen 50er-Jahren ein Stück Palmolive-Seife zum Christkind geschenkt bekommen. Am Heiligen Abend wurde die Seife in der Familie herumgerei­cht, wir alle haben an ihr gerochen. Und dann sagte meine Schwester: „Aber waschen tu ich mich damit nicht!“In der Nachkriegs­zeit gab es aber auch ununterbro­chen Chancen. Und es war eine Zeit, die die Fantasie beflügelt hat. Es gibt es auch heute die Chance, etwas aus unserer Zeit zu lernen, die wahrschein­lich länger dauern wird, als wir möchten. Eben weil man noch nie so viel Zeit für einander hatte. Eltern haben ja, wenn beide berufstäti­g sind oder sein müssen, oft nicht sehr viel Kontakt zu den Kindern. Nun müssen sie ganz neue Erfahrunge­n machen.

Sieht die Kriegsgene­ration die Situation gelassener?

Was macht man, wenn man ständig die Risikogrup­pe ist? Ich war die Risikogrup­pe schon von Anfang an. Denn ich wurde am 5. Juli 1933

(ein halbes Jahr nach der Machtüberg­abe an Adolf Hitler, Anm.) geboren. Der Vorteil: Man kommt nicht aus dem Training. Wäre ich einer jener Menschen, die sich der Spaßkultur ausgeliefe­rt, eine

Kreuzfahrt nach der anderen gebucht hätten, dann wäre ich in dieser Ausnahmesi­tuation ein armer Teufel.

Es gibt jetzt ein Veranstalt­ungsverbot – vorerst bis Saisonende. Was bedeutet das für das Theater?

Das ist – auf Dauer – eine Katastroph­e. Für das Publikum und die Schauspiel­er. Ich kann mich noch gut erinnern: Nach dem Krieg, als das Burgtheate­r noch im Ronacher spielte, sah ich als Reinhardts­eminarist den selten gespielten Grillparze­r „Ein treuer Diener seines Herrn“. Auf dem Stehplatz standen junge Leute wie ich – und viele „Risikogrup­pen“. Und es gab eine Identifika­tion mit dem, was auf der Bühne passierte. Dieser Kraft der Identifika­tion gebe ich, wenn der Spuk vorbei ist, eine Chance. Die Chance, dass das Wichtige vom nicht so Wichtigem geschieden wird. Giorgio Strehler sagte immer, dass beim Theater zu viel Geld verderben würde. Er hat daher ein „armes Theater“, das teatro povero, gemacht. Ja, es gibt jetzt große Verluste. Aber man kann beim Aufwand, beim Drumherum sparen! Es braucht nur die Texte. Und die Schauspiel­er! Und wenn nicht genug Papier für die Dekoration­en vorhanden ist, dann eben ohne Dekoration­en. Der riesige Aufwand mit den Bühnenbild­ern: Das ist zwischendu­rch ganz lustig. Aber bitte nicht andauernd!

Nun zeigen alle Theater im Internet Aufzeichnu­ngen. Kann das ein Ersatz sein?

Nie und nimmer! Das ist nur ein Blättern im Familienal­bum! Im Laufe meines Lebens wurde vieles aufgezeich­net. Und manches ist nicht so arg geworden, wie ich befürchtet hatte. Aber Aufzeichnu­ngen sind für mich nur ein Beweis für das absolut Einmalige des lebendigen Augenblick­s.

 ??  ?? Ende November 2017 hatte „Einen blauen Ballon möcht’ ich haben!“im Burgtheate­r Premiere. Dann sagte Michael Heltau Adieu
Ende November 2017 hatte „Einen blauen Ballon möcht’ ich haben!“im Burgtheate­r Premiere. Dann sagte Michael Heltau Adieu
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Lobt die Regierung für ihren Einsatz: Michael Heltau

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