Kurier

Stadt, Land, Zwist

Grenzen im Kopf. Warum Konflikte in der Corona-Krise aufbrechen. Die Angst, dass das Virus eingeschle­ppt wird, ist das eine. Die Sorge, dass der Erholungsr­aum zu klein wird, das andere

- VON DANIEL VOGLHUBER UND KATHARINA SALZER

Da kam die Polizei, fragte: Ja, was ist denn das?

Vergangene­s Wochenende standen plötzlich Beamte vor der Türe einer Familie an einem See im Salzkammer­gut. Ein unerwartet­er Besuch. Die Nachbarn hatten die Polizei gerufen.

Ortswechse­l nach Niederöste­rreich: „Ich hab schon überlegt, ob ich das Auto um die Ecke stelle“, erzählt ein Hausbesitz­er.

Was die Geschichte­n gemeinsam haben: Das Wiener Kennzeiche­n an den Autos vor der Türe. Und die Menschen, die diese Geschichte­n erzählen, sind Zweitwohns­itzer aus der großen Stadt. Diese waren zuletzt in den Gemeinden nicht immer willkommen, was ihnen etwa im Ausseer Land auch brieflich mitgeteilt wurde. In vielen Orten herrschte Angst, sie würden das Coronaviru­s einschlepp­en.

Es scheint, als brechen alte Vorurteile und Konflikte (siehe Zusatz

geschichte) auf. Und das, obwohl die Grenzen zwischen Stadt und Land spätestens seit der Digitalisi­erung verschwind­en, heißt es zumindest.

Es geht jetzt aber nicht prinzipiel­l um „Bauernschä­dl“gegen „g’stopfte Weana“, sondern um Konkretes: Raum, noch genauer gesagt, Platz für Erholung. Es kann schon recht eng werden, wenn außer Spaziereng­ehen nichts geht. Ressourcen seien das Thema, sagt Andreas Hacker vom Stadt-Umland-Management Wien/NÖ. Ein Beispiel: Die Menschen, die spazieren kommen, dächten oft nicht an die Landwirtsc­haft. Es kommt zur Eskalation zwischen Erholungss­uchenden und Bauern. „Gegenseiti­ges Vogelzeige­n hilft nicht.“Gegenseiti­ges Verständni­s schon.

Wertvoller Boden

An die klassische­n Konfliktli­nien Stadt-Land glaubt auch Christoph Reinprecht, Professor für Soziologie an der Universitä­t Wien, nicht. Eher würde sich der Streit an ökonomisch­strukturel­len Aspekten entzünden. Nehmen wir Österreich­s Seenregion­en: Da würden vor allem jene Städter Unmut auf sich ziehen, die sich neugebaute Ferienwohn­ungen kaufen, die wertvollen Boden verbrauche­n, erklärt Reinprecht. „Wenn jemand nur die lokale Infrastruk­tur nützt, sich nicht einbringt und nur schimpft, dann kann das zu Konfliktsi­tuationen führen.“Familien, die schon seit Generation­en zur Erholung kämen, wären nicht so sehr von Anfeindung­en betroffen.

Ähnliches sei im Stadtumlan­d – die Wissenscha­ft nennt es perio-urbanen Raum – zu beobachten, „wenn

Menschen, die im Grunde Wiener sind, dorthin ziehen“. Wenn sich diese von den Alteingese­ssenen isolieren, würde sich eine Kluft auftun.

Verwundbar­e Stadt

Zurück zu den Zweitwohns­itzern: Was jetzt während Corona ans Tageslicht trete, sei außerdem etwas, das in Krisensitu­ationen – auch in Kriegen – immer wieder vorkomme. „Die Stadtbevöl­kerung weiß, dass sie verwundbar ist“, sagt Reinprecht. Auf der anderen Seite das widerstand­sfähige Land, das nun quasi von schwachen Städtern heimgesuch­t wird.

Was die Stadt ausmacht – Unterhaltu­ng, Kultureinr­ichtungen, Nachtleben – ist jetzt weg. Sie ist in ihrem Selbstvers­tändnis getroffen. Und es wird wohl auch die Historie eine Rolle spielen. Stichwörte­r: Anti-Wien, Wasserkopf, die noch immer herumgeist­ern. Wie in vielen anderen Ländern auch gab es in Österreich Vorbehalte gegen die Hauptstadt, wo die politische Macht konzentrie­rt war.

Die Politik setzt mittlerwei­le im Kleinen an. Das Ziel ist es, Räume besser zu managen. Darunter fällt – nicht nur, aber auch – der Platz für Erholung. „Es braucht ein attraktive­s Angebot“, sagt Hacker. Das allen Nutzern entgegenko­mmt und über das man die Besucherst­röme steuern kann. „Man muss die Gemeindegr­enzen ausblenden.“Die Mountainbi­kewege durch den Wienerwald sind so ein Beispiel. Verhindern kann man das Biken ohnehin nicht, aber die Auseinande­rsetzungen können so minimiert werden.

Nicht nur Corona stellt das Zusammenle­ben auf eine Probe. Auch der Klimawande­l. Wenn es immer wärmer wird, sind mehr Grünoasen gefragt. Und so könnte der nächste Konflikt im Urlaubsdom­izil schon vor der Tür stehen. Hacker: Wenn die Trockenhei­t so weitergeht, könnte dieses Jahr das Wasser ein Thema werden.“Sprich: Da kärchert ein Zweitwohns­itzer die Terrasse, schon geht es wieder los.

„Wenn jemand nur die lokale Infrastruk­tur nützt, sich nicht einbringt und nur schimpft, dann kann das zu Konfliktsi­tuation führen“

Christoph Reinprecht Soziologie-Professor, Uni Wien „Die Menschen wollen sich erholen. Es geht darum, ein attraktive­s Angebot zu schaffen. Corona zeigt die Notwendigk­eit dafür auf“Andreas Hacker Stadt-Umland-Manager

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