Stadt, Land, Zwist
Grenzen im Kopf. Warum Konflikte in der Corona-Krise aufbrechen. Die Angst, dass das Virus eingeschleppt wird, ist das eine. Die Sorge, dass der Erholungsraum zu klein wird, das andere
Da kam die Polizei, fragte: Ja, was ist denn das?
Vergangenes Wochenende standen plötzlich Beamte vor der Türe einer Familie an einem See im Salzkammergut. Ein unerwarteter Besuch. Die Nachbarn hatten die Polizei gerufen.
Ortswechsel nach Niederösterreich: „Ich hab schon überlegt, ob ich das Auto um die Ecke stelle“, erzählt ein Hausbesitzer.
Was die Geschichten gemeinsam haben: Das Wiener Kennzeichen an den Autos vor der Türe. Und die Menschen, die diese Geschichten erzählen, sind Zweitwohnsitzer aus der großen Stadt. Diese waren zuletzt in den Gemeinden nicht immer willkommen, was ihnen etwa im Ausseer Land auch brieflich mitgeteilt wurde. In vielen Orten herrschte Angst, sie würden das Coronavirus einschleppen.
Es scheint, als brechen alte Vorurteile und Konflikte (siehe Zusatz
geschichte) auf. Und das, obwohl die Grenzen zwischen Stadt und Land spätestens seit der Digitalisierung verschwinden, heißt es zumindest.
Es geht jetzt aber nicht prinzipiell um „Bauernschädl“gegen „g’stopfte Weana“, sondern um Konkretes: Raum, noch genauer gesagt, Platz für Erholung. Es kann schon recht eng werden, wenn außer Spazierengehen nichts geht. Ressourcen seien das Thema, sagt Andreas Hacker vom Stadt-Umland-Management Wien/NÖ. Ein Beispiel: Die Menschen, die spazieren kommen, dächten oft nicht an die Landwirtschaft. Es kommt zur Eskalation zwischen Erholungssuchenden und Bauern. „Gegenseitiges Vogelzeigen hilft nicht.“Gegenseitiges Verständnis schon.
Wertvoller Boden
An die klassischen Konfliktlinien Stadt-Land glaubt auch Christoph Reinprecht, Professor für Soziologie an der Universität Wien, nicht. Eher würde sich der Streit an ökonomischstrukturellen Aspekten entzünden. Nehmen wir Österreichs Seenregionen: Da würden vor allem jene Städter Unmut auf sich ziehen, die sich neugebaute Ferienwohnungen kaufen, die wertvollen Boden verbrauchen, erklärt Reinprecht. „Wenn jemand nur die lokale Infrastruktur nützt, sich nicht einbringt und nur schimpft, dann kann das zu Konfliktsituationen führen.“Familien, die schon seit Generationen zur Erholung kämen, wären nicht so sehr von Anfeindungen betroffen.
Ähnliches sei im Stadtumland – die Wissenschaft nennt es perio-urbanen Raum – zu beobachten, „wenn
Menschen, die im Grunde Wiener sind, dorthin ziehen“. Wenn sich diese von den Alteingesessenen isolieren, würde sich eine Kluft auftun.
Verwundbare Stadt
Zurück zu den Zweitwohnsitzern: Was jetzt während Corona ans Tageslicht trete, sei außerdem etwas, das in Krisensituationen – auch in Kriegen – immer wieder vorkomme. „Die Stadtbevölkerung weiß, dass sie verwundbar ist“, sagt Reinprecht. Auf der anderen Seite das widerstandsfähige Land, das nun quasi von schwachen Städtern heimgesucht wird.
Was die Stadt ausmacht – Unterhaltung, Kultureinrichtungen, Nachtleben – ist jetzt weg. Sie ist in ihrem Selbstverständnis getroffen. Und es wird wohl auch die Historie eine Rolle spielen. Stichwörter: Anti-Wien, Wasserkopf, die noch immer herumgeistern. Wie in vielen anderen Ländern auch gab es in Österreich Vorbehalte gegen die Hauptstadt, wo die politische Macht konzentriert war.
Die Politik setzt mittlerweile im Kleinen an. Das Ziel ist es, Räume besser zu managen. Darunter fällt – nicht nur, aber auch – der Platz für Erholung. „Es braucht ein attraktives Angebot“, sagt Hacker. Das allen Nutzern entgegenkommt und über das man die Besucherströme steuern kann. „Man muss die Gemeindegrenzen ausblenden.“Die Mountainbikewege durch den Wienerwald sind so ein Beispiel. Verhindern kann man das Biken ohnehin nicht, aber die Auseinandersetzungen können so minimiert werden.
Nicht nur Corona stellt das Zusammenleben auf eine Probe. Auch der Klimawandel. Wenn es immer wärmer wird, sind mehr Grünoasen gefragt. Und so könnte der nächste Konflikt im Urlaubsdomizil schon vor der Tür stehen. Hacker: Wenn die Trockenheit so weitergeht, könnte dieses Jahr das Wasser ein Thema werden.“Sprich: Da kärchert ein Zweitwohnsitzer die Terrasse, schon geht es wieder los.
„Wenn jemand nur die lokale Infrastruktur nützt, sich nicht einbringt und nur schimpft, dann kann das zu Konfliktsituation führen“
Christoph Reinprecht Soziologie-Professor, Uni Wien „Die Menschen wollen sich erholen. Es geht darum, ein attraktives Angebot zu schaffen. Corona zeigt die Notwendigkeit dafür auf“Andreas Hacker Stadt-Umland-Manager