„Das Kantigste, was ich kann“
Jazz. „Angular Blues“, das neue Album des Gitarristen Wolfgang Muthspiel
Typisch für seine eigene Klangästhetik, für seinen luftigen Sound ist das Lyrische, Leichte, stets Fließende. Auch Wolfgang Muthspiels neues ECM-Album „Angular Blues“klingt, anders als der Titel suggeriert, wenig schräg und kantig. Worauf der Gitarrist beteuert: „Aber es ist das Kantigste, was ich kann.“
Entstanden ist die CD mit dem von Chick Corea und Thelonious Monk inspirierten Titelstück in Tokio: „Wir haben sie dort nach sechs Konzerten an drei Abenden im Cotton Club im Studio an einem Nachmittag spontan aufgenommen und das LiveFeeling und den Flow eingefangen. Das hat sich super angefühlt.“
Ideal-Besetzung
Der 55-Jährige ist nach zwei Quintett-Veröffentlichungen jetzt – wie bei „Driftwood“(2014) – wieder zum TrioFormat zurückgekehrt, mit Langzeitmitstreiter Brian Blade (Schlagzeug) und diesmal dem New Yorker Scott Colley (Bass), dessen erdiger Sound und flexibler tanzender Rhythmus für eine eigene Dynamik sorgt.
Die Band-Chemie funktioniert. „Das Trio ist überhaupt von Anfang an die Kernbesetzung für mich“, sagt Muthspiel im KURIER-Gespräch. „Trio ist pur und für mich auch spannend, weil ich da viel selbst gestalten kann.“
Im aktuellen Repertoire: Überwiegend melodische Eigenkompositionen, unangestrengte minimalistische Impressionen, erstmals bei ECM auch die Aufnahmen von zwei Standards: Den Cole-Porter-Song „Everything I Love“kennt er von einem frühen Keith-Jarrett-Album, und „I’ll Remember April“hörte er zum ersten Mal auf einer Frank-Sinatra-Platte.
„Ich liebe ja Standards als Kerndisziplin und spiele sie auch seit Ewigkeiten“, sagt Muthspiel. „Wie die Gruppe frei, offen und weit entfernt von vorgefassten Ideen musiziert, hat mich inspiriert, mit diesem Trio Standards auch aufzunehmen. Wobei im entscheidenden Moment eine Jazzsprache gesprochen wird. Was wir tun, wird diesen Melodien gerecht. Wir hatten zu Dritt viel Spaß. Und das Resultat gefällt mir.“Im Unterschied zum Sound-Painting von „Driftwood“ hat das neue Trio-Album mehr Swing, mehr Groove und generell weniger Effekte: Akustisch überhaupt nichts außer Hall.
Und durch Scott Colley einen „anderen, besonders warmen Ton am Bass“, so Muthspiel. „Da habe ich mir schon beim Schreiben etwa von ,Wondering’ vorgestellt, wie er das spielen wird.“
Und was bitte sind, so ein Stücktitel, „Hüttengriffe“?
„Das Einfachste vom Einfachsten. Eine Harmoniefolge, die man als Anfänger auf der Gitarre nach ganz kurzer Zeit spielen kann. Der Drummer begleitet sie minimalistisch. Und durch die Reduktion auf die Essenz blüht das Stück richtig auf.“
Die für April geplante US-Tour von der Ost- bis zur Westküste, „wo ich noch nie aufgetreten bin“, so Muthspiel, musste wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden. „Und ist hoffentlich nur aufgeschoben.“
Jenseits des Atlantiks sind in den letzten Jahren viele neue Szenen mit jungen Musikern entstanden, die aus unterschiedlichen Kulturen schöpfen. Muthspiel: „Da hat sich sehr viel getan. Und mir kommt vor, sie sind in Amerika noch vielfältiger geworden. Da gibt’s Meisterschaft in vielen Ecken.“