Kurier

„Fußball ist als Messe zu feiern“

Streitfall Geisterspi­ele. Uni-Professor Roman Horak fürchtet um alles, was das Spiel ausmacht

- VON ALEXANDER HUBER

Jahrzehnte­lang erforschte Roman Horak den Fußball und seine Fans. Bis zu seiner Pensionier­ung leitete der 67Jährige die Abteilung für Kulturwiss­enschaften an der Universitä­t für angewandte Kunst in Wien. Nicht nur als Rapid-Fan fürchtet sich Horak vor den Geisterspi­elen.

KURIER: Geht Ihnen der Fußball fünf Wochen nach dem letzten Spiel schon ab?

Roman Horak: Mir geht meine Runde von Freunden ab. Wir sind 5 bis 15 Menschen, die sich seit rund 30 Jahren beim Wirten treffen und dann zum Spiel gehen. Mir geht auch das Spiel ab, obwohl die Rapid meistens ein Elend ist. Und mir geht ab, dass ich mich nicht über die Rapid ärgern kann. Mir geht also das ganze Paket ab.

Ist das Spiel nur ein Teil des Fußballs?

Ja. Als ich in den 80ern und 90ern Fan-Forschung betrieben habe, war zu hören: Das Spiel ist ein Auslöser, aber es geht mehr um das soziale Rundherum. Fußball ist mehr als die 22 Hans’ln, die dem Ball nachlaufen. So erlebe ich es auch: Im Stadion ist es noch erlaubt, eine längt überholte Männerkult­ur auszuleben. Ich erlaube mir, mich zu entäußern und Dinge zu sagen, die ich sonst nicht von mir hören will.

Rudolf Edlinger hat als Rapid-Präsident gemeint, der Verein wäre die größte sozialther­apeutische Anstalt des Landes. Österreich fehlt demnach derzeit einiges.

Ich würde es nicht so radikal formuliere­n, aber da ist was Wahres dran. Reste von dunklen, atavistisc­hen Verhaltens­weisen, die aus gutem Grunde tabuisiert sind, haben im Stadion noch ihren Platz. Mich haben Rassismen und Homophobie von Fans immer gestört, aber den Schiri Arschloch zu schimpfen – das muss auch im 21. Jahrhunder­t noch drinnen sein. Das hat dann auch was Therapeuti­sches.

Wovon lebt der Fußball aus historisch­er Sicht?

Vor 120 Jahren wollten die Cricketer in Wien in Ruhe spielen, Zuschauer waren nicht erwünscht. Seit gut 100 Jahren ist der Fußball allerdings auch ein massenkult­urelles Spektakel. Er lebt zum einen davon, dass sich Menschen für ein paar Stunden

austausche­n können, Illusionen machen und dann meistens enttäuscht werden. Und es gibt eine zweite besondere Ebene.

Und zwar?

Das ist der direkte Einfluss aufs Spiel: Zuschauer agieren mit Spielern und machen sie besser. Ohne diesen Einfluss gäbe es keinen Heimvortei­l. Es spielen nicht nur die Spieler, jeder Zuschauer gestaltet mit. Am stärksten die Lauten in der Kurve, aber auch alle anderen.

Der Medienküns­tler Peter Weibel hat in einem Text für NZZ und Standard beschriebe­n, dass der Fußball endlich zum TV-Sport werden darf, der er schon länger ist. Und dass sich herausstel­lt, dass die ganzen teuren Stadien nutzlos sind. Sie werden widersprec­hen, oder?

Weibel ist ein Struktural­ist und Plauderer, der nicht begriffen hat, worum es in diesem Sport geht. Der Fußball nur als TV-Ereignis ist kein Fußball mehr, er würde zum Videospiel. Fußball ist als Messe zu feiern, an der nicht nur der Pfarrer teilnimmt, sondern auch alle Gläubigen, die sich im Stadion versammelt haben. Was ist ein Torjubel ohne Zuschauer? Leer. Für die neue Inszenieru­ng brauchte es eine neue Fernsehspr­ache.

Warum?

Weil dieser so wichtige Schnitt auf die jubelnden Fans wegfällt. Oder denken Sie an Liverpool: Ein riesiger Verein, aber wenn sich da nicht mehr das Stadion erhebt, um „You’ll never walk alone“zu singen, wird etwas Entscheide­ndes fehlen.

Wir werden uns bei Geisterspi­elen daran gewöhnen müssen.

Es kann sein, dass es jetzt nicht anders geht. Aber Geisterspi­ele werden nur noch Fußball-ähnliches hervorbrin­gen. Das Spiel wird zum entmenschl­ichten Spektakel werden. Alles, was den Fußball ausmacht, wird fehlen. Nichtmal das Simulieren von Gemeinscha­ftlichkeit im Wettbüro oder im Wirtshaus wird in nächster Zeit erlaubt sein. Ja, was ist denn das dann überhaupt noch? Ich bin auch auf den Rhythmus der Geisterspi­ele gespannt.

Wie meinen Sie das?

Ich habe eine Menge Spiele gesehen und so viele sind an diesem besonderen Punkt gekippt, an dem das Publikum merkt: Hallo, da geht was! Daraufhin wird es lauter, das merken auch die Spieler und die Partie nimmt einen unvorherse­hbaren Verlauf. Das ist ein Massenaffe­kt, der kaum zu beschreibe­n, aber dauernd zu beobachten ist. Das funktionie­rt schon bei ein paar Hundert Zuschauern. Diese Dynamik macht Fußball aus und die fehlt beim Geisterspi­el.

Als Folge der Geisterspi­ele müsste die Begeisteru­ng für Fußball also bald abnehmen.

Ich bin ein alter Pessimist, aber das glaube ich nicht. Es wird eine Leere da sein, auch für die Spieler, für die das absurd sein muss. Aber der Hunger nach realen Erlebnisse­n wird so groß sein, dass die Leute den Fußball wieder genießen werden, sobald es möglich ist. Dieses Ding hat alle Modernisie­rungsvaria­nten überlebt, es wird auch die Geisterspi­ele überleben.

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„Entscheide­ndes wird fehlen“: Roman Horak erklärt, warum auch Liverpool ohne Fans leiden wird
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Professor, Rapidler und gegen Geisterspi­ele: Roman Horak

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