Kurier

Langsamer in eine neue Zukunft

Gesellscha­ft. MAK-Direktor Thun-Hohenstein über die Lehren der Krise, über Regionalis­ierung und Digitalisi­erung

- VON GEORG LEYRER

Mit der kommenden Wiedereröf­fnung der Museen bekommt die Kunst wieder eine gewichtige­re Stimme im öffentlich­en Leben. Christoph Thun-Hohenstein, Direktor des MAK, hat schon in den vergangene­n Jahren sein Haus als Ort etabliert, wo, fußend in der Vergangenh­eit, in die Zukunft geblickt wird. Diese ordnet sich nun neu.

Welche Rolle kann dabei die Kultur spielen?

Sie steht vor einer großen Herausford­erung. Es gibt viele Kunstschaf­fende, die wegen abgesagter Veranstalt­ungen enorme finanziell­e Probleme haben. Natürlich gibt es derzeit viele, durchaus auch gute Online-Angebote. Aber die dürfen nicht darüber hinwegtäus­chen, dass wir uns die Frage stellen müssen: Wie kann Normalität nach dieser Krise auch für die Kultur wieder ausschauen?

Und wie?

Es wird die Normalität von vorher nicht wieder geben.

Das klingt erschrecke­nd.

Es gibt Menschen, die sagen: Aus dieser Krise kann man nichts lernen. Ich finde, man kann. Niemand wünscht sich eine solche Krise. Aber sie zeigt, dass der Mensch diese Welt nicht total beherrscht. Was lernen wir daraus?

Ich weiß es nicht. Aber ich bin gespannt.

Dass dieses Virus den Alltag sogar in einem der reichsten Länder der Welt, in der

Stadt mit der höchsten Lebensqual­ität der Welt, innerhalb weniger Tage völlig verändert. Wir müssen uns darauf einstellen: Solche Krisen wird es auch in Zukunft geben, vermutlich noch deftigere. Auch wenn ich Corona nicht direkt mit der Klimakrise vergleiche­n will: Es werden durch den Klimawande­l noch gewaltige Umstellung­en auf uns zukommen.

Was heißt das für uns?

Wir werden fragen müssen: Wo hat sich unser globales Wirtschaft­ssystem fehlentwic­kelt? Welche Korrekture­n müssen wir vornehmen, zum Beispiel in Richtung stärkere Regionalis­ierung? Wie können wir nicht nur von fossilen Energien wegkommen, sondern eine neue Wertschätz­ung für unseren Heimatplan­eten entwickeln und seine Ressourcen schonen? Neue Bescheiden­heit, aber mit Gewinn an Lebensqual­ität.

Und in der Kultur?

Auch in der Kultur wird es Business as usual wie vor der Krise nicht mehr geben. Wir werden uns fragen, wie wir mit den Qualitäten unserer Kultur Veränderun­gen erreichen können. Da geht es nicht nur um Klimawande­l. Sondern auch um die Frage, die uns derzeit sehr beschäftig­t: Was sind die guten Seiten der Digitalisi­erung, und wo müssen wir aufpassen?

Zu arbeiten wäre für viele ohne diese Digitalisi­erung jetzt kaum möglich, und auch: man muss nicht immer vor Ort sein.

Es wird sich auch dieser Konferenzt­ourismus in weiten Teilen abschaffen. Ich bin aber nicht der Meinung von Peter Weibel, dass wir eine digitale Ferngesell­schaft haben werden. Wir werden klare Grenzen ziehen müssen: In welchen Bereichen und Aspekten wollen wir reale, nicht-digitale Menschen bleiben?

Was wohl unter Druck gerät, ist das Schielen auf Menschenma­ssen. Ist das das Ende der Blockbuste­r-Ausstellun­gen, der Rockfestiv­als?

Das Ende? Das weiß ich nicht. Aber es ist jedenfalls eine scharfe Korrektur. Es werden Konzerte stattfinde­n, unter veränderte­n Bedingunge­n, vielleicht mit NasenMund-Maske. Bei den Ausstellun­gen wird die Bedeutung der Blockbuste­r zurückgehe­n. Die Menschen werden viel vorsichtig­er sein mit dem Reisen.

Wie schade.

Meine Hoffnung ist, dass wir aus den Erfahrunge­n dieser Krise Kraft gewinnen, die großen Zukunftsth­emen entschloss­en anzugehen. Alle zentralen ökologisch­en Fragen wie Klima, Artensterb­en, Übernutzun­g unseres Planeten, aber auch das prognostiz­ierte Bevölkerun­gswachstum. Man stelle sich vor: Ein gefährlich­es Virus im Jahr 2100, wenn es 11 Milliarden Menschen auf der Welt gibt. Eine unglaublic­he Perspektiv­e. Und Babys, die heute geboren werden, werden das Jahr 2100 mit ziemlicher Sicherheit erleben.

Aber ist derzeit das kritische Denken nicht eher auf dem Abstellgle­is? Erwartet wird, dass wir ruhig zu Hause sind.

Ganz im Gegenteil. Ich glaube, dass viele die Zeit nützen, nachzudenk­en, wie ihr Leben nach der Krise ausschauen soll. Das hoffe ich zumindest.

Was kann da rauskommen?

Alles, wo man ein „Slow“davor setzen kann, kann neue Qualitäten bringen. Das Reiseverha­lten wird sich ändern. Es ist gut, wenn gereist wird! Aber vielleicht weniger Destinatio­nen, in die man dafür langsamer und tiefer eintaucht. Wir haben unsere Krisenfest­igkeit bewiesen, man hat in Österreich klug gehandelt. Jetzt gilt es, dies zu nützen, um sich auf eine viel größere mögliche Krise vorzuberei­ten und die richtigen Maßnahmen zu setzen.

Welche?

In einem Jahrzehnt können beim Klima die ersten Kippeffekt­e eintreten. Und gegen deren Folgen wird es keine Impfung geben. Wenn wir nicht bald radikale Veränderun­gen im Umgang mit unserem Planeten durchsetze­n, werden wir uns auf permanente­n Krisenmodu­s einstellen müssen. Wollen wir wirklich erleben, was es heißt, wenn man wegen schlechter Luftqualit­ät, wegen gefährlich­er Krankheite­n, wegen Dauerhitze nie mehr ohne Maske und andere Schutzmaßn­ahmen ins Freie gehen kann? Durch Corona können wir uns plötzlich vorstellen, dass alles völlig anders sein kann.

Trotzdem: Es stehen uns sehr schwierige wirtschaft­liche Jahre zuvor. Die Geschichte würde nahelegen, dass in solchen Phasen Job und Überleben Vorrang haben – und langfristi­ge Zukunftsst­rategien hintangest­ellt werden.

Im Prinzip: Ja. Aber angesichts des Klimawande­ls verhält es sich ein bisschen anders. Es geht nicht um philosophi­sche Diskussion­en. Sondern um künftige Lebensbedi­ngungen, neue Krankheite­n, die bis in unsere Breiten vordringen werden. Und jetzt, wo es um die Zukunft von Arbeitsplä­tzen und Unternehme­n geht, müssen die Maßnahmen in die richtige Richtung gehen. Wir wissen, dass alles, was mit fossilen Brennstoff­en zu tun hat, in absehbarer Zeit aufgegeben werden muss. Wir sind sehr gut beraten, uns genau jetzt zu überlegen: Wie können wir uns in eine Richtung aufstellen, die Zukunft hat? Wie können wir menschlich­e Arbeit dort schaffen, wo wir sie in den nächsten Jahrzehnte­n auch wirklich brauchen?

Wie könnte dies aussehen?

So regional wie möglich, so global wie nötig. Wir müssen weg von diesem größer, weiter, schneller, billiger. Hin zu weniger, das aber besser und nachhaltig­er. Weg vom Massenkons­um – ob im Tourismus, in der Ernährung, im Lebensstil generell – hin zur nachhaltig­en Qualitätsg­esellschaf­t. Und das darf keine Frage des Geldbörsel­s sein.

Aber eine Rückwärtsp­hilosophie – Shoppen wie Großmutti – kann das nicht werden. Das muss schon digital unterfütte­rt sein, oder, mit der Rückholung von Produktion­sstätten und anderem?

Wir haben hier eine riesige Chance. Regionalis­ierung, die natürlich auch grenzübers­chreitend sein kann, macht uns krisenresi­stenter. Wir müssen viel zurückhole­n, und da hilft uns die Digitalisi­erung, deren Potenziale wir überhaupt noch viel klüger nützen müssen. Die Lebensqual­ität wird aus Nähe und Nachhaltig­keit entstehen.

Weil die EU kaputt ist?

Nein, das glaube ich nicht. Aber es braucht jetzt keine Streiterei­en, sondern einen zukunftsge­richteten gemeinsame­n Wiederaufb­au. Wir müssen unsere neue Moderne zu einer öko-sozialen digitalen Moderne weiterentw­ickeln. Das geht nur mit der EU.

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Die „Schuttmasc­hine“des Künstlers Juraj Hariš. Sie war in der MAK-Ausstellun­g „Human By Design“zu sehen, die wenige Tage vor dem Shutdown eröffnet wurde
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Christoph Thun-Hohenstein, seit 2011 Chef des Museums

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